Die SPD und ihr Spitzenkandidat Olaf Scholz liegen in Umfragen vorne. Die Kanzlerschaft rückt in greifbare Nähe. Doch das Bundestagsrennen ist 2021 so volatil wie nie - und auf der Zielgeraden lauern drei Fallen.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Vor vier Monaten schien Annalena Baerbock schon gefühlte Merkel-Nachfolgerin. Vor zwei Monaten wähnte sich Armin Laschet bereits als neuer Bundeskanzler. Seit zwei Wochen nun rückt die SPD gedanklich schon Möbel im Kanzleramt.

Doch auch das könnte verfrüht sein - denn das Wahljahr 2021 ist anders als alle zuvor. Keine Partei ist vor überraschenden Wendungen gefeit. Die Wählerschaft ist so beweglich wie nie - das Vakuum nach 16 Merkeljahren sorgt für verblüffende Unterdruckturbulenzen nach allen Seiten. Und die könnten nun auch Olaf Scholz treffen. Auf der Zielgeraden lauern auf den Umfrageführer drei Fallen, die den greifbaren Sieg wieder kosten könnten.

Auch Olaf Scholz ist nicht ganz skandalfrei

Erstens: Die Medien betrachten Olaf Scholz, seitdem er unerwartet Favorit auf die Kanzlerschaft geworden ist, plötzlich kritischer. Ähnlich wie bei Baerbock im Frühjahr und Laschet im Sommer schaut man nun bei ihm genauer hin und findet auch dort Patzer, Fehler, Schwächen.

So veröffentlicht eine der einflussreichsten Zeitungen der Welt, die "New York Times", eine vernichtende Analyse zu Olaf Scholz. Er sei der "größte Langweiler" und es sei "aufregender, einem Topf kochendem Wasser zuzuschauen" als ihm. Große deutsche Medien wie der "Spiegel" oder die "Wirtschaftswoche" bohren bei den Skandalen um Cum-Ex wie Wirecard nach und finden peinliche Verbindungen zu Scholz.

Doch auch kleine Medien bringen Scholz nun negativ in große Schlagzeilen. So veröffentlichen die NRW-Lokalradios ein Interview, in dem Scholz die 50 Millionen geimpften Deutschen als "Versuchskaninchen" bezeichnet, was nach Querdenkerdeutsch klingt und eine Welle der Empörung hervorruft.

Eigentlich ist die Wortwahl nur ein verbaler Ausrutscher, aber da es bei Corona mit Tausenden von Toten um eine sehr ernste Sache geht, wird der Versuchskaninchen-Patzer schon mit dem Laschet-Lacher bei der Flut verglichen.

Kurzum: Die Monate der Kuschelkommunikation (weil kaum ein Journalist Scholz als Kanzlerkandidaten wirklich ernst genommen hatte) ist vorbei und Scholz erwartet auf der Zielgeraden ein härterer Kanzlertauglichkeitstest. Dabei wird sich zeigen, ob er nur dank der Schwäche seiner Konkurrenten vorne liegt und fehlerfrei wirkt, oder ob auch er jetzt ins Stolpern kommt.

SPD-Wahlkampf ist auf Scholz zugeschnitten, nicht auf die Partei

Zweitens: Das Umfragehoch für die SPD basiert bislang einzig auf den Vertrauenswerten für Olaf Scholz persönlich. Die Partei und ihre Führungskräfte werden in der deutschen Öffentlichkeit dagegen viel negativer bewertet.

Bislang ist es der geschickten Wahlkampfführung des SPD-Generalsekretärs Lars Klingbeil zu verdanken, dass sich die gesamte Kommunikation auf Scholz verengt und damit in der politischen Mitte der Republik Zustimmung gewonnen wird. Nun aber tauchen die linken Strippenzieher der SPD, von Kevin Kühnert über Saskia Esken bis Norbert Walter-Borjans, in Talkshows und Medien wieder auf.

Das birgt das Risiko, dass das SPD-Narrativ vom harmlosen Merkel-Double Scholz implodieren könnte. Denn alle drei sehen sich seit Jahren als Sachverwalter eines Linksrucks der Partei. Sie hatten sich im Wettstreit um den Parteivorsitz gegen Scholz just mit dem Argument durchgesetzt, die SPD müsse wieder mehr linkes Profil zeigen.

Obendrein haben sie Scholz im damaligen Wettstreit öffentlich verunglimpft, was jetzt von der politischen Konkurrenz genüsslich rezitiert wird. Esken wirkt auf manche medial wie eine "sadistische Sozialkundelehrerin" ("Focus") und Walter-Borjans wie ein dilettierender "Opa" ("Bild"). Wenn sie nun in die Öffentlichkeit drängen, so riskiert die SPD, den Scholz-Bonus wieder zu verspielen.

Die Koalitionsfrage kann die Wahl entscheiden

Drittens: Auf der Zielgeraden spielen Koalitionsoptionen eine wachsende Rolle für die Wählerinnen und Wähler. Die Frage, welche Koalition ein Kanzler Scholz wohl bilden würde, wird ab sofort für Millionen wahlentscheidend. Dabei ist die Variante "Rot-Rot-Grün" zwar für manche links Denkende ein großes Faszinosum.

Für viele Bürgerliche aber ist sie ein Schreckgespenst. Sollte Scholz diese Koalition nicht kategorisch ausschließen, so gerät er unter wachsenden Glaubwürdigkeitsdruck. Vor allem, da in diesem Jahr der Anteil der Wechselwähler enorm hoch ist und viele am Ende aus Koalitionskalkül von einer Partei zur anderen springen.

Ist nicht eine scheinbar mittige Scholz-Stimme am Ende doch eine rot-rote Kühnert-Esken-Wissler-Bartsch-Stimme? Ist Scholz nicht das freundlich dreinblickende trojanische Pferd, aus dessen Bauch nach dem Wahlsieg Linksparteiler hervorkommen?

Dreierlei Sorgen werden größer, zumal Koalitionsverhandlungen traditionell von der Parteiführung geführt werden - also just von Esken und Walter-Borjans, deren Liebäugelei mit Rot-Rot-Grün bekannt ist. Die Rot-Rot-Grüne Option offen zu halten, mag für Scholz im Blick auf etwaige Ampel-Koalitionsverhandlungen nach der Wahl taktisch clever sein. Doch vor der Wahl birgt das das Risiko, dass man die derzeit völlig demotivierte Kernwählerschaft der CDU aufweckt und die Union doch noch einmal mobilisiert.

Die Rote-Socken-Kampagne verfängt bei Wechselwählern eher nicht - im Kernmilieu von CDU und CSU aber sehr wohl. Genau das aber könnte am Ende die Union wieder vor die SPD bringen.

Der Wahlkampf dürfte im Finale zusehends auf ein Duell hinauslaufen, ob SPD oder CDU vorne liegen. Ähnlich wie bei der jüngsten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt verfügt die Union dabei über verblüffende Mobilisierungsreserven.

Olaf Scholz könnte diese Tür sofort schließen, Rot-Rot-Grün ausschließen und damit seinen Einzug ins Kanzleramt wahrscheinlicher machen - doch traut er sich das vor dem linken Flügel seiner eigenen Partei? Das wird mit näher rückendem Wahltermin zum Härtetest seiner Autorität. Hält er es aber offen, riskiert er die Last-Minute-Mobilisierung der Union.

Der SPD fehlt der Wahlkampfkracher

Die drei Risiken sind auch deswegen für die SPD vital, weil die guten Umfragewerte nicht von einer breit fundierten Begeisterung oder Wechselstimmung herrühren. Dafür ist Scholz zu spröde, und dafür regiert die SPD schon zu lange (immerhin 21 der vergangenen 25 Jahre). Partei wie Kandidat haben zudem keinen thematischen Wahlkampfkracher - das Umfragehoch basiert im Wesentlichen auf der Schwäche der anderen. Sich darauf auszuruhen - den Fehler hat schon Armin Laschet gemacht.

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