Am Ende schaffte es die AfD doch ganz knapp wieder in die Hamburger Bürgerschaft. Warum musste die Rechtsaußenpartei in der Hansestadt so lange zittern? Ist der Höhenflug der AfD gestoppt? Politologe Michael Lühmann ordnet das Hamburger Wahlergebnis ein und warnt vor einer zunehmenden Radikalisierung der AfD.

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Zunächst jubelten erst einmal die anderen. Als die ersten Prognosen über den Ausgang der Bürgerschaftswahl in Hamburg bekannt wurden und die AfD mit 4,7 Prozent deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde sahen, mischten sich bei den Wahlpartys von SPD und Grünen laute "Nazis raus"-Rufe unter die Freudenschreie über das eigene gute Abschneiden.

Vor fünf Jahren hatte die AfD in Hamburg erstmals den Einzug in ein westdeutsches Landesparlament geschafft. Am Wahlabend in der Hansestadt sah es lange so aus, als würden sie erstmals aus einem Landesparlament wieder rausfliegen.

AfD schafft Wiedereinzug - verliert aber knapp einen Prozentpunkt gegenüber 2015

Doch mit jeder Hochrechnung ab 21:00 Uhr verbesserte sich das Ergebnis der Rechtspopulisten, am Ende lag die Partei des Hamburger Spitzenkandidaten Dirk Nockemann bei 5,3 Prozent und freute sich über den geschafften Wiedereinzug.

Dennoch wurde der Höhenflug der AfD, die inzwischen in allen 16 Bundesländern parlamentarisch vertreten ist, in Hamburg zumindest vorerst gestoppt.

Im Gegensatz zu den vergangenen Landtagswahlen in Sachsen oder Thüringen gelang es der Rechtsaußenpartei nicht, ihr Ergebnis im Vergleich zur vorigen Abstimmung zu verbessern.

So hat Hamburg gewählt

SPD und Grüne werden bestätigt, FDP muss noch zittern.

Politologe: "Wer ab- und ausgrenzt, schwächt die AfD"

Was lief in Hamburg anders? Spitzenkandidat Nockemann beklagte, das schlechte Abschneiden sei das "Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne" gegenüber der AfD.

Politikwissenschaftler Michael Lühmann stellt einen Zusammenhang her mit der klaren Kante, die die anderen Hamburger Parteien im Umgang mit der AfD zeigten. "Je schärfer die Ab- und Ausgrenzung, insbesondere seitens der CDU, und, damit zusammenhängend, je liberaler die politische Kultur, desto schwächer schneidet die AfD ab", erklärt Lühmann auf Anfrage unserer Redaktion.

In Sachsen und Thüringen sei die CDU den umgekehrten Weg gegangen, mit dem Ergebnis, dass die AfD dort sehr stark ist. "Wer versucht, mit Rechtsruck und Rechtsblinken AfD-Wählende zurückzuholen, stärkt die AfD. Wer ab- und ausgrenzt, schwächt diese", fasst der Politologe des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zusammen.

Einfluss der Morde von Hanau auf AfD-Ergebnis

Laut Nockemann brachte vor allem der Anschlag von Hanau am Donnerstag die AfD-Wahlkämpfer in Hamburg in die Defensive. Man habe "so getan, als hätte die AfD den Finger am Abzug gehabt", sagte er. Das habe "die wesentlichen Prozentpunkte gekostet".

Diese Theorie will Lühmann so nicht bestätigen. Die Morde von Hanau hätten "leider eine viel zu geringe Rolle" gespielt. Die Hamburger Wahl zeige vielmehr, wie schwer es sei, AfD-Wähler zurückzugewinnen.

"Die AfD-Wählerschaft scheint kein Problem mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz (beide Politiker zählen zum sogenannten "Flügel" der AfD, Anm. d. Red.) zu haben, auch nicht mit dem Mord an Walter Lübcke und den Terroranschlägen von Halle und Hanau", widerspricht Lühmann der These, dass AfD-Wähler hauptsächlich Protestwähler seien.

Insgesamt sieht der Wissenschaftler das Potenzial der Partei ausmobilisiert: "Die AfD gewinnt nicht mehr hinzu, sondern verliert nach absoluten Stimmen im Westen und stagniert mit Tendenz nach unten im Osten."

"Höcke und seine Gläubigen träumen vom Kampf um Alles oder Nichts"

Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski wertet Hamburg als Quittung für die offene rechte Flanke der Partei: Die AfD müsse "ihr bürgerlich-konservatives Image schärfen und eine noch klarere Grenze nach Rechtsaußen ziehen".

Eine Strategie, die Lühmann den Rechtspopulisten nicht abnimmt. Weil die AfD bemerkt habe, dass sie an eine Grenze gestoßen sei und seit dem Dammbruch in Thüringen und dem rechten Terror in Hanau unter besonderer Beobachtung stehe, versuche sie nun vordergründig, "die Opferrolle einzunehmen, abzuwiegeln und abzurüsten".

Dies entspreche allerdings "auf lange Sicht nicht der Logik des die AfD kontrollierenden Flügels um Höcke, Kalbitz und Alexander Gauland". Dem Flügel gehe es "nicht um Reform, sondern um Überwindung der Demokratie, Höcke und seine Gläubigen träumen vom Kampf um Alles oder Nichts", sagt Lühmann.

Der Politikwissenschaftler erwartet daher "nach einer kurzen Phase der Ruhe", dass "die AfD, ihr Milieu und ihr Vorfeld sich weiter radikalisieren wird, und das nicht nur auf der Ebene der Sprache".

Michael Lühmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und leitete in den Jahren 2010 bis 2012 das Forschungsprojekt "Zeitgeisteffekte oder grüner Wertewandel". Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit steht die Geschichte und Entwicklung deutscher Parteien mit dem Fokus auf die Partei Bündnis90/Die Grünen, deutsch-deutsche Generationengeschichte und die Geschichte der DDR.
Mit Material der AFP
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