Die deutschen Handballer haben den ersten echten Härtetest bei der Heim-EM nicht bestanden. Gegen Frankreich setzte es eine 30:33-Niederlage. Die liefert allerdings einige wichtige Erkenntnisse für die am Donnerstag beginnende Hauptrunde. Dann zählen nur noch Siege.

Eine Analyse
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Timo Kastening brachte das Problem der deutschen Handballer auf den Punkt. Denn es ist zwar schön, wenn der Auftritt gegen Frankreich Mut macht. Wenn die DHB-Auswahl einen leidenschaftlichen Kampf liefert, alles reinwirft, die Partie lange offen gestaltet und mit dem Rekordweltmeister und Olympiasieger auf Augenhöhe spielen kann. Bei einer EM ist das bei einer gleichzeitigen 30:33-Niederlage am Ende aber nicht viel wert. "Wir sind durchaus in der Lage, mit Frankreich mitzuhalten. Nur irgendwann musst du an einem Tag auch mal zeigen, dass du besser bist", sagte Kastening in der ARD.

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Besser waren an diesem Tag in Berlin, im entscheidenden Spiel um den Gruppensieg, aber die Franzosen. Sie gehen mit den zwei begehrten Punkten in die am Donnerstag in Köln beginnende Hauptrunde. Deutschland bleiben immerhin wertvolle Erkenntnisse. Dass die Pleite tatsächlich ein Mutmacher ist. Dass zur Weltspitze, zum elitären Kreis dieser EM, noch ein Stück fehlt, es aber oft nur Kleinigkeiten sind. Und dass an einem richtig guten Tag alles möglich ist.

Die richtigen Schlüsse ziehen

Die ganz große Überraschung ist die aktuelle Ausgangslage nicht, auch wenn der furiose Start in das Heimturnier mit den beiden klaren Siegen gegen die Schweiz und Nordmazedonien Begehrlichkeiten geweckt hat. Doch der Zeitpunkt der nicht unerwarteten Niederlage gegen die Franzosen kann auch günstig sein, wenn die Truppe von Bundestrainer Alfred Gislason aus einigen Erkenntnissen die richtigen Schlüsse zieht. Einer davon: Das Halbfinale ist trotz allem keine Utopie. Wenn denn die Fehler abgestellt werden.

Es waren in der Mercedes-Benz Arena aber nicht nur Fehler, sondern auch die personellen Voraussetzungen gegen die "Weltauswahl" aus Frankreich. "Die Franzosen sind extrem breit aufgestellt, dazu körperlich sehr, sehr stark und am Ende waren schon einige von uns ein bisschen müde", sagte Gislason: "Und sie haben ein bisschen mehr Erfahrung in der Mannschaft. Die waren schon abgezockt." Das zeigte sich in einigen entscheidenden Szenen. Das DHB-Team ließ die leichten Chancen aus dem Rückraum liegen, versuchte es zu oft über den Kreis und agierte wie schon zuvor zu wenig über die Außen.

Parallel dazu konnten die Franzosen das Spiel so aufziehen, wie es ihnen am besten lag und lieferten eine hervorragende Blockarbeit ab. Die Deutschen standen dafür nicht kompakt genug und konnten dem Spiel vor allem in der Schlussphase nicht ihren Stempel aufdrücken. Da wurde das Duell nach einer kleinen Aufholjagd nach einem zwischenzeitlichen Vier-Tore-Rückstand fahrlässig aus der Hand gegeben.

Immer noch schwarze Löcher

Denn die von Gislason oft angesprochenen und extrem gefürchteten "schwarzen Löcher", also die Ruhephasen, die sich die Mannschaft immer mal nimmt, werden zwar immer seltener, doch es gibt sie weiterhin. Und nach einem 26:25 siebeneinhalb Minuten ohne eigenen Treffer zu bleiben, kann man gegen die Schweiz oder Nordmazedonien ausbügeln, gegen die Franzosen nicht.

"Es sind Kleinigkeiten, die bei uns gefehlt haben", sagte Torhüter Andreas Wolff, der spektakuläre Paraden beisteuerte. Er hielt rund 35 Prozent der Bälle, was Richtung Weltklasse geht. Seine Mitspieler konnten diese Vorlage des Keepers aber nicht nutzen, die Offensive blieb ohne Tiefe und war nicht präsent genug.

"Wir haben nach den Sternen gegriffen, haben leider einen Tritt verpasst und sind noch nicht die Stufe raufgeklettert, die wir raufgeklettert sein wollten", so Wolff, der aber klarstellt: "Noch ist überhaupt nichts verloren. Gegen Frankreich zu verlieren, ist kein Weltuntergang. Wir haben jetzt alle Chancen, aus eigener Kraft noch ins Halbfinale vorzudringen und wir werden 100 Prozent geben."

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Die Arena kann einen Unterschied machen

Erster Gegner in der Hauptrunde in Köln ist am Donnerstag Island, dann folgen am Samstag, Montag und Mittwoch Österreich, Ungarn und Kroatien. Alle Spiele steigen zur Primetime um 20.30 Uhr, und nur die beiden Erstplatzierten der Sechsergruppe erreichen das Halbfinale. Ungarn und Frankreich starten mit zwei Punkten, Kroatien und Österreich mit einem Zähler, Island wie Deutschland mit null Punkten.

Die Arena in Köln soll ein essenzieller Faktor im Kampf um einen Platz im Halbfinale sein, der mit gut 20.000 Zuschauern gefüllte Hexenkessel ist in Sachen Stimmung noch einmal eine neue Ausbaustufe. "Diese Energie, dieses Enthusiastische, das Fahnenmeer – jeder Sportfan weiß, dass er etwas erlebt, wenn er in diese Halle kommt. Und das macht den Spirit aus, denn diese Halle kann Handball. Daher kann das eigentlich nur gut werden", sagte ARD-Experte Dominik Klein, der in Köln 2007 Weltmeister wurde, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Aus meiner Sicht schlägt Köln nichts. Ich habe so viele schöne Momente in Köln gehabt, die möchte ich weiter ausbauen", sagte auch Gislason, der auf der rechten Rheinseite mit dem THW Kiel zweimal die Champions League gewann.

Augenhöhe nicht genug

In der Domstadt will die Nationalmannschaft in den kommenden Tagen wieder ein erfreuliches Stück deutsche Handball-Geschichte schreiben. Gislason trauerte den verpassten Punkten für die Hauptrunde deshalb nur noch kurz nach, ehe er betonte, dass "sehr, sehr viel Positives dabei war. Wir haben weiter das Ziel, ins Halbfinale zu kommen. Doch dann dürfen wir kein Spiel mehr verlieren." Augenhöhe alleine wird also nicht mehr reichen. Die DHB-Auswahl muss dann zeigen, dass sie besser ist.

Verwendete Quellen

  • TV-Übertragung ARD
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