Deutschland gewinnt den WM-Auftakt gegen Marokko mit 6:0 und sorgt damit für eine erste kleine Euphoriewelle. Vor allem Alexandra Popp konnte einen zäheren Start ins Turnier vermeiden.

Eine Analyse
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Fast schon akrobatisch flog Alexandra Popp durch den Strafraum der Marokkanerinnen, drehte ihren Hals in Richtung des Balles und beförderte ihn zur Verwunderung vieler Beobachterinnen und Beobachter ins Tor. Ein Kopfball aus dem Bilder-, aber gewiss nicht aus dem Lehrbuch. Denn lernen kann man das nicht.

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Es war das 2:0 kurz vor der Pause. In einer Phase, in der sich das DFB-Team schwer damit tat, die 1:0-Führung auszubauen. Eine Phase, die einen Eindruck davon gab, wie das Spiel hätte laufen können, wenn man nicht auf die Klasse von Popp zurückgreifen könnte. "Poppi wieder mit ihren zwei Toren", witzelte Martina Voss-Tecklenburg nach der Partie im ZDF: "Muss man ja auch nichts mehr zu sagen, oder?"

"Doch, muss man auf jeden Fall", entgegnete Moderator Sven Voss vollkommen zu Recht. Denn so groß die Euphorie über die Leistung der Deutschen nach dem 6:0 gegen Marokko auch ist, so riesig ist der Anteil von Popp daran. Es ist müßig über Konjunktive zu diskutieren, doch womöglich würde die Leistung insgesamt einen differenzierteren Blick erhalten, hätte die Wolfsburgerin nicht früh für eine Vorentscheidung gesorgt.

DFB-Team: Nicht ohne Schwächen

Deutschland startete ordentlich in die Partie, setzte Marokko früh unter Druck. Das 1:0 geht zu großen Teilen auf das Konto von Kathrin Hendrich, die entschlossen presste und das erste Popp-Tor perfekt auflegte.

Aus eigenem Ballbesitz heraus ging wenig. Die Staffelung im Mittelfeld war nicht gut, zu oft standen sich Spielerinnen gegenseitig auf den Füßen und störten so den Spielfluss. Hinzu kam, dass der Plan der Bundestrainerin, vermehrt über die rechte Seite anzugreifen, nur bedingt aufging.

Lina Magull, Jule Brand und Svenja Huth kamen dort nur selten zu Durchbrüchen. Und so waren die ersten 45 Minuten abseits der beiden Popp-Tore eher zäh. Marokko bekam zwischendurch sogar Raum für Konter, weil der Spielaufbau der Deutschen zu fehleranfällig war.

Defensiv nicht immer souverän

Selbst nach dem schnellen Tor von Klara Bühl zu Beginn der zweiten Halbzeit wackelte die DFB-Abwehr kurz. Marokko nutzte eine riesige Lücke im Mittelfeld und große Abstände zwischen den Verteidigerinnen und erzielte das 1:3 – allerdings aus Abseitsposition, weshalb der Treffer zu Recht zurückgenommen wurde. Schon in der ersten Halbzeit tauchten die Marokkanerinnen einmal frei vor Merle Frohms auf, nutzten diese Chance aber nicht.

Den Gesamteindruck der Souveränität im deutschen Spiel schmälert das nur bedingt. Mit einem 6:0 in das Turnier zu starten, wird dem Selbstvertrauen des Teams einen Schub geben. "Es ist wichtig, dass wir noch etwas in der Hinterhand haben", analysierte auch Voss-Tecklenburg mit Blick auf Lena Oberdorf und Marina Hegering, die beide zuletzt angeschlagen waren.

Davon erhoffe sich die Bundestrainerin mehr Wucht. Gerade gegen aggressiv auftretende Kolumbianerinnen wird es wichtig sein, dagegenhalten zu können – und den Ball seltener leichtfertig herzuschenken.

Hoffnungsträgerinnen kehren bald zurück

Gerade Hegering, die bei der Europameisterschaft vor einem Jahr noch ein Schlüssel für den Einzug ins Finale war, könnte dem Team einen wichtigen Impuls geben. Immer wieder versuchte Hendrich, die Seite mit langen Diagonalbällen zu verlagern. Doch von ihren sieben langen Bällen kamen nur zwei an.

Hinten etwas wackelig, vorne nicht immer mit der letzten Konsequenz – es gibt also durchaus Kritikpunkte, die es in den kommenden Tagen aufzuarbeiten gilt. Und doch haben die Spielerinnen wieder vieles von dem zeigen können, was sie bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr ins Finale trug.

Der Teamgeist, der unbändige Wille in der Arbeit gegen den Ball, das gut organisierte Pressing, die Tempoläufe der jungen Generation rund um Jule Brand und Klara Bühl – das DFB-Team hat nach der schwierigen Vorbereitung abermals gezeigt, dass es auf den Punkt da sein kann.

Popp als Schlüsselspielerin im deutschen Team

Insbesondere mit einer Popp, die sich in der Vorbereitung noch um ihre Präzision sorgte. Im Training habe sie eine kleine Torflaute gehabt, erzählte auch Voss-Tecklenburg. Nun ist aber Schluss damit und einen besseren Zeitpunkt hätte die Angreiferin kaum wählen können.

Noch bevor irgendwelche Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Teams aufkommen konnten, war sie per Kopf zur Stelle. Bevor Marokko den Weg in dieses Spiel finden konnte, erhöhte sie auf 2:0. "Man weiß nicht so richtig, wo man steht", erklärte Popp die schwierige Lage des Teams vor dem WM-Auftakt: "Wir sind voll bei uns geblieben, wir haben unser Spiel durchgedrückt."

Darauf lässt sich aufbauen. Darauf muss das Team aber auch aufbauen, um die gegen Marokko zum Teil sichtbaren Schwächen abstellen zu können. "Wir müssen nicht übertreiben", beantwortete Lina Magull die Frage danach, ob man ein Zeichen in Richtung Konkurrenz gesetzt habe: "Ich glaube, für uns als Team ist es wichtig, für uns selbst ein Zeichen zu setzen."

Deutschland schaut nur auf sich selbst. Eine Demut und Bescheidenheit, die vor einem Jahr dazu beitrug, eigene Leistungen selbstkritisch einzuordnen und zu analysieren. Doch für den Moment überwiegt beim DFB die Erleichterung. Alexandra Popp hat das Team mit ihren beiden Toren in das Turnier geschubst – und nach anfänglicher Skepsis ist die Hoffnung zurück, dass es für Deutschland weit gehen könnte.

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