• Erdogan hat in Teheran seine Amtskollegen Ibrahim Raisi und Wladimir Putin getroffen.
  • Der Ukraine-Krieg, Wirtschaftsdeals, Sicherheitspolitik und Weizenlieferungen bestimmten die Agenda.
  • Aber Erdogan ist nicht ohne eigene Ziele in den Iran gereist: Sein Besuch soll die schlechte Stimmung zu Hause drehen.

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Offiziell sollte es um die Lage in Syrien und den dortigen Bürgerkrieg gehen, doch schnell war klar, dass mehr hinter dem Dreiergipfel zwischen Ankara, Teheran und Moskau steckt. Erdogan traf am Dienstag in Teheran seine Amtskollegen Ibrahim Raisi und Wladimir Putin, um über eine ganze Reihe von Fragen internationaler Politik zu verhandeln.

Auf den Tisch kamen beispielsweise der Krieg in der Ukraine, das internationale Atomabkommen und sicherheitspolitische Fragen. Bereits im Vorfeld des Gipfeltreffens hatte der iranische Außenminister Hussein Amirabdollahian die Zusammenkunft als Ansatz einer "nachbarschafts- und regionalorientierten Politik" bezeichnet und angekündigt: "Der Gipfel wird sich nicht auf die Syrien-Frage beschränken, da die drei Länder gemeinsame Interessen in den Bereichen Wirtschaft, Energie und Ernährungssicherheit haben".

Was sind Erdogans Motive?

Mehr Zusammenarbeit soll es also zwischen den drei Staaten geben. Das bedeutet für den Iran und die Türkei vor allem ein Ausbau der wirtschaftlichen Verbindungen. Das jährliche Handelsvolumen soll laut offiziellen Angaben auf 30 Milliarden US-Dollar erhöht werden. Erdogan sagte, er hoffe besonders auf einen Ausbau der Kooperation in der Verteidigungsindustrie.

Auch in puncto Grenzsicherheit hat Erdogan Interessen: Durch den Iran führt eine der Hauptrouten für afghanische Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei und nach Europa. Im Gespräch mit Putin dürfte für den türkischen Machthaber die Wiederaufnahme der Getreidelieferungen aus der Ukraine im Vordergrund stehen.

Welche Rolle spielt die Türkei?

Im Streit um blockierte Getreide-Exporte trat das Nato-Land Türkei zuletzt als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland auf und versuchte, die Lieferungen über das Schwarze Meer wieder anlaufen zu lassen. Ankara unterhält zu beiden Ländern enge Beziehungen. Beobachter schätzen, dass für Putin das Treffen wichtige Signalwirkung hat: Trotz der international isolierten Position kann er den Russen vermitteln, dass ihr Land auf der internationalen Bühne noch immer eine wichtige Rolle spielt.

Eine Situation, die der Iran kennt: Zwar verfügt das Land nach Russland über die zweitgrößten Gasvorkommen der Welt, durch US-Sanktionen ist der Iran aber von Technologien abgeschnitten und in der Entwicklung seines Gas-Exportgeschäfts eingeschränkt. Gleichzeitig macht der Iran die Nato für den Ukraine-Krieg verantwortlich. Gerüchten zufolge will der Iran sogar Waffen an Russland liefern.

Wie wichtig ist Erdogan die Nato?

Differenzen zwischen den drei Ländern gab es bislang in der Syrien-Politik. Während Russland und der Iran die syrische Regierung unter Führung von Baschar al-Assad unterstützen, ist die Türkei mit der Opposition verbündet. Die Konstellationen könnten sich durch den Ukraine-Krieg aber ändern: Der Iran und die Türkei könnten versuchen, ein von Moskau hinterlassenes Machtvakuum zu füllen.

Hierzulande ist Erdogans Besuch in Teheran vielen ein Dorn im Auge. So sagte beispielsweise Grünen-Politiker Jürgen Trittin gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND), das Gipfeltreffen sei ein "Tanz auf dem Vulkan für die Sicherheit Europas und des Nahen Osten". Auch wenn die Türkei Nato-Mitglied sei, habe Erdogan wiederholt gezeigt, "dass ihm seine eigenen Interessen immer näher sind als das Verteidigungsbündnis."

Welche Rolle spielt die Innenpolitik?

Das sagt auch Türkei-Experte Attila Azrak: "Opportunismus ist Erdogans Geschäft", meint er. Erdogan sei in den nationalen Umfragen derzeit schwer angekratzt, es werde schwer, die bevorstehenden Wahlen regulär zu gewinnen. "Es scheint so, als ob momentan die Opposition die Zügel übernommen hat und die innenpolitische Agenda bestimmt", beobachtet Azrak. Hinzukomme die Wirtschaftskrise in der Türkei. Das Fundament der Macht von Erdogan bröckele.

"Diesen Machtverlust will er schon länger mit hauptsächlich außenpolitischen Erfolgen stoppen", analysiert Azrak. Erdogan lehne sich gegen die USA und die Nato auf, um das Bild eines unerschrockenen, heroischen Staatsmannes zu transportieren. Es könne Erdogan zusätzlich helfen, wenn er von Putin eine Zusage über die Weizenlieferungen bekomme.

Was sind Erdogans Pläne in Syrien?

In Bezug auf den syrischen Bürgerkrieg wolle Erdogan seine Macht erhalten. "Er möchte natürlich das Okay des Iran und Russlands für seinen Vormarsch in Syrien gegen die Kurden dort. Denn bis jetzt sind beide Länder nicht begeistert von Erdogans Aktivitäten in Syrien", sagt der Experte.

Es werde allerdings schwer werden, von Moskau oder Teheran ein Ja zu Ankaras Aktivitäten in Nordsyrien zu bekommen, schätzt Azrak. Ankara kündigt bereits seit mehreren Wochen eine neue Offensive gegen die kurdischen Kräfte in Nordsyrien an. Russland und der Iran hatten die Türkei zuletzt vor dieser Militäraktion gewarnt.

Wie aussichtsreich ist Erdogans Strategie?

"Auf der anderen Seite möchte Russland vom Iran Drohnen kaufen – da wird Erdogan aufhorchen, denn die Türkei ist einer der größten Produzenten von Kampfdrohnen", sagt er. Insgesamt ist sich Azrak sicher: "Erdogan will ernst genommen werden – er ist wie ein kleines Kind, das laut wird, um etwas zu bekommen. Diese Strategie hat er nicht verändert".

Erpressung gehöre zu Erdogans Instrumenten. "Der USA und der Nato sagt er: 'Wenn du mich hier nicht unterstützt, dann werde ich woanders nach anderen Verbündeten suchen und schon welche finden'. Ob aber der Iran und Russland dieses Spiel mitspielen werden, dürfe aus Sicht des Experten aber bezweifelt werden.

Über den Experten:
Attila Azrak ist ein deutsch-türkischer Journalist und arbeitet hauptsächlich für den WDR. Er war Produzent der ersten türkischsprachigen Lokalsendung im deutschen Fernsehen und arbeitete in der Vergangenheit als Hauptstadtkorrespondent in Bonn für den türkischen Nachrichtensender NTV. Er arbeitet auch als Übersetzer und Sprecher.
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