Joshua Kimmich hält in Tottenham den Druck aus, den er sich durch seine öffentliche Kritik nach Bayerns knappem Sieg in Paderborn selbst gemacht hatte. Wer erst meckert und dann liefert, ist ein echter Leader. Kimmich empfiehlt sich für höhere Aufgaben.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Antizyklische Kritik hat durchaus eine große Tradition beim FC Bayern. Uli Hoeneß beherrschte sie. Oliver Kahn griff häufig darauf zurück. Und auch Matthias Sammer erarbeitete sich in München einen Ruf als Mahner, wenn alle anderen Zufriedenheit ausstrahlten.

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Es ist den absoluten Leadern vorbehalten, öffentlich einen Kontra-Punkt zu setzen, selbst wenn auf den ersten Blick alles ganz gut läuft. Es ist die hohe Kunst der Motivation.

In München entwickelt sich in diesen Tagen ein neuer Leader heraus. Joshua Kimmich macht längst nicht mehr nur auf dem Platz auf sich aufmerksam und schreckt dabei auch nicht vor der erwartbaren Kritik der Münchner Führungsriege zurück.

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"Man muss feststellen, dass wir es in dieser Saison noch nicht geschafft haben, ein Spiel über 90 Minuten dominant zu bestreiten. Wir laufen unserem Anspruch hinterher." Das sagte Kimmich nach dem 3:2-Sieg gegen Paderborn.

Es war der dritte Pflichtspielsieg in Folge. Kimmich wirkte trotzdem unzufrieden und tat das, was früher Hoeneß, Sammer und Kahn vorbehalten war. Er legte öffentlich den Finger in die Wunde und kritisierte die eigene Mannschaft vor laufenden Kameras.

Treffer zum 1:1 ebnet den Weg zum Sieg

Das überragende 7:2 gegen Tottenham als direkte Reaktion darauf zu werten, geht vielleicht etwas zu weit. Doch Kimmich hat der Mannschaft damit einen Dienst erwiesen.

Aussagen wie die seinen sorgen dafür, dass die Spannung in einer Mannschaft hoch bleibt. Eminent wichtig für den FC Bayern, der eine Saison mit über 50 Pflichtspielen überstehen muss.

Kimmich nahm in Kauf, dass er sich für seine öffentliche Kritik eine ordentliche Standpauke der Bosse abholen musste. Rummenigge, Salihamidzic, Kovac – alle nahmen Bezug auf Kimmich und spielten den Ball umgehend zurück.

"Wenn er was sagt, muss er vorne weggehen und Topleistung bringen. Wer die Klappe aufmacht, muss vorne wegmarschieren." Mit diesen Sätzen ließ sich Hasan Salihamidzic zum Wochenstart zitieren.

Und Rummenigge schickte ebenfalls einen gut gemeinten Rat hinterher: "Wenn man kritisch ist, muss man die Flagge in die Hand nehmen, nach oben halten, und dann müssen alle demjenigen hinterher rennen. Aber dann muss er auch große Leistung liefern. Den Anspruch muss er jetzt bei sich selber auch haben."

Und Kimmich lieferte. Gegen Tottenham überzeugte er wieder einmal auf gleich zwei Positionen. Zunächst im zentralen Mittelfeld, später - nach Alabas Auswechslung - auf seiner in den Vorjahren angestammten Rechtsverteidiger-Position.

Kimmich war es, der den FC Bayern in der 15. Minute auf die Siegesstraße brachte. Zuvor war Tottenham stärker und durch Heung-Min Son in Führung gegangen. Dann landete ein Querschläger rund 20 Meter vor dem Tor auf Kimmichs Fuß. Einen Haken nach rechts und einen überragenden Schrägschuss später stand es 1:1. Die Kovac-Elf war zurück im Spiel.

Ein Kandidat für die Neuer-Nachfolge?

Auch danach trieb der 24-Jährige unermüdlich an, dirigierte lautstart seine Vorder- und Nebenleute und ließ sich auch von kleineren Wacklern im Spielaufbau nicht verunsichern.

Kimmich wächst sichtbar in eine Führungsrolle hinein. Ohnehin ist sein Standing als neuer Teil des Mannschaftsrats gewachsen. Auch deshalb machte er nach dem Spiel selbstbewusst deutlich, dass er von seiner Kritik nach dem Paderborn-Spiel nichts zurückzunehmen hat. Kimmich ist so in den kommenden Jahren ein klarer Kandidat auf das Kapitänsamt bei den Münchnern.

Zunächst beschränkt sich der ehemalige Leipziger jedoch zumindest neben dem Platz auf die Rolle des Mahners. "Auch heute war nicht alles super", sagte Kimmich in der Mixed Zone nach dem historischen 7:2-Erfolg gegen Tottenham und meinte damit die in der Tat holprige erste Hälfte.

Es ist dieser Ehrgeiz Kimmichs, der Bayerns hochdekorierter Mannschaft gut tut. Er ist einer, der voranmarschiert. Auf und neben dem Platz. Die Bayern-Bosse werden es mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben.

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