Am Samstag empfängt der FC Bayern München Borussia Dortmund zum Klassiker der Bundesliga. Vor dem Topspiel haben wir mit BVB-Legende Karl-Heinz Riedle über das Topspiel, den aufstrebenden Achraf Hakimi und die Kritik an Trainer Lucien Favre gesprochen.

Ein Interview

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Herr Riedle, Sie waren einst Stürmer. Achraf Hakimi hat beim BVB lange Außenverteidiger gespielt. Hat er jetzt nicht bewiesen, dass er ein Angreifer ist?

Karl-Heinz Riedle: Als ich ihn das erste Mal beim BVB spielen gesehen habe, war ich mit meinem Sohn im Stadion und habe ihm gesagt, dass Hakimi der mit Abstand beste Einkauf ist, denn die Dortmunder seit Langem gemacht haben. Auch wenn er nur ausgeliehen ist. Man konnte schon anhand eines Spiels sehen, dass er wahnsinnige Qualitäten hat, speziell seine unglaubliche Schnelligkeit auf Distanz.

Mittlerweile ist er auch noch vor dem Tor gefährlich. Er ist kein Stürmer, aber ich sehe ihn rechts eher auf der offensiveren Position statt als Verteidiger. Im Defensivverhalten hat er den einen oder anderen Fehler drin. Seine ganz großen Qualitäten liegen in der Offensive.

Nach seiner Gala in der Champions League mit zwei Toren gegen Inter Mailand redet ganz Fußball-Deutschland über Hakimi ...

Dann haben Sie davor nicht aufgepasst. Hakimi hat schon im letzten Jahr eine grandiose Saison gespielt. Er war nur leider verletzt und ist lange ausgefallen. Er ist von der Physis her der mit Abstand beste Spieler der Bundesliga. Und offensiv ist noch viel mehr drin.

Sie sind als Markenbotschafter beim BVB sehr nahe dran. Macht man sich in Dortmund überhaupt Hoffnungen, Hakimi fest verpflichten zu können?
Fakt ist: Hakimi ist ausgeliehen. Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc werden sicher alles versuchen, um ihn nach der Saison halten zu können. Das wird aber nicht einfach werden.

Dabei geht es auch um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Bayern. Watzke hat immer wieder betont, dass der BVB zur Stelle sein muss, wenn die Bayern schwächeln. Jetzt scheint dieser Zeitpunkt gekommen zu sein.

Schwächeln die Bayern? Das ist immer relativ. Die Bayern liegen einen Punkt hinter uns, haben gerade ihren Trainer entlassen. Aber sind sie in einer Krise? Das lasse ich mal dahingestellt. Sie haben sich locker für das Achtelfinale der Champions League qualifiziert. Dortmund ist nicht der Favorit, im Moment sind beide Teams auf Augenhöhe.

Diesmal gehen wir aber zumindest nicht als Außenseiter nach München, das war in den Jahren davor schon mal anders. Es kann sein, dass Dortmund einen psychologischen Vorteil hat, weil die Jungs gut drauf sind.

Dabei wurde wochenlang rund um den BVB die Mentalitätsfrage gestellt, was Kapitän Marco Reus harsch zurückgewiesen hat.

Marco hat das im Interview vielleicht etwas überspitzt formuliert. Sie hatten ein paar Spiele nicht gewonnen und dann hieß es von außen gleich, die Jungs hätten keine Mentalität. Es gab einen Umbruch, wir hatten viele Verletzte. Es ist nicht immer so einfach, wie es vielleicht von außen ausschaut, eine Mannschaft auf Kurs zu bringen. Sie haben zuletzt Mentalität bewiesen und Spiele nach Rückstand gedreht (gegen Gladbach und Inter Mailand; Anm.d.Red.). Damit haben sie allen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen.

Für die Mentalität kaufte die Borussia vor der Saison Mats Hummels von den Bayern zurück. Jetzt kehrt er im Bundesliga-Gipfel erstmals wieder zurück. Streift selbst ein Profi so etwas einfach ab?

Er hat für beide Klubs gespielt, ist Weltmeister, ein erfahrener Spieler. Er hat sich beim BVB wieder in Szene gesetzt, ist für die Nationalmannschaft wieder ein Thema. Er gibt der Mannschaft, den vielen jungen Spielern um ihn herum die Stabilität, die sie brauchen. Er ist schon früher mit dem BVB wieder nach München zurückgekehrt.

Wichtig ist: Er kennt die Bayern sehr gut, kann sicher den einen oder anderen Tipp geben. Er hat zum Beispiel im Training oft genug gegen Robert Lewandowski gespielt.

Im Moment wirkt es, als würde sich in Dortmund eine neue Achse herausbilden: Vom Strategen Hummels in der Abwehr über den Zweikämpfer Axel Witsel im Mittelfeld bis zu Julian Brandt, der als verkappter Spielmacher zuletzt sehr viel Verantwortung übernahm.

Eine Achse sehe ich nicht unbedingt. Wir haben ja schon über Hakimi gesprochen. In der Abwehr ist neben Hummels auch Manuel Akanji sehr stabil. Sicher hat Julian einen Lauf. Alle haben nun gesehen, was für ein Riesen-Talent er ist. Nehmen wir zudem Marco Reus. Einen Mario Götze. Einen Julian Weigl. Einen Thomas Delaney. Man kann keinen einzelnen Spieler hervorheben.

Sie alle werden von Coach Lucien Favre geführt, einem nachdenklichen, oft in sich gekehrten Analytiker. Als es zuletzt nicht lief, gab es vereinzelt Stimmen, dass Dortmund einen emotionalen Trainer à la Jürgen Klopp brauche.

Favre hat gegen Mailand ein gutes Ergebnis erzielt, obwohl er nicht wie ein Wilder an der Seitenlinie herumgetanzt ist. Er ist, wie er ist, ein überragender Trainer. Aber das wusste jeder in Deutschland. Er macht keinen Alarm an der Linie, aber seine Mannschaft spielt hervorragend. An der Linie herumzuturnen, würde überhaupt nicht zu seinem Charakter passen. Dagegen hat er die jüngste Phase sehr gut hinbekommen, schließlich stand er sehr unter Druck.

Auch intern? Anders formuliert: Gehen Watzke, Zorc und Favre bedingungslos in dieselbe Richtung?

Absolut. Watzke hat zuletzt zwar gesagt, dass Favre sich verändert habe. Natürlich wird, wenn es nicht läuft, auch beim BVB jeder unruhig. Aber Favre hat die zwei, drei Wochen, in denen es schwierig war, gemeistert. Auch die Mannschaft hat eine Reaktion gezeigt, obwohl sie unter Druck stand.

Nach dem 0:2 zur Halbzeit gegen Mailand fand Favre offensichtlich die richtige Ansprache in der Kabine.

Er hat es selber gesagt: Da war kein Riesen-Donnerwetter. Er hat nur angesprochen, dass die Aktionen nicht zielstrebig genug waren. Ich bin mir sicher, dass sich die Spieler in der Kabine zusammengesetzt und gesagt haben: Wir können uns hier von Inter jetzt nicht abschlachten lassen. Favre hat klar betont, dass der Impuls aus der Mannschaft kam.

Ein Impuls kam auf der Pressekonferenz des BVB auch von Sportdirektor Zorc, der, ganz im Stile eines Oliver Kahn, von seiner Mannschaft "Eier" gefordert hat. Schließlich gingen die letzten beiden Bundesliga-Spiele bei Bayern 0:5 und 0:6 verloren.

Psychologisch ist die Ausgangslage eine ganz andere. Zorc hat sicher recht: Die Mannschaft muss jetzt Eier zeigen. Klar. Dennoch haben die Spieler bestimmt diese zwei Ergebnisse im Hinterkopf und werden sich genau überlegen, wie sie in dieses Spiel (Samstag, 18:30 Uhr) reingehen. So viel Risiko wie gegen Inter dürfen sie sich nicht erlauben. Es braucht eine absolute Topverfassung von jedem Spieler. Aber: In München zu spielen, ist für jeden Dortmunder Spieler ohnehin ein absoluter Push.

Karl-Heinz Riedle, Jahrgang 1965, spielte zwischen 1993 und 1997 für Borussia Dortmund. Der Stürmer gewann mit dem BVB 1995 und 1996 die deutsche Meisterschaft und 1997 die Champions League. Zudem wurde er 1988 mit Werder Bremen Deutscher Meister und 1990 mit Deutschland Weltmeister in Italien. Heute lebt der gebürtige Allgäuer in Oberstaufen und betreibt dort ein Hotel, ferner ist er als Markenbotschafter des BVB in der ganzen Welt unterwegs und begleitet die Mannschaft auf Marketingtrips.
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