Drei Jahre nach dem Diesel-Skandal hat die Bundesregierung einen mühsamen Diesel-Kompromiss ausgehandelt. Ein Automobil-Experte nannte das Ergebnis bei Maybrit Illner "ärmlich", Grünen-Chefin Annalena Baerbock beklagte einen massiven Vertrauensverlust in die Politik.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Zwölf Millionen Dieselfahrer gibt es in Deutschland. Macht zwölf Millionen Menschen, die drei Jahre nach dem Skandal um manipulierte Abgaswerte auf viele Fragen immer noch keine Antworten bekommen haben. Das könnte sich durch das neue Diesel-Konzept nun ändern.

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Worum geht es?

Die Bundesregierung hat nach zähen Verhandlungen ein mühsam geschnürtes Diesel-Konzept vorgelegt. Mit dem Ergebnis, dass weder Steuerzahler noch Dieselfahrer belastet werden und Fahrverbote vermieden werden sollen.

Verbraucher sollen "Umtauschprämien" erhalten, um sich ein neues Gefährt kaufen zu können. Die Nachrüstung älterer Diesel stößt hingegen auf Widerstand der Automobilindustrie, die dadurch tief in die Tasche greifen müsste.

Gesetzlicher Druck? Der ist im Kompromiss nicht vorgesehen. Maybrit Illner sprach mit ihren Gästen über den umstrittenen Kompromiss.

Wer sind die Gäste?

Bernd Althusmann: Der CDU-Wirtschaftsminister von Niedersachsen sitzt im VW-Aufsichtsrat und fand überraschend deutliche Worte zum Abgasskandal. "Wir werden alles dafür tun, um jeden Stein umzudrehen, um Verantwortlichkeiten zu klären und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen."

Fragt sich, warum das in den vergangenen drei Jahren nur unzureichend geschehen ist. Das wichtigste Gut sei das "Wiederherstellen von Vertrauen", so Althusmann, der zugleich die Bedeutung der Autobauer für die deutsche Wirtschaft hervorhob.

Prof. Ferdinand Dudenhöffer: Der Automobilexperte von der Universität Duisburg-Essen brachte eine leichte Krawallnote in die Sendung, legte sich mit Althusmann und Grünen-Chefin Baerbock an. Den Kompromiss bezeichnete er als "erbärmlich".

Zur geplanten Erhöhung der Stickoxidobergrenze, um Fahrverbote zu umgehen, sagte er: "Das ist ja fast schon Bananenrepublik." Sogar für die hohen Umfragewerte der Grünen und der AfD machte er den Vertrauensverlust in die Regierung verantwortlich. Zu Abgastests unter Laborbedingungen sagte er spöttisch: "Der liebe Gott könnte keine besseren Bedingungen schaffen."

Uwe Hochgeschurtz: Der Vorstandsvorsitzende der Renault Deutschland AG trug inhaltlich wenig zu einer echten Debatte bei. Er bemühte sich vorwiegend, seine Botschaft unters Volk zu bringen – und die lautete: "Es gibt keine Schummelsoftware und keine illegalen Abschalteinrichtungen bei Renault." Haben wir vermerkt.

Annalena Baerbock: Die Grünen-Chefin trat weniger streitlustig als gewohnt auf. Könnte an den bayerischen Landtagswahlen liegen. Da will man sich vielleicht keinen Bock mehr erlauben. Baerbock kritisierte, die Automobilindustrie tanze der Regierung auf der Nase herum.

Sie sprach sich für Hardwarenachrüstungen auf Kosten der Industrie aus und forderte die Koalition zum Handeln auf. Laut ihrer Aussage würden die für alle betroffenen Fahrzeuge in Deutschland eine Milliarde Euro kosten.

Florian Pronold: Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium (SPD) sagte, es sei wichtig, dass man die Menschen "mit einem kleinen Geldbeutel nicht im Regen stehen lässt".

Fast im Wahlkampfmodus behauptete der Bayer, Angela Merkel und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (beide CDU) seien im Dieselkompromiss auf SPD-Linie eingeschwenkt. Auf Illners Frage, warum man die Autobauer nicht zu Hardware-Nachrüstungen zwinge, sagte Pronold: "Es gibt keine rechtliche Grundlage, um die Autobauer zu zwingen."

Matthias Schmitz: Der VW-Fahrer müsste trotz Prämie 15.000 bis 18.000 Euro bezahlen, um einen Neuwagen seines aktuellen Pkw-Typs mit gesetzlichen Abgasvorschriften zu bekommen. Schmitz will sich im November der Musterfeststellungsklage von Verbraucherzentralen und ADAC anschließen.

Klaus Müller: Der Vorstand vom Verbraucherzentralen Bundesverband stellte fest, dass die Verbraucher "ganz offensichtlich" eine geringere Lobby als die Autobauer hätten. Seine Forderungen: Rabattaktion der Konzerne mit einer Mobilitätsgarantie oder von den Konzernen bezahlte Hardwarenachrüstungen – und Gerechtigkeit.

Was war das Rededuell des Abends?

Ferdinand Dudenhöffers Brandrede gegen Annalena Baerbock. Nachdem die Grüne die Regierung aufgefordert hatte, die Industrie zu Hardware-Nachrüstungen zu verpflichten, platzte es aus ihm heraus. "Sie wissen ganz genau, dass es rechtlich nicht geht. Sie machen jetzt Wahlkampf , indem Sie sagen, ihr müsst die Automobilindustrie zwingen."

Baerbock widersprach empört: "Es geht sehr wohl!"

Aber Dudenhöffer legte nach: "Nein, es geht eben nicht. Wir haben ein Rechtssystem und in dem Rechtssystem ist was verkauft worden. Das Fahrzeug gehört nicht mehr den Autobauern, sondern den Autofahrern. Einfach zu sagen, wir müssen die Autoindustrie zwingen, ist Demagogie." Baerbock sagt daraufhin nichts mehr.

Was war der Moment des Abends?

Ein anderes Mal punktete die Grüne gegen den Wissenschaftler. Der hatte ihr vorgeworfen, dass die Grünen eine Mitverantwortung für die schlechte Luft in Deutschland trügen und untätig gewesen seien in den letzten Jahren.

Da musste Baerbock lachen. "Wir waren vor 15 Jahren das letzte Mal in der Bundesregierung", entgegnete sie Dudenhöffer.

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Der Moderatorin war eine leichte Sympathie für die Diesel-Geschädigten anzumerken. Allerdings hätten ein paar kritischere Nachfragen an Renault-Chef Hochgeschurtz und VW-Vorstand Althusmann der Debatte gut tun können.

Auch die Verantwortung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für das zögerliche Handeln der Regierung wurde außen vor gelassen.

Was ist das Ergebnis?

VW wird in die Bezahlung der Hardwarenachrüstung einsteigen, wenn alle anderen Autobauer einsteigen, kündigte CDU-Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Althusmann an.

Warum der Konzern nach den eigenen Verfehlungen an der Stelle nicht eine Vorreiterrolle einnehmen kann, sagt er nicht. Sollte es nicht dazu kommen, drohen Millionen Dieselfahrern erhebliche Kosten oder angesichts von Fahrverboten in deutschen Städten Einschränkungen ihrer Mobilität.

Viel Vertrauen ist in den letzten Jahren verspielt worden. Auch durch eine Bundesregierung, die den Eindruck erweckte mehr auf Seite der Autobauer als der Geschädigten zu stehen.

Vielleicht ist an der These Ferdinand Dudenhöffers tatsächlich etwas dran: Auch durch den Vertrauensverlust in die Regierung im Umgang mit dem Dieselskandal seien einer Partei wie der AfD womöglich viele Wähler zugelaufen.

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