• FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai fordert schärfere Sanktionen gegen die Regierung des Iran.
  • Gespräche über ein Atom-Abkommen mit Teheran haben aus seiner Sicht keine Zukunft: "Was wäre das für eine Botschaft an die Menschen, die gerade auf der Straße sind?"
  • Im Interview mit unserer Redaktion spricht Djir-Sarai außerdem über das Verhältnis zu China und seinen Blick auf die Ampel-Koalition.
Ein Interview

Herr Djir-Sarai, Sie haben Ihre Kindheit in Teheran verbracht. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie derzeit die Bilder von der gewaltsamen Niederschlagung der regierungskritischen Proteste im Iran sehen?

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Bijan Djir-Sarai: Trauer, Wut gegenüber dem iranischen Regime und natürlich sehr viel Solidarität mit der mutigen Zivilgesellschaft. Die Demonstrierenden sind junge Männer und vor allem junge Frauen, die keine Reformen fordern, sondern die Abschaffung der Islamischen Republik. Mittlerweile haben sich die unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen den Protesten angeschlossen. Die Qualität der jetzigen Proteste ist auch eine andere als die vergangener Demonstrationen. Im Iran findet ein echter revolutionärer Prozess statt.

Halten Sie es wirklich für denkbar, dass das Regime über diese Proteste stürzt?

Die iranische Zivilgesellschaft ist sehr politisch und aufgeschlossen. Der Iran ist ein Land mit unglaublich gut ausgebildeten jungen Frauen und Männern. Dieser revolutionäre Prozess, den wir dieser Tage auf den Straßen des Iran sehen, wird vermutlich lange dauern, er kann sich über Jahren ziehen. Aber am Ende wird er erfolgreich sein. Das Regime reagiert zwar mit massiver Gewalt, aber die Forderungen der Menschen nach Freiheit, nach besseren Lebensperspektiven, nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kann es nicht mehr unterdrücken.

Die Bundesregierung hat zusammen mit der EU erste Sanktionen beschlossen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat auch den iranischen Botschafter einbestellt. Reicht das?

Nein. Die Bundesregierung, aber auch die EU, müssen mehr machen, beispielsweise in puncto Sanktionen. Außerdem muss die EU eine neue Strategie für den Iran entwickeln. Die bisherige Strategie hat aus meiner Sicht nicht funktioniert. Die dramatische Lage der Menschenrechte, das iranische Raketenprogramm, die destabilisierende Rolle des Irans in der Region: All das wurde in der Vergangenheit so gut wie ignoriert, weil man das Atom-Abkommen zu einem Ergebnis führen wollte. Aus meiner Sicht ist diese einseitige Ausrichtung ein Fehler gewesen.

Mit dem Atom-Abkommen will der Westen den Iran vom Bau einer Atombombe abhalten. Wie wahrscheinlich ist es, dass das Abkommen noch zustande kommt?

Eine Fortführung der Gespräche über das Abkommen würde bedeuten, dass man mit einem menschenverachtenden Regime verhandelt, das von der eigenen Bevölkerung komplett abgelehnt wird und keinerlei Legitimation besitzt. Die Menschen in der gesamten Region lehnen das Atom-Abkommen ab. Die arabischen Golfstaaten lehnen es ab. Israel lehnt es ab. Selbst die Bevölkerung im Iran lehnt es ab. Sie alle sind der Meinung, dass das Abkommen zu einer Stärkung des iranischen Regimes führen würde und nicht etwa zu einer Entspannung der politischen Lage. Warum glauben wir eigentlich, besser zu wissen, was gut für die Region ist, als die Menschen, die dort leben? Wenn wir jetzt wieder Gespräche mit dem Iran führen würden – was wäre das für eine Botschaft an die Menschen, die gerade auf der Straße sind?

Also ist das Atom-Abkommen aus Ihrer Sicht tot?

Aus meiner Sicht hat dieses Abkommen keine Zukunft und steht auch nicht im Einklang mit der Realität.

Bijan Djir-Sarai: "Man kann sich bei den Kanadiern und Amerikanern einiges abschauen"

Sie sagen, die Bundesregierung unternimmt noch nicht genug. Was könnte sie noch unternehmen?

Deutschland und die EU müssen personenbezogene Sanktionen gegen die Vertreter des iranischen Regimes verhängen, die umfassender, schärfer und zielorientierter sind als die, die derzeit in Kraft sind. Da kann man sich bei den Kanadiern und Amerikanern einiges abschauen. Außerdem müssen die Verhandlungen über das Atom-Abkommen offiziell ausgesetzt werden. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das iranische Regime sich gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung, gegen die Menschenrechte und gegen die Freiheit überall auf der Welt stellt. Darauf sollte die westliche Staatengemeinschaft eine klare Antwort haben.

Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund für die nur zögerlichen Sanktionen: Deutschland hat im Iran auch wirtschaftliche Interessen.

Der Iran ist für Deutschland momentan wirtschaftlich irrelevant. Der immense Schaden, den das iranische Regime anrichtet, und das unfassbare Leid, das es produziert – all das ist viel gewichtiger als der kurzfristige wirtschaftliche Nutzen von guten Beziehungen.

Außenministerin Baerbock hat angedeutet, die Regierung könne die iranischen Revolutionsgarden – also die Streitkräfte des obersten Religionsführers – als Terrororganisation einstufen.

Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Klar ist: Derartigen Ankündigungen müssen auch schnell Taten folgen. Ich bin gespannt, wie stark sich das Außenministerium für solch eine Maßnahme einsetzt. Aber eine angemessene Reaktion auf das brutale Vorgehen des Regimes hat mehrere Bausteine. Ein weiterer Baustein, wie gesagt, müssen schärfere personenbezogene Sanktionen sein.

Warum sollte es einen Angehörigen der iranischen Machtclique stören, wenn er nicht mehr nach Europa einreisen darf?

Viele Vertreter der Islamischen Republik haben Vermögen im Ausland. Manche leben sogar dort, oder ihre Kinder studieren im Ausland. Hier in Europa führen sie ein gutes Leben – und im Iran unterdrücken sie die eigene Bevölkerung. Das dürfen wir nicht zulassen.

"Wir brauchen eine neue Strategie im Verhältnis zu China"

Die Menschenrechtssituation spielt auch im Verhältnis zu China eine Rolle. Bald reist Bundeskanzler Olaf Scholz dorthin. Was erwarten Sie von ihm?

Ich erwarte, dass der Bundeskanzler sich klar für die Interessen Deutschlands einsetzt und Themen wie die Einhaltung der Menschenrechte, den regelbasierten und fairen Handel und ebenso die Probleme in der Zusammenarbeit anspricht. Diese klare Benennung der Themen ist unheimlich wichtig. Wir reden in Deutschland ja viel über den Begriff der Zeitenwende. Der Bundeskanzler hat ihn selbst formuliert. Wir dürfen die Fehler in der Russlandpolitik nicht wiederholen. Dazu gehört, dass wir wirtschaftliche Abhängigkeiten von autokratischen Staaten unbedingt reduzieren müssen und keine neuen schaffen. Deswegen brauchen wir auch eine neue Strategie im Verhältnis zu China.

China darf sich wohl an Container-Terminal in Hamburg beteiligen

Im Ringen um die umstrittene Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco an einem Containerterminal im Hamburger Hafen hat es einem Bericht zufolge einen Kompromiss gegeben. Die chinesische Staatsreederei werde nicht wie geplant 35 Prozent des Terminals Tollerort übernehmen können, sondern nur 24,9 Prozent, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Demnach kann der Konzern auf diese Weise als Minderheitsaktionär formal keinen inhaltlichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben.

War die deutsche Außenpolitik in der Vergangenheit zu sehr an wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet?

Die deutsche Außenpolitik der letzten Jahre war vor allem durch große Naivität geprägt. Das war leider weder werteorientiert noch interessengeleitet.

Wird die Ampel-Koalition das ändern?

Da bin ich zuversichtlich. Es ist gut, dass die Bundesregierung bereits an einer neuen China-Strategie arbeitet. Der barbarische russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt uns auf bittere Art und Weise, dass wir schleunigst neu darüber nachdenken müssen, wie wir unsere Interessen und Werte durchsetzen. Wir müssen in der Außen- und Sicherheitspolitik viel strategischer unterwegs sein als bisher.

Zur Frage, ob China sich an einem Hamburger Hafenterminal beteiligen darf, gab es in der Ampel allerdings unterschiedliche Haltungen.

Deswegen sage ich ja: Wir müssen unsere China-Politik anhand einer neuen Strategie neu ausrichten. Dazu gehört auch, dass wir das Außenwirtschaftsrecht verändern. Hier hat das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner ja bereits die Initiative ergriffen. China ist ein sehr wichtiger Handelspartner, aber gleichzeitig ein systemischer Rivale. Für diesen Widerspruch müssen wir eine tragfähige Lösung finden. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte EU.

"Mir ist wichtig, dass die Handschrift der FDP in der Koalition erkennbar ist"

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist bald ein Jahr im Amt. Drei Jahre liegen also noch vor Ihnen. Wird die Koalition das durchhalten?

Ich bin davon überzeugt, dass die Koalition nicht nur durchhält, sondern dass sie unser Land nach vorne bringt und zukunftsfest macht. In der Ampel-Koalition arbeiten drei sehr unterschiedliche Parteien zusammen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es immer einfach ist. Aber am Ende des Tages bringt die Koalition gute und pragmatische Lösungen zustande. Ich bin sicher, wenn wir in zehn Jahren über diese Koalition reden, wird es heißen: Das war genau die richtige Koalition zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn nur diese Konstellation war in der Lage, die Zeitenwende auch gesellschaftspolitisch mehrheitsfähig zu machen.

Nach der verlorenen Niedersachsen-Wahl hörten Sie sich anders an. Da haben Sie gesagt, die FDP habe große Probleme mit dieser Koalition.

Ich bin der Generalsekretär der FDP. Natürlich müssen und werden wir als FDP weiter unsere eigenen Schwerpunkte setzen, wie wir es mit der Forderung nach einer Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke gemacht haben oder mit der Abschaffung der kalten Progression, um eine Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger zu verhindern. Mir ist wichtig, dass die Handschrift der FDP in der Koalition erkennbar ist. In drei Jahren werden wir sagen können: Die FDP ist eine eigenständige liberale Partei der Mitte – und wir haben für dieses Land viel Gutes bewirkt.

Zur Person: Bijan Djir-Sarai wurde 1976 in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren. Als er elf Jahre alt war, schickten seine Eltern ihn zu seinem Onkel ins rheinische Grevenbroich, wo er Abitur machte. Danach studierte er Betriebswirtschaftslehre und war unter anderem Dezernent und stellvertretender Landrat des Rhein-Neuss-Kreises. 2009, 2017 und 2021 wurde er für die FDP in den Bundestag gewählt, wo er Mitglied im Auswärtigen Ausschuss ist. Im Dezember 2021 benannte ihn Parteichef Christian Lindner als neuen FDP-Generalsekretär.
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