• Bundeskanzler Olaf Scholz wollte, dass bis Ende März über eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus entschieden wird. Daraus wird offenbar nichts.
  • Die Einführung gilt als kompliziert. Außerdem ist der Zeitplan kaum einzuhalten, weil der Bundestag im Februar nur in einer Woche tagt.
  • Während SPD, Grüne und FDP eine "hektische" Debatte ablehnen und sich Zeit nehmen wollen, drücken CDU und CSU aufs Tempo.

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Es könnte einer der spannendsten und wichtigsten Debatten des Jahres werden: Der Bundestag soll bald über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus entscheiden. Schon jetzt sorgt das Thema nicht nur in der Politik für Diskussionen. Doch gleichzeitig scheint es nicht vom Fleck zu kommen.

Der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im November gesagt, spätestens Ende März sei die Einführung der Impfpflicht wünschenswert. Dieser Wunsch wird ihm wohl nicht erfüllt.

Inzwischen ist klar, dass der Zeitplan nicht einzuhalten wäre. Zum ersten Mal wird der Bundestag wohl in der letzten Januar-Woche über das Thema sprechen. Um ein Gesetz zu verabschieden, sind drei Lesungen im Bundestag sowie eine Sitzung des Bundesrats nötig. In Kraft treten würde die Impfpflicht daher wahrscheinlich erst im Mai.

Bundestag tagt im Februar nur in einer Sitzungswoche

Ein Grund: Der Bundestag hat für den Februar nur eine Sitzungswoche eingeplant: vom 14. bis 18. Februar. Medienberichten, wonach dieser Zeitplan dem Karneval geschuldet sei, trat die Bundestagsverwaltung am Montag entgegen: "Für die konkrete Terminfestlegung spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle", teilt ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion mit. "In diesem Jahr findet zusätzlich am 13. Februar die Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten statt, die auch von der Bundestagsverwaltung organisiert wird und in den Liegenschaften des Bundestages stattfindet."

Den Rhythmus der Sitzungswochen für 2022 hat der Bundestag bereits im April 2021 festgelegt. Es wäre durchaus möglich, daran zu rütteln und zum Beispiel eine zusätzliche Sitzungswoche einzulegen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas muss den Bundestag einberufen, wenn ein Drittel der Abgeordneten oder auch der Kanzler oder Bundespräsident das verlangt.

Grünen-Politikerin Irene Mihalic: "Nicht hektisch agieren"

Wäre dieser Schritt nicht auch angebracht? Zumal in einer Pandemie, zumal bei einer so wichtigen Frage wie der Impfpflicht? In der Regierungskoalition hat man offenbar keine Eile. Der Bundestag sei jederzeit arbeitsfähig und könne anlassbezogen zu Sondersitzungen zusammentreffen, teilte Irene Mihalic mit, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion.

"Einfach eine zusätzliche Sitzungswoche festzulegen, ohne dass diese in der Sache gerechtfertigt wäre, halte ich gerade in Pandemiezeiten für eher schwierig", sagte Mihalic auf Anfrage unserer Redaktion. "Wir brauchen eine tragfähige Regelung zur Impfpflicht. Wenn wir in der sehr wichtigen Debatte zur Impfpflicht hektisch agieren, werden wir am Ende nichts gewinnen, noch nicht einmal Zeit", führte Mihalic weiter aus. "Es gilt der Grundsatz: So schnell wie möglich, aber vor allem so gründlich wie nötig."

Ähnlich äußerte sich Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion: "Diese gesellschaftspolitische Grundsatzentscheidung über eine Impfpflicht sollte zügig, aber nicht in einem Hauruck-Verfahren beraten werden." Die dazu notwendigen Debatten werde der Bundestag führen. "So kann jedes Mitglied für sich eine fundierte und gut begründete Entscheidung treffen."

Offene Fragen zur Umsetzung der Impfpflicht

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wollte am Montag eine Sondersitzung des Bundestags nicht kategorisch ausschließen. "Mein Kalender sieht nicht allzu viele Karnevalstermine für den Februar vor", sagte er auf einer Pressekonferenz. Kühnert betonte aber, dass es bei diesem Thema nicht um Schnelligkeit gehe.

Spielt die Regierungskoalition etwa bewusst auf Zeit, um die Entscheidung über das heikle Thema auszusitzen? Diesen Eindruck weist man in der SPD zurück - und betont, die Impfpflicht sei immer als langfristiges Werkzeug für einen flächendeckenden Schutz der Bevölkerung gedacht gewesen. "Klar ist, dass die Impfpflicht dazu dient, gut über den nächsten Herbst und Winter zu kommen, und nicht auf die aktuelle Welle zielt", meinte Katja Mast.

Ähnlich äußerte sich Johannes Vogel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, auf Anfrage unserer Redaktion: "Die zwischenzeitlich vorliegenden Daten machen deutlich, dass es für die Bewältigung der aktuellen Welle entscheidend ist, dass sich so viele Menschen wie möglich boostern lassen. Deswegen ist es so wichtig, dass in Deutschland jetzt die schnellste Booster-Kampagne Europas läuft."

Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gilt zudem als anspruchsvoll. Nicht nur, weil die Pflicht an sich umstritten ist, sondern auch wegen ihrer Umsetzung. Wie soll der Staat kontrollieren, wer die Pflicht befolgt und wer nicht?

Der Aufbau eines nationalen Impfregisters, in dem diese Daten hinterlegt werden, braucht nach Kevin Kühnerts Einschätzung eine gewisse Zeit. Bis dieses Register aufgebaut und einsatzbereit ist, müsse der Staat den Impfstatus der Bürgerinnen und Bürger möglicherweise stichprobenartig kontrollieren.

Mehrheit für Impfpflicht wahrscheinlich – oder?

Unklar ist noch, wie wahrscheinlich ein mehrheitliches Ja zur Impfpflicht ist. Bundeskanzler Scholz befürwortet sie – genau wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Auch bei der Bund-Länder-Konferenz in der vergangenen Woche sprachen sich alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dafür aus. In der Unionsfraktion geht man ebenfalls von einer großen Zustimmung aus.

Zweifelnde gibt es allerdings nicht nur in der FDP, bei AfD oder Linken. SPD-Generalsekretär Kühnert hat sich zum Beispiel noch nicht festgelegt. Über die Gründe seines Zweifels wollte er sich am Montag nicht äußern.

Union drückt aufs Tempo: "Nichtstun ist keine Option"

Inzwischen mehren sich die Rufe nach einer schnellen Entscheidung. Sie kommen zum Beispiel vom Deutschen Städtetag oder von den Gesundheitsministern in Bayern und Baden-Württemberg.

Auch CDU und CSU machen beim Thema Druck. Der Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß forderte am Montag gegenüber dem "Spiegel" eine Sondersitzung des Bundestags. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak forderte die Bundesregierung auf, einen gemeinsamen Gesetzesentwurf vorzulegen: "Da muss die Bundesregierung einfach jetzt liefern. Nichtstun ist keine Option. Das verunsichert die Menschen."

Die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP will ihre Abgeordneten aber nicht auf eine gemeinsame Linie verpflichten. Sie sollen nur nach ihrem Gewissen abstimmen. "Wir haben in Deutschland sehr gute Erfahrungen damit gemacht, solche ethischen Fragen nicht nach Fraktionsgrenzen, sondern in Gruppenanträgen orientiert am Gewissen der einzelnen Abgeordneten zu entscheiden", sagte FDP-Politiker Johannes Vogel.

Bisher liegt nur ein Antrag gegen die Impfpflicht vor

Unklar ist aber auch noch, welche Möglichkeiten zur Impfpflicht überhaupt auf dem Tisch liegen werden. Bekannt ist bisher nur ein Antrag aus dem Umfeld des FDP-Politikers Wolfgang Kubicki, der sich klar dagegen ausspricht.

Zu erwarten sind zudem zwei weitere Anträge: einer für eine allgemeine Impfpflicht und einer, der nur bestimmte Gruppen verpflichtet - zum Beispiel alle über 60-Jährigen. Allerdings liegen entsprechende Anträge noch gar nicht vor.

Quellen:

  • Pressekonferenz SPD
  • Irene Mihalic, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen
  • Johannes Vogel, Bundestagsabgeordneter FDP
  • Katja Mast, Bundestagsabgeordnete SPD
  • Bundestag, Pressereferat
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • Spiegel.de: CDU-Politiker Ploß bringt Sondersitzung für Impfpflicht-Entscheidung ins Gespräch


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.