• Thomas Helmer spielte von 1992 bis 1999 für den FC Bayern München, nahm zudem mit Deutschland an zwei Weltmeisterschaften teil und wurde Europameister
  • Im Interview spricht der 57-Jährige über die Weltmeisterschaft in Katar und die möglichen Folgen für den FC Bayern
  • Außerdem lobt er Jamal Musiala, fordert aber von anderen Bayern-Spielern wie Serge Gnabry und Leroy Sane eine Steigerung
Ein Interview

Herr Helmer, sieben Spieler des FC Bayern München sind mit der deutschen Nationalmannschaft in der Vorrunde der Weltmeisterschaft gescheitert und sollen sich im Februar in der Champions League gegen Paris Saint-Germain mit den WM-Superstars Lionel Messi und Kylian Mbappe durchsetzen. Ist der FC Bayern nach den Erkenntnissen von der Weltmeisterschaft der Außenseiter?

Thomas Helmer: Nein, soweit würde ich nicht gehen. Man könnte es auch anders sehen: Als Frankreich die Spieler aus der Bundesliga eingewechselt hat, darunter auch Kingsley Coman vom FC Bayern, lief es deutlich besser. Natürlich sind Messi und Mbappe die beiden Superstars der Weltmeisterschaft. Sie haben eine wahnsinnige Leistung erbracht. Das wird für den FC Bayern eine ganz schwere Nuss. Die Frage ist allerdings, wie satt und kaputt die beiden von der WM sein werden – auch wenn das Hinspiel erst im Februar stattfindet.

Als Deutschland bei der Weltmeisterschaft 2018 in der Vorrunde scheiterte, waren ebenfalls sieben Spieler des FC Bayern beteiligt. Danach folgte eine schwache Hinrunde, in der der FC Bayern zeitweise neun Punkte Rückstand auf Borussia Dortmund hatte. Können Sie sich vorstellen, dass die Folgen der Weltmeisterschaft erneut beim FC Bayern zu spüren sein werden?

Ich glaube, dass die Situation jetzt eine andere ist. Damals fand die WM im Sommer statt und danach gab es eine längere Pause. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass es in der Bundesliga bald wieder losgeht. Ich weiß natürlich nicht, wie es in jedem einzelnen Spieler aussieht. Aber bei mir würde vermutlich eine Trotz-Reaktion einsetzen. So ganz nach dem Motto: ‘Jetzt haben wir viel Kritik eingesteckt, nun zeigen wir, wie gut wir wirklich sind‘. Ich bin mir sicher, dass die Spieler dazu in der Lage sind.

Benjamin Pavard kassiert Denkzettel von Deschamps

Kingsley Coman hat im Finale zwar den Ausgleichstreffer für Frankreich zum 2:2 eingeleitet. Er war aber auch der erste Franzose, der im Elfmeterschießen verschoss und somit die Niederlage einleitete. Könnte ihn das länger beschäftigen?

Ich glaube schon, dass man sich damit beschäftigt. Aber wenn man von der Nationalmannschaft zum Verein zurückkehrt und man dort wieder aufgefangen wird, ist das wieder etwas völlig Anderes und kann durchaus helfen.

Benjamin Pavard hat für Frankreich lediglich das Auftaktspiel bestritten, wurde nach einer schwachen Leistung aussortiert und kam nicht mehr zum Einsatz. Zudem ließ er öffentlich durchklingen, den FC Bayern verlassen zu wollen. Wie bewerten Sie diese Personalie?

Das ist alles sehr komisch. Man weiß auch nicht so richtig, wie er sich das alles vorstellt. Es gab schon länger Unruhe rund um seine Person, die er selber geschürt hat. Er hat ja schon einmal moniert, er will nicht als Rechtsverteidiger spielen, sondern als Innenverteidiger. Der französische Nationaltrainer Didier Deschamps ließ sich das nicht gefallen. Ich hoffe für ihn, dass er dies als Denkzettel versteht und sich wieder auf den Sport konzentriert. Er ist bei der WM, die er vermutlich als Bühne nutzen wollte, weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Sein Bonus von der WM 2018 ist längst aufgebraucht. Er muss jetzt liefern.

Torwart Manuel Neuer hat sich nach einer durchwachsenen Leistung bei der Weltmeisterschaft bei einem Skiunfall verletzt und wird die restliche Saison fehlen. Glauben Sie, dass er jemals wieder an das Top-Niveau herankommen wird?

Er hat natürlich ein gewisses Alter erreicht – auch wenn Torhüter länger spielen können als Feldspieler. Man hat ihm bei der WM angesehen, dass er vorher verletzt war und nicht durchgehend gespielt hat. Er hat keinen schwerwiegenden Fehler gemacht, hat aber nicht sein höchstes Niveau erreicht. Wenn er nun ein halbes Jahr ausfällt und von einer Verletzung in die andere läuft, ist das wirklich schwierig.

In einem Punkt muss ich ihn allerdings in Schutz nehmen: Es war auch zu meiner Zeit nicht vertraglich verboten, im Winterurlaub Ski zu fahren. Bei mir hat das keine Rolle gespielt, weil ich ohnehin kein Skifahren kann. Aber ich weiß, dass mehrere meiner damaligen Mitspieler Ski gefahren sind.

Verliert Thomas Müller seinen Stammplatz beim FC Bayern?

Jamal Musiala hat zwar kein Tor bei der Weltmeisterschaft erzielt, konnte aber trotzdem fußballerisch überzeugen. Ist er für den FC Bayern und auch für die deutsche Nationalmannschaft der Schlüsselspieler der kommenden Jahre?

Er war sicherlich eine der positiven Erscheinungen bei der deutschen Nationalmannschaft. Manche sagen vielleicht, er sei etwas zu verspielt gewesen. Aber wenn man den Pfosten trifft, ist das auch ein bisschen Pech. Ich finde es super, dass er den Abschluss sucht und nicht stattdessen immer noch einmal quer spielt.

Es ist allerdings auch bezeichnend, wenn so ein junger Spieler heraussticht und die Mitspieler zu wenig Akzente setzen. Leroy Sane und Serge Gnabry wissen eigentlich auch, wie es geht. Aber sie kamen nicht einmal annähernd an ihr Niveau heran. Die beiden deuten immer wieder ihre Fähigkeiten an, aber nicht durchgehend. Musiala ist konstanter.

Thomas Müller hat eine enttäuschende WM gespielt, war auch zuvor in der Bundesliga verletzt. Könnte er beim FC Bayern seine Rolle als unumstrittener Stammspieler verlieren?

Er hat keine gute WM gespielt und war praktisch gar nicht zu sehen. Ich hätte ihn allerdings auch nicht als Stürmer vorne reingestellt. Das war nicht der beste Schachzug von Hansi Flick. Ich würde ihn aber sportlich nicht abschreiben. Er befindet sich momentan in keiner guten Form. Aber ich traue ihm auch wieder bessere Phasen zu. Außerdem ist er als Persönlichkeit für den FC Bayern sehr wichtig.

Noch eine letzte Frage zur Weltmeisterschaft: Sie haben in einem Instagram-Post daran erinnert, dass wir in Deutschland erwarten, dass sich willkommen geheißene Ausländer an unsere Regeln halten und unsere Kultur respektieren und dass Sie das Gleiche auch in Katar tun würden. Wurde Ihnen die WM in der deutschen Öffentlichkeit zu kritisch betrachtet?

Die Kritikpunkte gegenüber Katar sind grundsätzlich ja alle richtig. Ich habe einfach versucht, aus Sicht eines Sportlers zu argumentieren. Für einen Fußballspieler ist die Weltmeisterschaft das bedeutsamste Turnier. Nicht jeder hat wie Messi oder Lothar Matthäus die Möglichkeit, fünf Weltmeisterschaften zu spielen. Und ich finde es grenzwertig, wenn die Politik die Spieler vorschiebt.

Was mich allerdings auch gestört hat, war, dass Messi vor der Pokal-Übergabe diese Bischt umgehängt wurde. Ich hätte verstanden, wenn er den Umgang runtergeschmissen hätte. Vermutlich war er selber überrascht und hat sich zusammengerissen. Aber das war sehr unpassend, weil er diesen Moment gemeinsam mit seiner Mannschaft feiern soll.

Über den Experten: Thomas Helmer war von 1984 bis 2000 Fußball-Profi und spielte für Arminia Bielefeld, Borussia Dortmund, den FC Bayern München, Hertha BSC und den englischen Profiverein AFC Sunderland. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde er 1996 Europameister. Danach begann er seine Fernseh-Laufbahn als Moderator bei Sport1.

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