Das politisch perfekte Sommerhoch neigt sich dem Ende. Für die umfragen-verwöhnten Grünen stehen schwierige Wochen bevor. Die Wahlen im Osten sind ein Desaster. Es knirscht im Gebälk und die Nation wechselt ihre Themen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es war der politisch beste Grünen-Sommer aller Zeiten. Deutschland lauschte Greta Thunberg und befasste sich wochenlang nur mit Klimawandel, Diesel-Skandal und brennenden Amazonas-Wäldern. Die geschmeidigen Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck lösten die zerzausten SPDler als rotgrüne Stichwortgeber der Nation ab; zwischenzeitlich segelte man bei den Umfragen geschmeidig sogar an der Union vorbei, ein grüner Kanzlerkandidat schien vielen eine ernste Option.

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Schlechte Wahlergebnisse für Grüne bei Landtagswahlen

Doch damit ist es nun vorbei. Seit einigen Wochen kühlt das grüne Sentiment ab wie die Abendtemperaturen am Badesee. Die Umfragewerte fallen, plötzlich liegt die Union wieder vorne, und die SPD erholt sich.

Erste Gewitter sind für die Grünen im Osten aufgezogen, als die Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg unerwartet weit hinter den Prognosen blieben. Kümmerliche zehn Prozent, und ausgerechnet im Landesverband der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock landeten die Grünen nur noch auf dem fünften Platz.

Für die nun anstehenden Wahlen in Thüringen wird wiederum nur Platz vier oder fünf erwartet, zweistellige Ergebnisse wären schon ein Überraschungserfolg. Damit zerplatzt die sommerliche Siegeraura.

Kurzarbeit statt Klimaangst

Obendrein ändert sich die Debattenlage in Deutschland. Mit den schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft lösen Konjunktursorgen die Klimaängste zusehends ab. Über den Brexit wird wieder mehr gesprochen als über Baumrinden, die Kurzarbeit macht plötzlich doch konkrete Ängste als das Klima.

Und da die anderen Parteien ergrünen, die Bundesregierung ein großes Klimapaket verabschiedet hat und selbst Markus Söder (CSU) neuerdings jede Biene persönlich umhegt, fällt es den Grünen schwerer, kommunikativ zu punkten, ohne in extreme und damit unpopuläre Forderungen zu verfallen. Plötzlich passieren kommunikative Fehler wie Robert Habecks Ahnungslosigkeit in Sachen Pendlerpauschale.

Grüne: Cem Özdemir mischt wieder mit

Der offene Machtkampf um die Fraktionsführung ist ein weiteres Indiz dafür, dass für die Grünen nun wieder machtpolitischer Alltag einkehrt. Cem Özdemir will zurück in die erste Reihe der grünen Politik. Er gehört zum Besten, was die deutsche Politik an Personal zu bieten hat.

Charismatisch, rhetorisch stark, haltungssicher und doch verbindlich. Der anatolische Schwabe war zehn Jahre Parteivorsitzender; er verkörpert neben Winfried Kretschmann die neue, anschlussfähige, bürgerliche Grünenpartei und führte die Beliebtheitsumfragen der Republik vor zwei Jahren an.

Er schien als Außenminister, der auch einem Erdogan die Stirn bieten kann, schon gesetzt. Doch als die Jamaika-Koalition platzte, platzte auch seine Karriere. "From Hero to Zero", jammerte sein Umfeld. Nun wäre er der prädestinierte Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Doch der will verlängern.

Cem Özdemir ist derzeit bloß Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, und das ist ungefähr so als dürfe Sebastian Vettel nur noch einen Fiat 500 fahren. Die Abstimmung um die Grünen- Fraktionsspitze hat er nun zwar knapp verloren. Doch seine Ambitionen bleiben bestehen. Denn das Duo Katrin Göring-Eckardt/ Anton Hofreiter führt die Fraktion (bereits seit Oktober 2013) unsicher, blass und uninspiriert. Weder im Wahlvolk noch in der Fraktion sind die beiden sonderlich beliebt.

Grünen-Absturz: Überspannt Robert Habeck seine Selbstinszenierung?

Özdemirs Ambition steht nun direkt gegen die der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Beide haben kein Interesse daran, dass sie charismatische Konkurrenz bekommen. Sie sonnen sich im Licht der gesammelten Aufmerksamkeit, gerade weil die Fraktion so schwach vertreten ist. Das ändert sich nun mit einem wieder lebhafteren Özdemir.

Und plötzlich wird auch über den bislang so unumstrittenen Habeck innerparteilich diskutiert. Für manchen Bundestagsabgeordneten wirkt die mediale Selbstinszenierung von Habeck bereits überspannt. Intern wird über Habeck Stil als "gutenbergisch" gewitzelt. Viele könnten sich Özdemir sehr gut als handfeste Alternative in der Außendarstellung vorstellen.

Die Monate des innerparteilichen Friedens sind also auch vorbei, zumal zwischen dem. Bürgerlichen, süddeutschen Flügel um Winfried Kretschmann und den linken Truppen in Norddeutschland Richtungsdebatten drohen. Das aber wäre wirklich gefährlich, denn der Grünen-Höhenflug der vergangenen zwei Jahre lag auch darin begründet, dass sich die Grünen - anders als früher - in der Öffentlichkeit kaum noch gestritten haben und als Einheit aufgetreten sind. Die innere Windstille ist nun vorbei.

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