• Der Bundestag soll in dieser Woche im Schnelldurchlauf den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis Mitte April 2023 beschließen.
  • Die Debatte über die Zukunft der Kernkraft geht allerdings längst über diesen Termin hinaus.
  • SPD, Grüne und Linke wollen am Atomausstieg festhalten. Union, FDP und AfD dringen dagegen auf eine weitere Laufzeitverlängerung.

Mehr aktuelle News

Steffi Lemke sitzt als Bundesumweltministerin an den Schaltstellen der Macht. Doch Macht bringt es manchmal mit sich, unangenehme Entscheidungen zu treffen. "Mir wäre es lieber, wenn diese Änderung nicht erforderlich wäre", sagt die Grünen-Politikerin am Mittwoch im Bundestag.

Lemkes Anti-Atom-Partei muss einen begrenzten Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke mittragen. Grund sind die ausbleibenden Energielieferungen aus Russland. "Atomkraft kann jetzt einen Beitrag dazu liefern, besser über den Winter zu kommen", sagt Lemke – betont im nächsten Atemzug aber, dass sie am Atomausstieg nicht rütteln will: In der Ukraine seien Kernkraftwerke in diesem Jahr zum ersten Mal Ziel eines Krieges geworden, die Atomenergie ist und bleibe gefährlich. "Atomkraft ist nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit", so Lemke.

Atomgesetz wird geändert

Eigentlich sollten die letzten drei Atomkraftwerke Ende dieses Jahres vom Netz gehen. Doch die russische Invasion in der Ukraine und der Stopp russischer Gaslieferungen hat die Energieversorgung unter Druck gesetzt. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich nach wochenlangem Streit und einem "Machtwort" von Bundeskanzler Olaf Scholz daher darauf geeinigt, dass die drei Meiler bis zum 15. April des kommenden Jahres mit den vorhandenen Brennstäben weiterbetrieben werden. Die nötige Änderung des Atomgesetzes soll der Bundestag in dieser Woche im Schnelldurchgang beschließen.

Dass das Parlament diese begrenzte Verlängerung am Freitag beschließt, gilt als sicher. Doch die Diskussion weist längst darüber hinaus: Nicht nur CDU/CSU und AfD sprechen sich für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke aus. Auch die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist sich bei dem Thema uneins: Viele FDP-Politiker fordern neue Brennstäbe und eine Verlängerung der Laufzeiten über den April 2023 hinaus.

Pro und contra Atomkraft: Die beiden Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Das zeigt am Mittwoch nicht nur die Debatte im Bundestag, sondern zuvor auch eine Anhörung von Expertinnen und Experten im Umweltausschuss.

Längere Laufzeiten? Das sind die Argumente

"Mit Ihrer Politik verspielen Sie das Vertrauen der Menschen in diesem Land", wirft die CSU-Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber der Regierung vor. Die Christdemokraten wollen die Kraftwerke bis Ende 2024 weiternutzen – und erhofft sich davon eine Dämpfung der Energiepreise um bis zu 12 oder 13 Prozent. Wenn nicht jetzt schon neue Brennstäbe bestellt würden, sei es im Frühjahr zu spät dazu. "Das ist Murks, das ist Politik ohne Weitsicht", schimpft Weisgerber. "Warum lassen Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher so im Regen stehen?"

"Strom und Gas werden jetzt benötigt", sagt der AfD-Abgeordnete Rainer Kraft. Alternativen wie die Erneuerbaren Energien oder die Nutzung von Wasserstoff sind aus seiner Sicht "Nebelkerzen in der entscheidenden Frage, wie wir durch den nächsten Winter kommen werden".

Die FDP-Abgeordnete Carina Konrad erinnert an das Motto von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der Energiekrise: Jede Kilowattstunde zählt. Deshalb ist die begrenzte Laufzeitverlängerung aus ihrer Sicht richtig. Konrad macht zwischen den Zeilen aber auch deutlich, dass das Thema für die Liberalen damit nicht vorbei ist: "Nach diesem Winter kommt garantiert wieder ein Winter."

Ein weiteres Argument für die Weiternutzung der Kernkraft ist der Klimaschutz: Statt Atomkraftwerke länger zu nutzen, hole die Bundesregierung alte Kohlekraftwerke wieder ans Netz, kritisiert der Unionsabgeordnete Klaus Wiener: "Deutschland wird seine CO2-Ziele in den nächsten Jahren krachend verfehlen – und dafür tragen Sie die Verantwortung", ruft er der Regierungsbank zu.

Schluss mit der Atomkraft? Das sind die Argumente

Der SPD-Abgeordnete Jakob Blankenburg bleibt dagegen dabei: "Es werden keine neuen Brennstäbe gekauft." Aus seiner Sicht gilt im Jahr 2022, was schon 2011 galt: "Atomkraft ist für den Menschen nicht beherrschbar und birgt gewaltige Sicherheitsrisiken." Zudem sei sie teurer als alle anderen Energieformen. "Allein die Zwischen- und Endlagerung verschlingt mehr als eine Milliarde Euro jedes Jahr."

In einer Anhörung des Umweltausschusses hat sich zuvor auch die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gegen die weitere Nutzung der Kernkraft ausgesprochen. Sie würde aus ihrer Sicht nicht nur den Ausbau der Erneuerbaren Energien behindern. Kemfert hält die drei letzten Meiler auch für die Energieversorgung in diesem Sommer nicht für notwendig: "Die Atomkraftwerke können auch schon am 1. Januar 2023 vom Netz gehen, ohne dass in Deutschland die Lichter ausgehen."

Die Linke lehnt deshalb auch die begrenzte Laufzeitverlängerung ab. Der Abgeordnete Ralph Lenkert wirft allen anderen fünf Parteien vor, die Risiken der Atomkraft auszublenden. "Wir brauchen keinen Atomstrom, um durch den Winter zu kommen."

Im Umweltausschuss hat zuvor der Nukleartechnik-Experte Christoph Pistner vom Öko-Institut vor allem auf die Lage in Frankreich verwiesen: Dort sind derzeit etwa die Hälfte der Kernkraftwerke nicht am Netz – unter anderem wegen umfangreicher Wartungen und Nachrüsten sowie Rissen in den Kühlsystemen. Pistner sagt: "Wir haben keine 100-prozentige Sicherheit in der Kerntechnik. Die werden wir auch nicht haben."

Verwendete Quellen:

  • Debatte im Deutschen Bundestag
  • Anhörung des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.