Bei Sandra Maischberger geht es turbulent zu: Der Bundesfinanzminister muss teure Staatshilfen für große Konzerne rechtfertigen – und Reiner Calmund redet sich beim Thema Geisterspiele in Rage.

Eine Kritik

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Lockern oder nicht lockern? Über keine Frage diskutiert das vom Corona-Lockdown betroffene Deutschland derzeit so emotional wie über diese.

Auch die Runde bei Sandra Maischberger machte am Mittwochabend keine Ausnahme. Es ging sogar so hoch her, dass die Moderatorin am Ende Mühe hatte, ihre Sendung zu beenden.

Interessant zu wissen wäre, ob auch die Bundeskanzlerin zugeschaut hat: Angela Merkel ist bekanntlich keine Freundin davon, über Öffnungen nach dem Lockdown zu diskutieren. Doch daran hielt sich in dieser Sendung niemand.

Wer waren die Gäste?

  • Olaf Scholz: Die Wirtschaft wieder in Gang bringen, dabei aber höchst vorsichtig bleiben: Auf diese Formel ließe sich die Botschaft des Bundesfinanzministers und Vizekanzlers zusammenfassen: "Wir brauchen eine neue Normalität, in der wir nicht so tun, als wäre das Virus nicht da", sagt der SPD-Politiker.
  • Alexander Kekulé: Der Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Universität Halle-Wittenberg ist seit Wochen Dauergast in Talkshows und hat dort schon viele Meinungen vertreten. Er wirbt dafür, Risikogruppen zu schützen, um den Jüngeren wieder mehr Normalität zu gönnen. Schließlich müsse man noch mindestens ein Jahr auf einen Impfstoff warten. "Wir brauchen eine Vision, einen Plan, wie wir überleben, wenn der Impfstoff erst in einem Jahr kommt."
  • Hubertus Meyer-Burckhardt: Der Fernsehmoderator fordert von der Politik, dass dem Bürger in der Coronakrise wieder mehr Eigenverantwortung zugestanden wird. "Ich bin nicht bereit, zu sehen, dass eine Volkswirtschaft so den Bach runtergeht."
  • Cerstin Gammelin: Jetzt nur mehr Freiheiten einzufordern, reiche nicht, findet die Parlamentskorrespondentin der "Süddeutsche Zeitung": "Wenn ich mir die Freiheit nehme, rauszugehen und mein Leben zu führen, wie ich das gerne führen will, dann muss ich auch die Verantwortung dafür übernehmen, dass ich möglicherweise andere Menschen anstecke."
  • Peter Lohmeyer: Der Schauspieler ärgert sich über den Plan, Geisterspiele in der Bundesliga wieder zuzulassen, wenn gleichzeitig weder Amateurvereine noch Kinder Fußball spielen dürfen: "Das ist das falsche Signal nach draußen."
  • Reiner Calmund: Gesundheit gehe vor, betont der frühere Manager von Bayer Leverkusen. Allerdings sagt er auch: "Jetzt bin ich heiß, ich will sehen, wie wieder gespielt wird." Die Deutsche Fußball-Liga habe dafür ein "erstklassiges Konzept" vorgelegt.

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Was war der Moment des Abends bei "maischberger. die woche"?

Ein Interview mit dem stoischen Bundesfinanzminister hat selten einen hohen Spannungsfaktor. Auch an diesem Abend begann das Gespräch zäh: Auf Sandra Maischbergers sehr lange Fragesätze antwortete Olaf Scholz mit sehr langen, unkonkreten Antwortsätzen.

Doch dabei blieb es nicht. Der Vizekanzler geriet von allen Seiten unter Beschuss, als sich auch die anderen Gäste einschalteten.

Journalistin Gammelin beklagte eine sehr große Umverteilung: Von der Krankenschwester bis zum Arzt müssten jetzt alle die Steuergelder zahlen, aus denen große Unternehmen wie VW und Lufthansa gerettet werden. Kann das fair sein?

Meyer-Burckhardt setzte noch einen drauf: "Alle, die jetzt den Lockdown beschlossen haben, sind selbst in einer wirtschaftlich sehr stabilen Situation."
Er habe ein "mulmiges Gefühl", sagte Scholz später, als es um die Schulden ging, die Deutschland sich jetzt aufhalst. Doch womöglich gilt das ein bisschen auch für das Kreuzverhör, in dem er sich in der Sendung befindet.

Was war das Rede-Duell des Abends?

Vielen Zuschauern dürften langsam die Augen zufallen sein, als es kurz nach Mitternacht noch einmal richtig turbulent wurde.

Ein emotionales Thema stand an. Schauspieler Lohmeyer ("Das Wunder von Bern") ärgert sich als Fan über die Abgehobenheit des deutschen Spitzenfußballs: "Die Liga ist wie ein Konzern, der sich immer weiter von uns entfernt hat."

Das wiederum ärgert Sportfunktionär Calmund maßlos. Lohmeyers Forderung, man müsse den gesamten internationalen Sport jetzt kritisch durchleuchten, findet er "populistisch und zynisch". Alle Vereine der Deutschen Fußball-Liga würden schon jetzt "knallhart" geprüft.

Lohmeyer ließ sich von seiner Linie aber nicht abbringen. Über die Vereine der "dritten, vierten, fünften Liga" werde gar nicht geredet – dabei hätten die von Geisterspielen gar nichts, kritisiert er. Und Calmund? Der regte sich so sehr auf, dass nicht mehr ganz klar ist, was er eigentlich sagen will.

Wie hat sich Sandra Maischberger geschlagen?

Die Moderatorin gab sich an diesem Abend hartnäckig, vor allem im Gespräch mit Scholz. Den konfrontativen Stil kann man mögen oder nicht – Maischberger kommt damit meistens gut durch, weil sie immer freundlich bleibt.

Bis auf ein paar Ausnahmen schaffte sie es, die Spannung zu später Stunde zu halten. Auch vor einer Spitze gegen den Virologen Kekulé schreckte sie nicht zurück. Als der behauptete, die Diskussion über die Maskenpflicht sei "durch", entgegnet Maischberger süffisant: "Sie haben dazu ja auch schon zwei Positionen gehabt."

Was ist das Ergebnis?

Geisterspiele der Fußball-Bundesliga erhitzen die Gemüter. Das wird an diesem Abend nicht nur am Streit von Lohmeyer und Calmund klar. Denn wenn die Profis wirklich wieder spielen sollen, werden zwangsläufig Vergleiche gezogen: Wenn die das dürfen, warum nicht andere?

Warum gebe es ein so durchdachtes Testkonzept wie für die Fußball-Bundesliga nicht auch für Altenheime, fragte Virologe Kekulé.

20.000 Tests – warum mache man die nicht in Kindergärten, wollte Gammelin wissen.

Und Meyer-Burckhardt brachte die Kultureinrichtungen ins Spiel, die derzeit auch keine Aussicht auf Normalität haben.
Die Befürworter der Geisterspiele werden noch Überzeugungskraft beweisen müssen. Das zeigte die Schlussszene dieser Sendung: Jeder hätte noch etwas zu sagen. Lohmeyer kratzte sich am Kopf, Maischberger versuchte verzweifelt, die Sendung zu beenden. Und im Hintergrund schimpfte Calmund über so viel Unverständnis - und schimpfte und schimpfte.

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