FDP-Chef Christian Lindner nahm rhetorische Anleihen bei John F. Kennedy. Die Frankfurter Bürgermeisterin berichtete emotional von den eigenen Erfahrungen in einem Gefängnis im Iran. taz-journalistin Ulrike Herrmann vertritt im Ukraine-Krieg eine glasklare Meinung.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Streit um den Weiterbetrieb der deutschen AKW, die Proteste gegen das Mullah-Regime im Iran und die Situation in der Ukraine. Das waren am Mittwoch die drängenden Fragen bei Sandra Maischberger und ihren Gästen.

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Die Gäste

Christian Lindner: Der Bundesfinanzminister und Parteivorsitzende der FDP glaubt, dass der Rückkehr des Erfolges seiner Partei nach mehreren Wahlniederlagen nur über das Voranbringen des Landes und das Hintenanstellen ideologischer Sachfragen in der Regierung geschehen könne. "Etwas, was für das Land gut ist, kann nicht für eine einzelne Partei schädlich sein." Das klang ein wenig nach John F. Kennedy ("Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst"). Dafür gab es Applaus vom Publikum.
Konkret ging es da um den Weiterbetrieb der drei deutschen AKW, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor wenigen Tagen mit seiner Richtlinienkompetenz nach wochenlangen Diskussionen in der Ampel-Koalition bis zum Frühjahr beschlossen hatte. Die Grünen waren dagegen, die FDP hätte sich eine längere Laufzeitverlängerung vorstellen können. Lindner hofft nicht, dass die Regierung im April nochmal vor derselben Frage stehen wird.

Omid Nouripour: Der Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen geht davon aus, dass der AKW-Kompromiss über das Jahr hinaus hält, weil man dann mehr Zeit hat, sich bei der Energiebeschaffung auf den "nächsten Winter vorzubereiten". Er machte aber keinen Hehl daraus, dass der Kompromiss für manche in der Partei schwer zu schlucken gewesen sei. Aber die Kohleverstromung sei "mindestens mindestens so schmerzhaft für uns", so Nouripour.
Über die Proteste im Iran sagte er: Es brauche "massiven Druck auf dieses Regime". Trotzdem sagte er, dass das Atomabkommen mit dem Iran erneuert werden sollte. Man müsse "alles dafür tun, dass sie die Bombe nicht bekommen".

Nargess Eskandari-Grünberg: Die Frankfurter Bürgermeisterin (Bündnis 90/Die Grünen) sagte über die Lage im Iran: "Wir dürfen nicht schweigen. Wir dürfen nicht den Atomdeal gegen diese Menschen abwiegen." Ob die Proteste eine Chance haben, hängt in ihren Augen von vielen Faktoren ab. Einer sei eine starke europäische Stimme und starke Sanktionen gegen das iranische Regime.

Stefan Aust: Der "Welt"-Herausgeber sah in der Anwendung der Richtlinienkompetenz durch Scholz "verspätete Stärke". Er glaubt, die anderen Parteichefs hätten nur darauf gewartet, dass er das entscheidet und den Streit beendet. Ob die Ampel nur per Dekret zu führen sei? "Nein, das glaube ich nicht", war Aust überzeugt. So ein Machtwort müsse eine Ausnahme bleiben.

Allerdings hätte man von den anderen Parteivorsitzenden auch erwarten können, dass sie die Realitäten bei der Energieversorgung auch so erkennen und sich – vor dem "Scholz-Basta" - nicht nach den "vermuteten Vorlieben ihrer Parteikollegen entscheiden." Da gab es Applaus vom Publikum.

Zum Ukraine-Krieg sagte Aust: Er bezweifelt, ob es richtig war, dass der ukrainische Präsident Selenskyj verboten hat, mit Putin zu verhandeln. Der Krieg müsse schnellstmöglich beendet werden – am Verhandlungstisch und nicht auf dem Schlachtfeld.


Jessica Berlin: War die Anwendung der Richtlinienkompetenz nun stark oder schwach vom Kanzler, wollte Maischberger wissen. Die Politikwissenschaftlerin erklärte: "In diesem Fall war es einfach vernünftig. Besser spät als nie". In der Ukraine kann Berlin Selenskyi und seine Weigerung, mit Putin zu verhandeln, verstehen.

Sie beklagte zudem, dass Russland seit zehn Jahren einen hybriden Krieg gegen die Nato führe. Etwa indem es bei Wahlen und der Brexit-Kampagne in Großbritannien beziehungsweise den USA aktiv gewesen sei.

Ulrike Herrmann: Für die taz-Journalistin führt Olaf Scholz "von hinten", genau wie Vorgängerin Angela Merkel (CDU). Wenn er wisse, wo die Mehrheiten sind, dann entscheide er pragmatisch. "Das ist Führungsstil mit Zukunft", weil das Gesicht aller drei Parteien gewahrt bleibe.

In Bezug auf den russischen Präsidenten Putin vertrat Herrmann eine klare Linie. "Putin ist gefährlich." Und er sei immer noch gefährlich – auch nach Friedensverhandlungen. "Es ist genau so wie Scholz gesagt hat: Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen." Dafür erklang im Studio sehr langer Applaus.

Das war der Moment des Abends

Es waren bewegende Worte, mit denen Frankfurts Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg von ihren eigenen Erfahrungen in einem iranischen Gefängnis berichtete, weil sie als junges Mädchen gegen das Regime protestiert hatte. "Applaus für diese Menschen, die auf die Straße gehen. Ich bin total stolz auf sie", sagte die Grünen-Frau, die in Gefangenschaft Hinrichtungen erlebt und eine Tochter geboren hat. "Das ist so emotional für mich."

Das war das Rededuell des Abends

Ulrike Hermann und Stefan Aust – da stießen in Fragen der Energiepolitik Welten aufeinander. Herrmann will die Erneuerbaren radikal ausbauen, setzt auf Energieeffizienz und "grünes Schrumpfen". Das heißt, sie will, dass das Wirtschaftssystem an die klimaneutralen Energien angepasst wird, statt grenzenlos zu wachsen. Aust widersprach heftig.

Um etwa ein Drittel des Stroms in Deutschland mit Windkraft zu erzeugen, müsse man 300.000 Windräder aufstellen, rechnete er vor. Fast ein Windrad pro Quadratmeter. "Good Luck", sagte er mit sarkastischem Unterton zu Herrmann. Die taz-Frau rechnete ihm dagegen vor, dass ein breiter Gürtel auf der Welt von Brasilien bis zum Iran und Indonesien wegen der steigenden Hitze in 50 Jahren nicht mehr bewohnbar sein wird. Aust schüttelte mit dem Kopf. Von sogenannten "Weltuntergangsszenarien" hielt er nichts.

Das ist das Fazit

Christian Lindners Antwort auf die Energiekrise in Deutschland? Er machte sich für die Förderung der heimischen Öl- und Gasvorkommen stark sowie die Anwendung der Fracking-Technologie. "Da kommen keine Erdbeben", prophezeite der Oberliberale. Mit diesen Positionen wird er sich gegen den grünen Koalitionspartner kaum durchsetzen können, aber vielleicht ist ja für die Ökopartei zumindest bei einigen Punkten wieder ein Kompromiss möglich. Ob es der Koalition gut tut, wenn sich die beiden kleineren Partner weiter aneinander reiben, ist eine anderen Frage.

Wie soll die Welt mit Putins Drohungen mit Atomwaffen umgehen? Ulrike Hermann betonte: "Es muss ganz klar sein, dass man mit Atomwaffen nicht drohen darf." Das seien immer Waffen zur Abschreckung gewesen, jetzt mache sie Putin zumindest rhetorisch zu Angriffswaffen. In ihren Augen ein absolutes No-Go. Stefan Aust, ein Kind des Kalten Krieges, wünscht sich bei diesem Punkt mehr Vorsicht bei den westlichen Politikern. Er könne sich vorstellen bei einer Nuklearmacht, dass sie auch zu den letzten Mitteln greift. Sprich: Atomwaffen einsetzt.

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Auch beim Iran waren sich die Gäste nicht einig. Soll das Atomabkommen nun wiederbelebt werden oder nicht? Die Hoffnung von Nargess Eskandari-Grünberg und Omid Nouripour wäre es natürlich, die Verhandlungen mit einem demokratischen Iran zu führen und nicht mit dem Mullah-Regime. Aber das bleibt wohl fürs Erste nur eine vage Hoffnung. Niemand weiß, wie sich die Dinge im Iran in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln werden. Schon jetzt dringt aufgrund des teilweise abgeschalteten Internets nur ganz wenig nach außen. Nouripours Fazit: "Das Allerwichtigste ist, dass diese Frauen nicht verstummen."

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