• Die SPD hat den Erfolg bei der Bundestagswahl ausgelassen gefeiert. In den Jubel mischt sich für die Partei aber auch eine bange Frage: Was ist dieser Wahlsieg wert?
  • Olaf Scholz muss wahrscheinlich eine Ampel-Koalition bilden, um Kanzler zu werden. Eine Jamaika-Koalition würde ihm einen Strich durch die Rechnung machen.
  • In der SPD pocht man daher auf das eigene Ergebnis: "Die Nummer eins hat die Aufgabe, die Regierung anzuführen", sagt Vorstandsmitglied Alexander Schweitzer.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im November 2019 machte Norbert Walter-Borjans einen ungewöhnlichen Vorschlag: Seine Partei solle vielleicht lieber ohne einen Kanzlerkandidaten in die nächste Bundestagswahl ziehen. Walter-Borjans bewarb sich damals um den Parteivorsitz, und die SPD verharrte im tiefen Umfrageloch. "Ich glaube nicht, dass wir im Augenblick an dieser Stelle sind, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen", sagte er dem "Spiegel".

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Zwei Jahre später wirkt diese Äußerung wie aus einer anderen Zeit. Am Abend der Bundestagswahl reihen sich am Sonntag Kamerateams auf dem schmalen Grünstreifen gegenüber der SPD-Parteizentrale aneinander. Aus der ganzen Welt sind sie gekommen, um über den vielleicht nächsten deutschen Kanzler zu berichten. Mit 25,7 Prozent landen Olaf Scholz und die SPD bei der Bundestagswahl auf Platz 1. Wie Phönix aus der Asche.

Große Freude nach Bundestagswahl – doch eine Unsicherheit bleibt

Drinnen hatte man das Feiern schon fast verlernt. Sie sei jetzt seit zehn Jahren Parteimitglied, erzählt eine Sozialdemokratin. Meistens habe man sich seitdem an Wahlabenden eher zum Frusttrinken getroffen. "Endlich kann man sich mal wieder freuen." Es wird ausgelassen gefeiert. Eine Coverband spielt partytaugliche Musik, vor den Bierständen bilden sich lange Schlangen.

Doch so richtig überkochen will die Stimmung nicht. In die Freude über das Wahlergebnis mischt sich bei manchen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch eine bange Frage: Wie wird sich dieser Sieg auszahlen?

Fast immer stand nach Bundestagswahlen fest, welche Partei die nächste Regierung anführt. Dass Olaf Scholz der nächste Kanzler wird, ist aber noch nicht sicher. Das Wahlergebnis ist gut, aber nicht überwältigend: Wenn sie eine große Koalition weiter ausschließt, bleibt der SPD nur eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP, um an der Macht zu bleiben. Ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linke hat dagegen keine Mehrheit. Ein Fakt, den vor allem junge SPD-Mitglieder am Wahlabend bedauern.

Jamaika: Eine "schreckliche" Aussicht für die SPD

Falls Armin Laschet und die CDU und CSU es dagegen schaffen, die Grünen in ein Jamaika-Bündnis mit der FDP zu ziehen, wäre die SPD aus dem Spiel. Die Wahlsieger befinden sich daher in einer seltsamen Situation: Sie werden um ihre potenziellen Partner Grüne und FDP werben müssen.

Andreas Stoch, Landesvorsitzender der SPD in Baden-Württemberg und Mitglied im Bundesvorstand, hofft, dass es zu einer Ampel kommt: "Ich bin überzeugt, dass Olaf Scholz in der Lage wäre, damit einen Aufbruch zu organisieren", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Doch Stoch ist in dieser Hinsicht auch ein gebranntes Kind: Im Frühjahr hatte die SPD in Baden-Württemberg ebenfalls auf eine Ampel unter grüner Führung gehofft. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschman zog allerdings die Fortsetzung von Grün-Schwarz in Stuttgart vor. "Ich fände es schrecklich, wenn der Wahlverlierer Laschet in einer Jamaika-Koalition Bundeskanzler wird", sagt Stoch.

Freude über das "Riesenergebnis"

Das wichtigste Pfund der SPD in der Regierungsbildung ist schlicht und einfach ihr Ergebnis. Können Union, Grüne und FDP wirklich eine Koalition ohne den Wahlgewinner bilden? Ein Bündnis ohne Olaf Scholz? Also ohne den Mann an der Spitze, den nach Umfragen die meisten Deutschen als nächsten Kanzler wollen?

Der erste Platz ist das wichtigste Argument im Meinungskampf um die Regierungsbildung. Deswegen heben Genossinnen und Genossen am Wahlabend das eigene Abschneiden hervor. "Ich kann nicht sehen, wie die Union aus ihrem Ergebnis einen Regierungsauftrag ablesen will", sagt Alexander Schweitzer, Arbeits- und Sozialminister in Rheinland-Pfalz und Mitglied im SPD-Parteivorstand. "Die Nummer eins hat die Aufgabe, die Regierung anzuführen."

Schweitzer regiert selbst in einer Ampel-Koalition – der bisher einzigen auf Landesebene. Verhandlungstipps will er Olaf Scholz aber nicht geben. Lieber betont er, dass der Kanzlerkandidat ein "Riesenergebnis" eingefahren habe.

Ampel-Koalition mit Grüne und FDP: Wie soll das funktionieren?

Um einen Namen machen die Genossinnen und Genossen an diesem Abend einen erkennbaren Bogen: Christian Lindner. Der FDP-Vorsitzende hat es letztlich in der Hand. Nur wenn er seine Partei in eine Ampel-Koalition führt, könnte Scholz Kanzler werden.

Doch Lindner hat schon im Vorfeld hohe Hürden aufgebaut: Steuererhöhungen und ein Rütteln an der Schuldenbremse lehnt er kategorisch ab. Die SPD pocht dagegen auf Mindestlohn und Kindergrundsicherung. Klar ist: Die Sozialdemokratie muss der FDP ein attraktives Angebot machen, damit die ihrer skeptischen Wählerschaft das Ampel-Bündnis verkaufen kann. Lindner wird den Preis für eine Ampel wohl hochtreiben. Ob das mit dem stärkeren Linkskurs zu vereinbaren ist, für den prominente SPD-Figuren wie Kevin Kühnert stehen? Das bleibt abzuwarten.

Der frühere Juso-Chef Kühnert jedenfalls hat schon mal rhetorisch abgerüstet. Kurz vor der Wahl hatte er Christian Lindner noch als "Luftikus" bezeichnet. Am Wahlabend stellt er dann dem "Spiegel" gegenüber klar: "Ich wollte ihn damit nicht als Menschen angreifen."

Zufriedener Fraktionschef

Einen besonders zufriedenen Eindruck macht am Wahlabend Rolf Mützenich, Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Wenn er seinen Posten behält, wird er eine deutlich größere Fraktion anführen: Sie wächst von 152 auf 206 Abgeordnete.

Damit wird die SPD den großen Otto-Wels-Saal im Reichstag behalten, auf den zuvor schon die Grünen ein Auge geworfen hatten. Diesen Saal kann Mützenich jetzt keiner mehr nehmen – Regierungsbeteiligung hin oder her.

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