Bayer 04 zeigt Bayern München, wie moderner Fußball funktioniert. Und dem BVB, wie man einen Titelkampf erfolgreich plant und zu Ende bringt.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Pit Gottschalk dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ein besseres Timing hätte die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nicht erträumen können. Rechtzeitig zur Rechteausschreibung im Frühjahr steht fest: Die Bundesliga bietet an der Tabellenspitze nicht nur Bayern, Bayern, Bayern – sondern verspricht TV-Sendern Abwechslung. Oder zumindest: einen neuen Meister.

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Zwar nur das kleine Leverkusen, das mit 163.000 Einwohnern weniger Breitenwirkung entfesselt als der einstige Bayern-Jäger Borussia Dortmund, aber eine Sympathiewelle erfährt wie seit Jahren nicht. Die Erleichterung im ganzen Land ist groß: Hauptsache, Bayern München holt nicht den zwölften Meistertitel in Folge.

Verdienter Meistertitel

Es gibt keinen Zweifel: Bayer Leverkusen hat diesen Meistertitel verdient, den ersten in 120 Jahren. "Vizekusen", wie die Mannschaft gerne verspottet wurde, gehört seit 1979 zum Establishment der Bundesliga und wurde deutlich seltener Vizemeister (fünfmal) als zum Beispiel Borussia Dortmund (elfmal).

Man unterschätzt Bayer Leverkusen schnell, weil man voreilig den alten Begriff "Werkself" verwendet und den Verein im Schatten der prominenten Nachbarn 1. FC Köln und Mönchengladbach vermutet. Dabei brachte Bayer schon immer Sportler auf Weltniveau hervor. Meistens halt in Leichtathletik und Basketball.

Nun also Fußball. Meisterschaft am 29. Spieltag der Saison: Das kannte man nur von den Bayern. Das 5:0 gestern gegen Werder Bremen unterstrich, was wir seit Monaten vermuten: Trainer Xabi Alonso bringt das ordentlich zu Ende, was er angefangen hat. Er bleibt und wächst zu einem noch größeren Trainer heran.

Wie lange sich Bayer 04 oben halten kann? Niemand kann das voraussagen. Beim VfB Stuttgart 2007 und beim VfL Wolfsburg 2009 dauerte der Meistertaumel ein Jahr, bei Borussia Dortmund 2011 und 2012 immerhin zwei Jahre. Der Rest war: Bayern München. Man ahnt, wann das Imperium zurückschlägt: jetzt und sofort.
Das sollte die restliche Konkurrenz aber nicht davon abhalten, sich an Bayer Leverkusen ein Beispiel zu nehmen, wie man Bayern München auseinandernimmt.

Die Ausrede beim BVB, dass man finanziell unterlegen ist, verfängt jedenfalls nicht mehr. Leverkusen hat auch nicht mehr Geld zur Verfügung - aber ein besseres Konzept und einen Plan.

Gegenüber Bayer Leverkusens Gesamtkunstwerk 2023/24 wirkt der BVB wie ein Stückwerk, wo mal an der Trainerbank gewerkelt, mal das Mittelfeld ausgebessert und am Ende der Sturm ausgetauscht wird. Nix passt richtig zusammen. Ja, es gibt gute Phasen beim BVB. Aber leider auch zu viele schlechte.

45 Jahre bis zur Meisterschale – Bayer gebührt Dank

Was stimmt: Leverkusen hat 45 Bundesliga-Jahre gebraucht, um endlich die Meisterschale ins Bayerwerk zu holen. Aber Vergangenheitsbewältigung hilft nicht. Die Werkself - da ist er wieder, der Begriff - fand die beste Lösung für die Umbaumaßnahme, als (a) kein Trainer passte, (b) Rudi Völler aufhörte, (c) die Mentalität durchhing.

Borussia Dortmund dagegen redet in regelmäßigen Abständen über Umbau, Neuanfang, Ausbesserungen. Was auch stimmt: Zweiter zu werden hinter Bayern München, ist eine gute Leistung. Aber wer wie Geschäftsführer Aki Watzke sagt, man müsse „da sein, wenn Bayern schwächelt“, darf nicht in Lauerstellung bleiben und sich verstecken.

Als Bayer Leverkusen im Titelkampf auf die Zielgerade einlief, waren im Klub alle bereit, Geschichte zu schreiben: Trainer, Spieler, Funktionäre. Da schlackerten keine Knie. 16 Punkte Vorsprung auf Bayern sind Ausdruck massiver Qualität. Bei Borussia Dortmund dagegen versagte voriges Jahr gegen Mainz die Nerven. Der Meistertitel entglitt.

Anders Leverkusen: Den Bayern wurde vor Augen geführt, dass ihr Fußball in die Jahre gekommen ist und nicht allein mit einem Trainerwechsel eine Blutauffrischung erfährt. Bayer 04 und nicht der BVB zeigte, wie moderner Fußball läuft. Nicht ein Torjäger allein ist fürs Toreschießen verantwortlich, sondern ein ganzes Team. Jeder Einzelne.

Am Sonntag zum Beispiel Florian Wirtz mit seinem allerersten Hattrick. Wenn so ein Ruck durch die ganze Mannschaft geht, sind späte Tore die logische Konsequenz. Früher sagte man dazu "Bayern-Dusel" und zuletzt "Mia-San-Mia". Die jüngere Variante dürfen wir jetzt seit Monaten bei Bayer 04 Leverkusen bewundern. Dafür gebührt Bayer großer Dank.

Verwendete Quellen:

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