CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer steht nach der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten in der Kritik. Der Konflikt mit dem dortigen Landesverband um Mike Mohring verdeutlicht einmal mehr, wie wenig sie sich innerhalb der Partei durchsetzen kann. Dabei steht Mohring selbst vor noch viel größeren Problemen.

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Die Thüringer CDU hat auf Durchzug gestellt, alle Warnungen aus Berlin ignoriert. "Das Verhalten der CDU im dritten Wahlgang geschah ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei, das will ich noch mal ganz klar stellen", sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Ich halte dieses Verhalten auch für ausdrücklich falsch."

Es ist sind zwei Sätze, die nicht besser verdeutlichen könnten, wie sehr die Machtbasis von Kramp-Karrenbauer weiter zusammengeschrumpft ist, nachdem am Mittwoch FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Unterstützung von CDU, FDP und AfD zum des Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde. Auch der Rücktritt Kemmerichs nach nur drei Tagen ändert nichts am Geraune innerhalb der Union. Glaubt man dem Landtagsabgeordneten Christian Herrgott, dann kamen Kramp-Karrenbauers mahnende Worte gar nicht in Thüringen an.

Nicht empfänglich genug für Warnungen?

Herrgott wirft dem Thüringer CDU-Landes- und Fraktionschef Mohring vor, dieser habe die Fraktion nicht über die Bedenken der Parteivorsitzenden informiert. "An dieser Stelle hat man dann gestern Abend in viele erstaunte Gesichter in der Fraktion geschaut", sagte Herrgott dem "Cicero" am Freitag. Vorangegangen war eine fünfstündige Krisensitzung in Erfurt. Mittendrin: Mohring und Kramp-Karrenbauer.

Herrgott zufolge hätten die Fraktionsmitglieder die Warnung der CDU-Chefin vor der Gefahr eines Umschwenkens der AfD auf den FDP-Kandidaten im dritten Wahlgang "zum ersten Mal" gehört. "Es wäre schön gewesen, wenn wir diese Information in der Klarheit gehabt hätten", erklärte der 35-Jährige.

Viel spricht allerdings dafür, dass das eher eine Schutzbehauptung ist. Es habe immer wieder lange Gespräche zwischen CDU-Bundes- und -Landesverband gegeben, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus der Union. Die Landtagsfraktion in Erfurt war demnach für eindringliche Warnungen gar nicht empfänglich, wie die Wahl zum Ministerpräsidenten ausgehen könnte, wenn die AfD mitstimmt. Auch Vertreter anderer Parteien hatten die CDU vor diesem Schritt vorab gewarnt.

Nach dem Thüringen-Debakel brodelt es in der CDU

Nach außen hin ist die Bundes-CDU seit dem Thüringen-Debakel um Geschlossenheit bemüht. Doch innerhalb der Partei brodelt es. Kritik an Parteichefin Kramp-Karrenbauer kommt unter anderem vom CDU-Wirtschaftsflügel und der Jungen Union (JU), deren Chef, Tilman Kuban, wirft ihr Führungsschwäche vor.

Zwar eilte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag selbst nach Erfurt, um dort das Durcheinander zu ordnen. Doch nach den mehrstündigen Beratungen mit der Thüringer CDU-Landtagsfraktion musste sie von ihrer ursprünglichen, eindringlichen Forderung nach Neuwahlen abweichen. Ein erstes Zurückrudern. Nach den Krisengesprächen räumte sie der Thüringer Union um Mohring sogar Zeit ein, einen parlamentarischen Weg aus der Krise zu finden.

Viel Zeit verstrich nicht. Denn schon wenig später stellte sich die Thüringer CDU-Fraktion offen gegen eine Entscheidung der Bundespartei (und auch des GroKo-Koalitionsausschusses): Die CDU-Spitze plädierte in einem einstimmig verabschiedeten Präsidiumsbeschluss für Neuwahlen. Diese seien "der klarste Weg" für "stabile und klare Verhältnisse in Thüringen".

Die Fraktion um Mohring verfolgt nun aber offenbar einen ganz anderen Weg: Tritt Linken-Politiker Bodo Ramelow erneut zur Wahl um das Amt des Ministerpräsidenten an, könnte sich die CDU enthalten und nicht gegen Ramelow stimmen, sagte der Thüringer CDU-Generalsekretär Raymond Walk dem MDR. Ramelow wäre so im dritten Wahlgang gewählt. "Entweder weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut – oder das ist offene Sabotage", kommentierte SPD-Vize und Juso-Chef Kevin Kühnert auf Twitter das Vorgehen.

Scharfe Kritik an CDU-Landeschef Mohring

Die Thüringer CDU selbst ist zerrüttet: Landeschef Mohring sieht sich massiver Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen bemängelte während der Krisensitzung eine Mehrheit der Fraktionäre seinen Führungsstil. Es soll von "unabgestimmten Alleingängen", einer "fehlenden Einbindung der Abgeordneten" und "bewusster Täuschung" die Rede gewesen sein. Mehrere Thüringer CDU-Landräte und der Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski forderten anschließend Konsequenzen. Der CDU-Landtagsabgeordnete Volker Emde warf Mohring vor, "wiederholt in eklatanter Weise Absprachen" mit der Fraktion zu brechen.

Zwar sprach der Landesvorstand Mohring am Donnerstagabend mit klarer Mehrheit das Vertrauen aus. Nach einigem Rumlavieren kündigte Mohring dennoch am Freitag an, im Mai nicht mehr für das Amt des Fraktionschefs zu kandidieren. Offen ist zudem, ob es nicht schon vorher zu einer offenen Revolte innerhalb der Landtagsfraktion kommt.

Denn die Zustimmungswerte für die Thüringer CDU, die seit der Wende über zwei Jahrzehnte mit teils absoluter Mehrheit in dem ostdeutschen Bundesland regierte, sind innerhalb kürzester Zeit abgestürzt: Von 33,5 Prozent bei der Wahl 2014 über 21,7 Prozent 2019 bis auf nur noch 12 Prozent, wie aus einer aktuellen Umfrage hervorgeht.

Die CDU steckt in Ostdeutschland in einem selbstgeschaffenen Dilemma

Die vergangenen Tage haben gezeigt, was spätestens seit der Landtagswahl Ende Oktober für viele Beobachter ersichtlich war: Die Bundes-CDU hat die Thüringer CDU in ein schier unlösbares Dilemma getrieben. Die Parteispitze pocht auf ihren Parteitagsbeschluss, der jegliche Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch der AfD ausschließt.

Mohring war durchaus offen für Gespräche mit der Linken gewesen, musste davon aber wieder Abstand nehmen. Jegliche Annäherungsversuche mit dem Wahlsieger und selbst bei CDU-Anhängern beliebten Thüringer Ex-Regierungschef Ramelow waren von oben zum Tabu erklärt worden.

"Das ist für die CDU in Thüringen insgesamt eine verzwickte Situation gewesen", gesteht auch JU-Chef Kuban ein. Im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe erklärte Kuban, der zum konservativen Flügel seiner Partei zählt: "Es wäre insgesamt mehr Unterstützung von der Parteiführung nötig gewesen."

Hinterher habe man "die große Keule" gegen Mohring geschwungen. "Man kann nicht alles ihm in die Schuhe schieben."

Mit Material von dpa und AFP.

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