"Nach dem deutlichen Ausgang der Volksabstimmung in Griechenland ist klar: Die Bevölkerung will keine Sparauflagen mehr. Gelöst hat sich mit diesem Stimmungsbild allerdings gar nichts. Die Probleme bleiben dieselben. Das "Nein" in der Analyse.

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Dass das griechische "Nein" bei der Volksabstimmung an diesem Sonntag dann doch so deutlich ausfallen sollte, hatte im Vorhinein niemand für möglich gehalten. Bereits die ersten Hochrechnungen machten deutlich, was viele in Brüssel gerne vermieden hätten: Die Griechen lehnten das vergangene Woche vorgelegte Angebot der Geldgeber, das inzwischen wegen des ausgelaufenen Hilfsprogramms hinfällig ist, ab. Ministerpräsident Alexis Tsipras erhofft sich von der Volksabstimmung eine stärkere Verhandlungsposition für die Gespräche, die er noch am selben Abend wieder aufnehmen wollte. Dabei hat dieses Referendum, aber auch die rhetorischen Misstöne aus Athen die Hoffnung auf eine gütliche Einigung deutlich geschmälert.

"Die Demokratie siegt"

"Was sie mit Griechenland machen, hat einen Namen – Terrorismus", hatte Finanzminister Gianis Varoufakis noch am Samstag propagiert. "Sie", die Geldgeber, also EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF), hätten ihn gezwungen, die Banken zu schließen, monierte er. Es ist nur eine der Entgleisungen, die sich neben dem Wirtschaftsökonomen auch zunehmend der Regierungschef selbst leistete. Unlängst hatte dieser das Handeln der Geldgeber als "kriminell" bezeichnet. Tsipras' Koalitionspartner der "Unabhängigen Griechen", Panos Kammenos, sprach am Sonntagabend nach den ersten Hochrechnungen von einem "Sieg für die Demokratie": "Dies zeigt, dass das griechische Volk nicht erpresst, terrorisiert und bedroht werden kann. Die Demokratie siegt."

Nun wollen jene, die in Brüssel vor allem nach der plötzlichen Ankündigung Tsipras' am vergangenen Wochende, ein Referendum abhalten zu wollen, gestärkt in die Verhandlungen mit den Geldgebern eintreten. Varoufakis tönte vorab, "binnen 24 Stunden einen Deal" mit den Geldgebern zu schließen. Später korrigierte er sich, vermeintlich falsch zitiert, zu einem "möglichen Deal". Am Sonntag dehnte er seine Prognose dann auf 48 Stunden aus.

Juncker fühlt sich "verraten"

Beides dürfte allerdings kaum dem entsprechen, was in den kommenden Tagen zu erwarten ist. Denn mit ihrer kampfeslustigen Rhetorik hat die Athener Regierung in Brüssel vor allem viel verbrannte Erde hinterlassen. Vertrauen, das man Tsipras immer wieder entgegengebracht hatte, wurde missbraucht: So zumindest sehen es mittlerweile selbst jene, die sich bis zum Schluss – also bis kurz vor Ablauf des zweiten Hilfsprogramms am 30. Juni für eine einvernehmliche Lösung einsetzten. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte ihn einer emotionalen Rede nur wenige Tage vor dem Referendum keinen Hehl mehr aus seiner Enttäuschung darüber. Er fühle sich "verraten, hintergangen, belogen", sagte er.

Inwieweit der überraschende Rücktritt von Yanis Varoufakis am Montagmorgen daran etwas ändert, ist fraglich.

Zwar hat Juncker, der Kritik dafür einstecken musste, dass er offen für ein "Ja" der griechischen Bevölkerung geworben hatte, inzwischen bekräftigt, "jedes Ergebnis zu akzeptieren", egal ob Ja oder Nein. Doch die Verhandlungen sind mit dem eindeutigen "Oxi" keinesfalls leichter geworden. Denn die Bereitschaft der nationalen Parlamente, einem dritten Hilfspaket, ohne dass es Griechenland kaum möglich sein wird, die kommenden Zahlungsverpflichtungen zu stemmen, dürfte mit diesem Ergebnis deutlich geschwunden sein.

Da hilft es wenig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel gleich am Montagabend ihren französischen Kollegen im Elysée-Palast besuchen will. Ein weiteres Eurogruppen-Treffen am selben Tag scheint so gut wie sicher. Doch auch dort macht sich längst Missmut und Unverständnis darüber breit, was in den vergangenen Tagen und Wochen passiert ist. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem kommentierte Varoufakis' Ankündigung kurz vor dem Referendum, ein Deal sei in greifbare Nähe gerückt, mit der Aussage, das sei "komplett aus dem Daumen gesaugt" – also reine Erfindung. In den Niederlanden sagte er gegenüber seiner Partei, dass "Griechenland dem Euro nie hätte beitreten dürfen".

Dass es zu einer schnellen Einigung kommen könnte, hielt er für ausgeschlossen. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verwies auf die inzwischen erschwerten Bedingungen, da das Hilfsprogramm nicht rechtzeitig verlängert wurde und Griechenland nun ohne Rettungsschirm dasteht. Verhandlungen, die ab jetzt geführt werden können, müssten "auf völlig neuer Grundlage" beginnen.

EU beruft Sondergipfel ein

Für Dienstag hat EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschef der 19 Euro-Länder eingerufen. Zur Vorbereitung soll es am selben Tag ein Treffen der Euro-Finanzminister geben. Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande wollen bereits am Montag über die Konsequenzen aus dem Referendum beraten. "Beide sind sich darin einig, dass das Votum der griechischen Bürger zu respektieren ist", hieß es in der kurzen Erklärung weiter.

Ebenfalls am Montag will Juncker mit Spitzenvertretern der EU-Institutionen über das weitere Vorgehen beraten. Es sei eine Telefonkonferenz mit EU-Gipfelchef Tusk, Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi geplant, teilte die EU-Kommission in Brüssel mit.

Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel reagierte mit scharfer Kritik an der griechischen Regierung auf den Ausgang des Referendums. "Mit der Absage an die Spielregeln der Eurozone, wie sie im mehrheitlichen Nein zum Ausdruck kommt, sind Verhandlungen über milliardenschwere Programme kaum vorstellbar", sagte Gabriel dem "Tagesspiegel" vom Montag. Der Ball liege jetzt in Athen.

Die Probleme sind komplizierter geworden

Dennoch hat sich Griechenlands Lage nicht verbessert. Hinzu kommen äußere Zwänge, die Griechenland immer weiter auf den Grexit zutreiben. Staatsanleihen in Höhe von drei Milliarden Euro müssen noch in diesem Monat ausgelöst werden, eine weitere Tranche an den Währungsfonds über 500 Millionen Euro kommt zu jener schuldig gebliebenen Zahlungsforderung über 1,6 Milliarden Euro hinzu, für die Griechenland Aufschub angefragt hat. Schließlich wartet die Zentralbank auf 3,5 Milliarden Euro. Sollten diese nicht pünktlich eintreffen, kann die Bank die Notkredite, mit der die griechischen Banken noch immer über Wasser gehalten werden, nicht mehr gewährt werden. Schon am Montag muss das Frankfurter Geldinstitut darüber beraten, ob sie die Notkredite weiter erhöhen. Wegen der nicht getätigten Zahlung an den IWF gilt das Land inzwischen als zahlungsunfähig.

Die Probleme, die Griechenland mit diesem Referendum lösen wollte, sind mit ihm nur noch komplizierter geworden. Hellas steht nach wie vor unmittelbar vor der Pleite. Retten kann sich das Land nur, wenn seine Regierung einsieht, dass auch mit einem Nein gegen die Sparauflagen nur dann Geld fließen wird, wenn die dringend notwendigen Reformen – endlich – umgesetzt werden.

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