Das 8:2 des FC Bayern gegen Barcelona ist nicht nur ein historischer Sieg oder eine Kampfansage der Bayern an die Konkurrenz - es bedeutet im Umkehrschluss auch das Ende einer Ära bei den Katalanen.

Eine Analyse

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Was ist da genau passiert in Lissabon? Selbst die Protagonisten taten sich nach einer wahrlich epochalen Nacht schwer mit einer Einschätzung. "Das ist schon brutal und schwierig zu begreifen", sagte Joshua Kimmich bei "Sky". "So wirklich klar wird uns das wohl erst in den nächsten Tagen, realisieren kann ich das jetzt noch nicht", gestand Leon Goretzka.

Als unaufgeregt Nachricht verpackt lautet die Botschaft: Der FC Bayern München zieht mit einem Sieg gegen den FC Barcelona ins Halbfinale der Champions League ein. Aber da war eben noch viel, viel mehr als "nur" ein Sieg, ein Weiterkommen, die lebendige Chance auf das Triple aus Sicht der Bayern. Das Spiel im Estadio da Luz darf als Sternstunde in die Geschichte des FC Bayern eingehen, obwohl er damit noch gar keine Silberware sichergestellt hat. 8:2 hieß es am Ende. Acht. Zu. Zwei. In einem Spiel zwischen Bayern und Barca.

FCBayern gegen FC Barcelona: Unglaubliche Zahlen

Für den deutschen Rekordmeister war es der vorerst letzte Höhepunkt einer unglaublichen Entwicklung in diesem Kalenderjahr. Unter Hansi Flick funktioniert die Mannschaft beängstigend gut, aus den letzten 28 Pflichtspielen gab es 27 Siege und ein Remis. Die K.o.-Spiele der Königsklasse gegen den Vorjahresfinalisten Tottenham und eben Barca beendeten die Bayern mit drei Siegen und sagenhaften 15:3 Toren.

Die Tragweite des Abends können die Bayern weder einschätzen noch auskosten. Bereits am Mittwoch geht es ja weiter mit diesem einzigartigen Endturnier, dann wartet im Halbfinale entweder Olympique Lyon oder, etwas wahrscheinlicher vielleicht, Manchester City. Die Bayern bleiben jedenfalls weiter auf ihrer Mission, das konnte man in den Interviews nach dem Spiel sehr gut erkennen.

Da war keine große Freude oder Erleichterung zu spüren, Kimmich, Goretzka, Trainer Flick, selbst der ansonsten eher launige Thomas Müller beantworteten die Fragen, wie sie zuvor 90 Minuten auf dem Platz agiert hatten: hochkonzentriert, geradlinig, auf den Punkt.

Mit einem unbarmherzigen Pressing und Gegenpressing erdrückten die Münchener ihren in allen Belangen unterlegenen Gegner förmlich. Drei der ersten vier Treffer ging ein hoher Ballgewinn tief in der Spielhälfte der Katalanen voraus. Was die Bayern in diesen Phasen machen, wenn der Gegner an den Ball kommt und damit vermeintlich im Vorteil ist, hat die Welt in der Form und Ausprägung noch nicht gesehen. Weder die Erfinder des Gegenpressings, der FC Barcelona selbst, noch dessen Nachahmer aus Dortmund oder Liverpool - beide jeweils mit Trainer Jürgen Klopp - waren so scharf im Gegenpressing, wie es die Bayern derzeit sind.

Auch die Bayern sind verwundbar

Barcelona konnte damit überhaupt nicht umgehen. Die Katalanen sind solche Aggressivität so früh im Feld aus der Liga nicht gewohnt und waren ganz offenbar auch nur teilweise auf diesen Wirbelsturm aus München vorbereitet. Allerdings, das muss trotz der unglaublichen Bayern-Dominanz festgehalten werden: Nach zehn Minuten hätte es nicht 1:1, sondern gerne auch 3:1 für Barca stehen können.

In den ersten 15, 20 Minuten erwischten die Spanier die hoch stehenden bayerischen Außenverteidiger einige Male mit einem Pass in deren Rücken. Manuel Neuer und der Pfosten bewahrten die Bayern dann vor einem Rückstand. Auch die Bayern sind verwundbar, sobald ihr Gegenpressing ins Leere greift oder von einer besseren Mannschaft, sagen wir ManCity oder Leipzig oder vielleicht Paris, ausgehebelt wird.

In der Gesamtheit dürfte es unter den verbliebenen Teams aber kein besseres geben als Flicks Truppe. Weshalb die Bayern spätestens jetzt als großer Favorit auf den Titel durchgehen. "Wir freuen uns alle, dass es heute so gekommen ist, aber wir wissen auch, dass wir noch einiges vor der Brust haben. Klar kann man sagen, es ist ein Statement, aber auch das nächste Spiel fängt wieder bei Null an", sagte der Trainer in der gewohnt nüchternen Art nach dem Spiel.

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Alt, langsam, satt

Wenn eine junge, schnelle, hungrige und sehr homogen zusammengestellte Mannschaft auf eine alte, langsame, satte und völlig unwuchtig konzipierte Truppe trifft, dann es völlig egal, in welcher Liga das passiert: Es kommt ein Kantersieg dabei heraus oder eben ein Debakel, je nach Betrachtungsweise. Die eine Mannschaft war am Freitagabend der FC Bayern - die andere der FC Barcelona. Es soll einmal eine Zeit gegeben haben, da trafen sich beide Klubs auf Augenhöhe. Davon war im Stadion des Lichts aber nichts mehr zu erkennen.

Der FC Bayern rollte förmlich über den ehemaligen Rivalen Barcelona hinweg und phasenweise hatte versprühte Barca in diesem Champions-League-Viertelfinale den Charme eines bemüht ambitionierten, aber mittellosen Kreisligisten, der zwar diesen einen überragenden Spieler zu bieten hat - ansonsten aber rein gar nichts.

"Bayern spielt nicht gegen ein Bundesligateam. Bayern spielt gegen die beste Mannschaft der Welt: Barca! Und das werden wir auch zeigen", hatte Arturo Vidal vor der Partie noch auf der Pressekonferenz alle Welt wissen lassen. Woher er diese waghalsige Erkenntnis hatte, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Jedenfalls kann man nun mit absoluter Sicherheit konstatieren: Vidal hat sich geirrt.

Pique: "Das war eine Schande"

Es war die vielleicht lächerlichste Vorstellung in der langen Klubgeschichte der Katalanen, vor einem Weltpublikum, in der K.o.-Runde des wichtigsten Klubwettbewerbs überhaupt. Jedenfalls gab es acht Gegentore in einem Spiel zuletzt in einer Partie des spanischen Königspokals gegen Sevilla.

Das war im Jahr 1946. "Historische Erniedrigung", schrie die "Marca" deshalb nach dem Spiel hinaus. "Historisches Debakel", wusste die "Mundo Deportivo". Schmissige Schlagzeilen waren das, aber eben auch rückwärtsgewandt.

Nach vorne, in die Zukunft, dachte dagegen schon Gerard Pique. "Das war eine Schande, anders kann man das nicht sagen. Ein absolut schreckliches Gefühl. Dieser Klub benötigt Veränderungen in allen Bereichen und damit meine ich nicht nur die Mannschaft und den Trainer! Wir benötigen strukturelle Änderungen, frisches Blut. Wenn ich gehen muss, um Dinge zu ändern, werde ich der Erste sein", sagte der Abwehrchef am Mikrophon von "Eleven Sport1".

Klubchef Josep Bartomeu kündigte noch in der Nacht erste Entscheidungen an, nach Informationen von "Sky Sport Italia" wird Trainer Quique Setien noch am Samstag entlassen.

Das 2:8 war der besonders schmerzhafte Beweis, dass diese Barca-Mannschaft sportlich kontinuierlich heruntergewirtschaftet wurde in den letzten Jahren. Die Startelf gegen die Bayern hatte einen Altersdurchschnitt von fast 30 Jahren und war damit die älteste aller Zeiten in einem Spiel der Königsklasse. Der Schnitt kommt viel zu spät, aber er wird jetzt unvermeidlich sein. Vielleicht schauen die Barca-Granden dazu einfach mal nach München, kann ja wohl nicht schaden. Wie man seine Mannschaft sukzessive erneuert, ohne dabei seine Identität aufzugeben, machen die Bayern derzeit jedenfalls vor.

Quellen

  • Marca/Pique: "Es ist eine Schande"
  • https://www.marca.com/futbol/barcelona/2020/08/14/5f36fc2c22601d96618b4621.html
  • Sport1: Bayern hat kein Mitleid mit Messi
  • https://www.sport1.de/fussball/champions-league/2020/08/champions-league-fc-barcelona-fc-bayern-2-8-stimmen-von-goretzka-und-co
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