Das DFB-Team hat es mit einem späten Ausgleichstreffer gegen Ungarn gerade so ins Achtelfinale geschafft. Die Chancen gegen England stehen gar nicht schlecht - wenn Löw gewillt ist, endlich seine starre und leicht auszuhebelnde Spieltaktik zu überdenken.

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Das Gute vorneweg: Anders als beim blamablen WM-Aus 2018 gegen Südkorea zeigte die deutsche Nationalmannschaft im letzten EM-Gruppenspiel gegen Ungarn Mumm und Willen, um zwei dummen Gegentoren zwei eigene Treffer folgen zu lassen. Das späte 2:2 wurde mit dem Einzug ins Achtelfinale belohnt.

Womöglich wird England am kommenden Dienstag der einfachere Gegner sein. Vor eigenem Publikum darf und kann sich die Insel-Mannschaft nicht im Strafraum einigeln, wie es Ungarn getan hat. Zwangsläufig entstehen aus der Offensive des Gegners Räume, die dann Deutschland zu nutzen versteht, wie man es gegen Portugal (4:2) getan hat. Beruhigen kann das nicht.

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Die guten Aussichten dürfen nicht über Schwächen hinwegtäuschen.

  • Noch immer ist die Verteidigung ein Tollhaus. Mats Hummels gibt der Abwehrkette und damit Anthony Rüdiger keinen Halt. Das führt zu einer offensichtlichen Verunsicherung.
  • Vor der Abwehr fehlt die ordnende Hand. Weder Toni Kroos noch Ilkay Gündogan geben einen Rhythmus zwischen Abwehr und Attacke vor. Es fehlt: Kimmich.
  • Joshua Kimmich ist neben Matthias Ginter auf der rechten Seite verschenkt, weil seine Impulse nicht sein Fehlen in der Mitte kompensieren.
  • Leroy Sané bringt weder Spielwitz noch Tempo so auf den Platz, dass sein Einsatz über 90 Minuten gerechtfertigt ist. Wie viele Chancen will er noch vertun?
  • Leon Goretzka, Thomas Müller und vielleicht Jamal Musiala sind Spieler, die den Unterschied ausmachen. Sie können nur untereinander ersetzt werden.

Das alles sind Aufgaben des Bundestrainers. Warum sieht oder ändert Joachim Löw das Offensichtliche nicht?

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Löw muss gewillt sein, Korrekturen an der starren Spieltaktik vorzunehmen

Das sture Festhalten an System und Spieler hat ja einerseits den Vorteil, dass die Mannschaft an Stabilität von Spiel zu Spiel gewinnen kann. Seine Sturheit hat andererseits beinahe dazu geführt, dass Deutschland als Gruppenletzter aus dem EM-Turnier ausscheidet. Sechs Minuten vor dem Abgrund schaffte man die Wende. Sechs Minuten!

Nun hat der Bundestrainer fast eine Woche Zeit, die Mannschaft beim Training zu beobachten, Korrekturen vorzunehmen und vor allem eine zweite und dritte Variante des eigenen Spiels einzuüben. Denn auch das zeigt das Ungarn-Spiel: Deutschland ist mit einfachsten Mitteln einzuschränken und auszuhebeln. Das abzustellen, ist die dringendste Aufgabe.

Die Chance auf ein letztes erfolgreiches Turnier ist vermutlicher größer, als man glaubt. Im Viertelfinale wartet Schweden oder Ukraine - zwei durchaus machbare Gegner. Im Halbfinale kommen vermutlich die Niederlande, die zuerst Tschechien vor der Brust haben und danach entweder Wales oder Dänemark. Man sieht: Löw sollte die Chance nicht verstreichen lassen.

Pit Gottschalk ist Journalist und Buchautor. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit’ch erhalten Sie hier: http://newsletter.pitgottschalk.de/.
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