• Das Topspiel zwischen Dortmund und dem FC Bayern hatte einige Aufreger zu bieten und endete mit einem Last-Minute-Ausgleich.
  • Thomas Helmer spielte einst für beide Klubs.
  • Im Interview spricht der 57-Jährige über Bayerns Stürmerproblem, die strittige Szene rund um Bellingham und Davies und für welchen der beiden Vereine er heute lieber spielen würde.
Ein Interview

Herr Helmer, der FC Bayern hat gegen Borussia Dortmund einen sicher geglaubten Sieg verspielt. Oliver Kahn ist auf der Tribüne aus der Haut gefahren, wie man es bei ihm seit Spielerzeiten nicht mehr gesehen hat. War das die Rückkehr des Titans oder nur eine einmalige Sache?

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Thomas Helmer: Ich kann das nachvollziehen. Die Bayern hatten lange Zeit alles im Griff. Es ist doch schön: Da sieht man auch, dass die ganze Saison nicht spurlos an Oliver Kahn vorübergeht und dass er sich auch denkt: 'Mensch, jetzt nicht wieder so ein Ding.' Ich glaube, es ist einfach aus ihm rausgebrochen. Ich denke aber nicht, dass wir das jede Woche erleben.

Woran hat es am Ende gelegen? Waren die Bayern so schlecht oder die Dortmunder so gut?

Die Bayern waren ja nicht schlecht. Bis zum Anschlusstreffer fand ich sie souverän und sie waren auch die klar bessere Mannschaft. Als Dortmund jedoch den Anschluss schaffte, ist das Spiel – auch wegen des Publikums im Rücken – gekippt. Das war dann nicht mehr so typisch für die Bayern. Da kamen sie einfach ins Schwimmen. Vor dem Spiel habe ich gesagt, dass die Mannschaft gewinnt, deren Defensive stabiler ist. Das Unentschieden, bei dem beide zwei Gegentore kassieren, trifft es gut. Das kriegen beide noch nicht so gut hin. Bei beiden Toren der Bayern sah auch der Dortmunder Torwart Alexander Meyer nicht so gut aus.

Der mit Gelb vorbelastete und zudem angeschlagene Matthijs de Ligt wurde in der 62. Minute ausgewechselt, für ihn rückte Pavard in die Innenverteidigung. Ging den Bayern bei den Gegentoren in der Schlussphase ihr Abwehrchef ab?

Ich hatte bei de Ligt bisher nicht den Eindruck, dass er der Abwehrchef ist. Aber sie mussten umstellen und damit sind sie nicht so gut klargekommen. Da hat er schon gefehlt. Das spricht dann auch wieder für ihn.

Sie waren zu Ihrer aktiven Zeit selbst Verteidiger. Tut man sich Ihrer Erfahrung nach schwer in der Abwehr, wenn während des Spiels solche Umstellungen vorgenommen werden?

Nein, nicht zwangsläufig. Dafür kennen sich auch alle gut genug. Pavard kann schließlich auch Innenverteidiger spielen. Es war nicht so, dass die Spieler auf ungewohnten Positionen spielen mussten. Man muss dann aber natürlich schon sehen, dass man die Mitte zubekommt und kompakt steht. Im ersten Moment ist es schwierig, sich neu zu orientieren, aber die Qualität der Spieler ist so hoch, dass man sich schnell damit zurechtfinden müsste. Ich glaube nicht, dass die Bayern das als Entschuldigung gelten lassen würden.

Helmer: Bellingham hätte sich nicht über einen Platzverweis beschweren dürfen

Jude Bellingham traf in einer Szene Alphonso Davies mit dem Fuß im Gesicht, der Bayern-Verteidiger musste mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. Der bereits verwarnte Bellingham bekam dafür keine Karte. Schiedsrichter Deniz Aytekin erklärte nach dem Spiel, dass er sich bewusst gegen eine Gelbe Karte entschieden habe, weil die erste Verwarnung eine harte Entscheidung war. Wie haben Sie die Situation gesehen?

Wenn die Begründung von Aytekin war, dass die erste Gelbe Karte gegen Bellingham zu hart war und er deswegen beim zweiten Foul dann keine gibt, ist das natürlich nicht den Regeln entsprechend. Aber wenn man selbst gespielt hat, kennt man diese Situationen. Man will zum Ball gehen und dann ist der andere schneller mit dem Kopf da und dann trifft man ihn. Das sieht dann natürlich nicht gut aus. Ich möchte keine Absicht von Bellingham unterstellen, aber es war eindeutig ein Foul. Er hätte sich nicht beschweren können, wenn er vom Platz geflogen wäre.

Der FC Bayern ist ohne klassischen Mittelstürmer in die Saison gegangen. Rächt sich das nun?

Es ist schwer zu sagen, auch schon in den sieglosen Spielen davor. Torchancen haben sie genug. Es fehlt einfach an der Effektivität und auch an der Konzentration beim letzten Ball. Anfangs haben sie den Abgang von Lewandowski gut kompensiert. Mit der Schnelligkeit, die die Jungs da vorne alle haben, und zusätzlich mit Jamal Musiala und Thomas Müller, ist der FC Bayern eigentlich super aufgestellt. Aber klar: Dortmund wirft da so einen Anthony Modeste vorne rein, der hat gefühlt vier Ballkontakte und einen versemmelt er und den anderen macht er rein. So ein Spielertyp ist bei den Bayern jetzt nicht mehr da.

FC Bayern muss sich laut Helmer Gedanken über Transfers machen

Sollten die Bayern auf dem Transfermarkt nochmal nachlegen?

Man muss diesen Gedanken auf jeden Fall haben. Es gibt allerdings nicht mehr so viele Stürmer. Einen Wintertransfer halte ich, wie die Bayern auch, immer für sehr schwierig. Ein fertiger Topspieler kostet auf diesem Niveau auch viel Geld. Es könnte nun die Möglichkeit bestehen, einen jungen Spieler zu finden. Den muss man dann jedoch auch spielen lassen, das ist dabei immer die Krux beim FC Bayern. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, kann man nicht so viel experimentieren.

Zum Thema junge Spieler: In den letzten Partien wurde bei Bayern eher der 33 Jahre alte Eric Maxim Choupo-Moting im Sturm eingewechselt und weniger der 17 Jahre alte Mathys Tel. Fehlt da bei Julian Nagelsmann noch das Vertrauen in einen so jungen Spieler?

Das möchte ich nicht so hart beurteilen. Ich glaube schon, dass Tel herausragende Fähigkeiten hat, aber sie nehmen aktuell einfach noch Rücksicht auf den Jungen. Bei Bayern spielt man nicht einfach mal so. Ich denke, sie wollen ihn langsam heranführen, was auch richtig ist. Das hat nichts damit zu tun, dass man ihm das nicht zutraut.

Wie schätzen Sie das Meisterschaftsrennen speziell nach den Eindrücken aus dem Topspiel ein? Geht Bayern dieses Jahr leer aus? Sind Union Berlin und der SC Freiburg ernsthafte Kandidaten?

Man muss diesen beiden Vereinen ein Riesenkompliment machen. Was die bisher gespielt haben, ist super. Gerade, weil sie nicht nur mauern, sondern wirklich auch selbst spielen. Es macht Spaß, ihnen zuzuschauen. Beide haben sehr gute Trainer, die das mit den Spielern, die zur Verfügung stehen, gut hinbekommen. Ich glaube aber nicht, dass einer von den beiden Deutscher Meister wird. Das wäre die größte Sensation seit mehr als zehn Jahren, logischerweise. Die Bayern werden vielleicht nicht mit so großem Abstand Meister, aber es wird weiterhin schwer sein, sie zu stoppen, weil sie den besten Kader haben. Ich hatte Leipzig vor der Saison auf dem Zettel, die haben allerdings auch einen schlechten Start hingelegt. Somit bleibt aus meiner Sicht nur Dortmund. Immerhin kommen die Gladbacher jetzt auch wieder ein bisschen ran. Wenn einer mal einen guten Lauf hat: Wer weiß?

Wenn Helmer heute bei Bayern oder Dortmund unter Vertrag wäre: "Dann würde ich nicht spielen"

Sie haben sowohl für den FC Bayern als auch für den BVB gespielt: Für welche der beiden Mannschaften würden Sie, wenn Sie heute noch Spieler wären, lieber auflaufen?

(lacht) Dann würde ich nicht spielen. Das ist eine gemeine Frage. Wenn ich mir das Stadion anschaue, dann ist das Dortmunder Westfalenstadion natürlich schön, weil es keine Laufbahn gibt, anders als im Münchner Olympiastadion damals. Die Entscheidung hätte bei mir auch nichts mit den Trainern zu tun. Aus rein sportlicher Sicht müsste ich natürlich zu den Bayern gehen. Ein Fußballer möchte schließlich viele Titel gewinnen und die Chance ist in München in Zukunft größer als in Dortmund. Man kann die Bayern und Dortmund nur schwer vergleichen. Aber es gibt Schlimmeres, als sich zwischen den beiden Vereinen entscheiden zu müssen.

Über den Experten: Thomas Helmer ist ein ehemaliger Fußballspieler, der in seiner Karriere unter anderem sowohl für Borussia Dortmund als auch den FC Bayern spielte. Insgesamt bestritt er 390 Bundesligaspiele. Seit dem Jahr 2004 ist der Europameister von 1996 für SPORT1 (vorher DSF) tätig. Seit 2012 moderiert er unter anderem den "Fantalk", in dem er im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund unter anderem an Champions-League-Spieltagen mit seinen Gästen die Spiele live diskutiert und analysiert. Die nächsten Ausgaben laufen am 11. und 12. Oktober live ab 20:15 Uhr auf SPORT1.
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