Nach dem Tod des Regierungspräsidenten Walter Lübcke scheint in Deutschland eine Diskussion über die Gefahr des Rechtsextremismus' in Gang zu kommen. Auch bei Maybrit Illner waren der Fall Lübcke und die Gefahr von rechts Thema - und es wurde Klartext geredet. Der große Gewinn der Diskussion war daher die Diskussion selbst.

Christian Vock
Eine Kritik
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Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde Anfang Juni aus nächster Nähe erschossen. Zuvor hatte der CDU-Politiker Morddrohungen erhalten, nachdem er sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte.

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Inzwischen führen Indizien zu dem vorbestraften Rechtsextremen Stephan E., der Tatverdächtige schweigt bisher zu den Vorwürfen. Es ist zurzeit noch unklar, ob es sich um die Tat eines Einzelnen handelt oder ob ein Netzwerk dahinter steckt. Maybrit Illner fragte in ihrer Sendung daher: "Mordfall Lübcke - rechter Terror in Deutschland?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner

Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen

Die gesellschaftliche Stimmung

Von Illner zu den Hasskommentaren, die Lübcke erhielt, befragt, erklärt Joachim Herrmann, dass solchen Beleidigungen vehementer nachgegangen werden müsse, das Internet sei kein rechtsfreier Raum.

Dem kann Sascha Lobo nur zustimmen, fasst das Problem aber weiter: "Die Politik muss auch selbst auf ihre Sprache achten. (…) Die Stimmungen im Internet werden von einer vergleichsweise breiten Front gestützt, die eine merkwürdige Form von Notwehr herbei imaginieren. Zum Beispiel, wenn Herr Seehofer davon spricht, es gebe eine Herrschaft des Unrechts. Dann ist das ein Signal an bestimmte Leute: Jetzt müssen wir eine Art Aufstand machen."

Organisationsgrad der Rechtsextremen

Rechtsextremismusexperte Olaf Sundermeyer ist sich sicher: "Es gibt ein hartes Netzwerk von nationalsozialistisch orientierten Menschen, die seit Jahren bestrebt sind, Menschen zu töten. Wir haben es mit demselben Umfeld von Zschäpe, Bönhardt und Mundlos zu tun."

Zum Schutz der Bürger vor den gewaltbereiten Rechtsextremisten, die es in Deutschland gibt, meint Verfassungsschützer Stephan Kramer: "Auch wenn es angesichts der Brutalität schwerfällt, müssen wir uns einen kühlen Blick erhalten und uns im Klaren darüber sein: Bei 24.000 Rechtsextremisten, 12.700 gewaltbereite, können Sie sich ausrechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir diese 12.700 24 Stunden, 7 Tage die Woche auf dem Radarschirm haben."

An dieser Stelle hat die Diskussion für Lobo eine Unwucht: "Der nackte Fokus nur auf die Nazis, der gefällt mir gar nicht. Wir reden hier von gesellschaftlichen Stimmungen, die man hier analysieren muss. (…) Es gibt seit Jahrzehnten eine Tendenz der Verharmlosung und der Normalisierung. Zum Beispiel ist die AfD, ich zitiere mal den Zentralrat der Juden, 'eine in weiten Teilen rechtsradikale Partei'. Immer wieder wird so getan, als sei das eine völlig normale, demokratische Partei. Das halte ich für einen katastrophalen Fehler."

Sundermeyer teilt die Ansicht bezüglich der AfD: "In Brandenburg ist die AfD eine rechtsradikale Partei und in Sachsen sehen wir das auch."

Das Versagen der Behörden

Hier ist sich Janine Wissler, die erst eine halbe Stunde später zur Runde stieß, sicher: "Es gibt ein echtes Problem in unseren Behörden. Das hat die Geschichte des NSU gezeigt. Sowohl bei den Polizei- als auch bei den Verfassungsschutzbehörden."

Dem hält Kramer entgegen: "Seit dem NSU hat sich vieles verändert und vieles getan. Es ist noch Luft nach oben, aber solche Dinge können nicht mehr vorkommen."

Bezüglich des Gefährdungspotenzials der Rechtsextremen gibt Sundermeyer eine beängstigende Einschätzung ab: "Das, was jetzt in Wolfhagen bei Kassel passiert ist, behaupte ich, kann an jedem Tag jederzeit in Deutschland überall genau in dieser Art und Weise wieder passieren."

Der eindringlichste Moment des Abends

Stellvertretend für die Opfer rechtsextremer Gewalt hatte Maybrit Illner Markus Nierth eingeladen. Der ehemalige Bürgermeister von Tröglitz musste wegen massiver Drohungen, auch gegen seine Familie, hinschmeißen.

Nierth gelang es, in der Diskussion zu zeigen, was es bedeutet, rechtem Terror ausgeliefert zu sein. Nierth berichtet, dass nach dem Mord an Walter Lübcke bei ihm und seiner Familie die Erinnerungen an die Morddrohungen und die Briefe mit Kot hochkämen und noch Schlimmeres: "Es kommt hoch, dass es doch eine Realität für einen selbst werden kann, weil auch bei Dr. Lübcke die Täter mehrere Jahre gewartet haben."

Für Nierth war zum einen die Angst seiner Familie belastend, sein Sohn habe ihm weinend gesagt: "Papa, ich hab' Angst vor den Nazis." Zum anderen fehlte ihm damals die Unterstützung der anderen: "Da marschieren normale, sogenannte Wut-Bürger mit Faschisten durch den Ort und alle ducken sich weg."

Das Fazit

Dass es in Deutschland ein massives Problem mit gewaltbereiten Rechtsextremen und fremdenfeindlichem und rassistischem Gedankengut gibt, kann jeder wissen, der es wissen möchte. Allein die Diskussion, wie sie bei anderen Problemen gleicher Größenordnung selbstverständlich wäre, hat beim Thema Rechtsextremismus bisher so nicht stattgefunden.

Das Hauptverdienst der Diskussion bei Illner war daher die Diskussion selbst. Der erste Schritt zur Bewältigung eines Problems ist, dass man erst einmal erkennt, dass es dieses Problem gibt - und man etwas dagegen tun muss. Nicht nur bei der Polizei, der Politik oder dem Verfassungsschutz, sondern am Stammtisch, am Gartenzaun, bei der Familienfeier, überall.

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