Hertha BSC stellt mitten in der Coronakrise in Bruno Labbadia den vierten Trainer in dieser Saison vor. Nach dem Debakel mit Jürgen Klinsmann und dem Stillstand unter Alexander Nouri soll Labbadia nun die Trümmer einer verkorksten Saison beseitigen.

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Zur rekordverdächtig irren Saison von Hertha BSC konnte einfach nur er als neuer Trainer passen. Bruno Labbadia ist wieder da, der Globetrotter der Bundesliga.

Berlin ist bereits die zehnte Station Labbadias als Spieler oder Trainer in der höchsten deutschen Spielklasse, dazu kommen noch ein paar Engagements bei Zweitligisten. Kein anderer hat mehr Arbeitgeber aufzuweisen.

Berlin und die Hertha fehlte noch in der Liste, die mit unter anderem München, Stuttgart, Köln, Hamburg, Leverkusen, Bremen, Wolfsburg oder Kaiserslautern äußerst illuster bestückt ist.

Das war es dann aber auch schon mit Superlativen, die Entscheidung für Labbadia ist eher eine Entscheidung für die Vernunft - was im Dunstkreis der Hertha in diesen Zeiten schon eine Extra-Meldung wert wäre.

Die als Angriff auf das Establishment angekündigte Saison fand ihr vorläufiges Ende in einem veritablen Fiasko, den großspurigen Versprechungen folgten Leistungen im Kleinstformat, der reinste Einkaufwahn im Winter, die Klinsmann-Episode, das totale Chaos. Und jetzt: Bruno Labbadia. Mehr Vernunft und Rationalität auf dem Trainerstuhl geht kaum.

Vier Trainer, aber nur eine Konstante

"Mit Bruno bekommen wir jemanden, der die Bundesliga durch viele Jahre als Spieler und Trainer im Detail kennt und bei seinen Stationen gezeigt hat, dass er Teams stabilisieren und entwickeln und im nächsten Schritt in obere Tabellenregionen führen kann", wird Michael Preetz in einer Mitteilung des Klubs am Donnerstag zitiert.

Preetz ist ja immer noch da, er darf weiter die Geschicke führen, wenngleich auch den Geschäftsführer eine große Portion Schuld trifft an der bisher verkorksten Saison.

Labbadia ist der vierte Berliner Trainer dieser Spielzeit, von Ante Covic über Jürgen Klinsmann und zuletzt Alexander Nouri wurde eine Mannschaft angeleitet, die eine Dardai-Covic-Klinsmann-Mannschaft ist.

Die Klammer um diese drei Trainer bilden Preetz und Geldgeber Lars Windhorst, der mit seinem Kapital - Windhorst würde eher von einem Invest sprechen - die turbulenten Tage erst eingeläutet hatte. Das ist die Gemengelage in einem notorisch unruhigen Umfeld. Und trotzdem nimmt Labbadia diese Gelegenheit wahr.

Kann Labbadia wirklich entwickeln?

"Mein Team und ich freuen uns total auf diese Aufgabe. Hertha BSC ist ein Verein mit einem klaren, ambitionierten Plan für die Zukunft. Wir haben große Lust, Teil dieses Plans und der Weiterentwicklung von Hertha zu sein", sagt Labbadia, der in Berlin tatsächlich früher oder später in zwei Rollen schlüpfen muss: Erst in die bestens gelernte als Retter, danach in die des Entwicklers.

Den Hamburger SV hat Labbadia dreimal vor dem Abstieg gerettet, den VfL Wolfsburg und den VfB Stuttgart je einmal. Labbadia ist ein recht pragmatischer Trainer, der gerade im Abstiegskampf auch auf sehr pragmatische Lösungsansätze setzt.

Die große Weiterentwicklung nach einer erfolgten Rettung konnte aber auch er bisher vollumfänglich nur bei seiner letzten Station in Wolfsburg umsetzen, dort schied er nach einem enervierenden Zwist mit Sportdirektor Jörg Schmadtke. Trotzdem ist Preetz überzeugt, in Labbadia endlich den richtigen Trainer gefunden zu haben.

"Bruno passt mit seiner Idee von offensivem Fußball, seiner Akribie und seinem Ehrgeiz perfekt zu Hertha BSC und unseren Zielen", sagt Preetz und das klingt erstmal so, wie es immer klingt, wenn ein neuer leitender Angestellter installiert wird. Im Umkehrschluss suggerieren diese Worte aber immer auch, dass genau das beim Vorgänger nicht oder nicht mehr der Fall war - sonst müsste man als Klub ja erst gar nichts ändern.

Nouri war schnell verbrannt

Bei Alexander Nouri jedenfalls passte so gar nichts. Nouri kam als Klinsmann-Vertrauter nicht an die Mannschaft ran, die sich gegen ihren Vorgesetzten abschottete und den komplett im Regen stehen ließ.

So war Nouri immer ein Fremdkörper und es stellt sich bis heute die Frage, warum Preetz sich nach dem Klinsmann-Abgang überhaupt für dessen Co-Trainer entschied - wohlwissend um die innerbetrieblichen Probleme und Nouris eher defensiven Stil? Zur kruden Nouri-Zeit passte auch dessen Ende.

Durch die Hintertür verließ Nouri das Projekt Hertha. Als die Mannschaft am Montag nach einer zweiwöchigen Quarantäne wieder in kleinen Gruppen trainieren durfte, fehlte vom Cheftrainer jede Spur. Nouri war da offenbar schon gar nicht mehr in Berlin.

Dass Preetz jetzt den Schnitt wagt, mag auf den ersten Blick erstaunen. Mitten in der Coronakrise, ohne einen konkreten Wiedereinstiegstermin und die Gewissheit, dass überhaupt noch einmal gespielt werden kann. Ein bisschen ist das wie beim FC Augsburg, wo der neue Trainer Heiko Herrlich zwar seit vier Wochen im Amt ist, aber bisher kaum einmal richtig trainieren lassen konnte, geschweige denn die Mannschaft bei Spielen betreuen durfte.

Andererseits kam der Hertha die erzwungene Spielpause gerade recht. Im Sommer wäre für Nouri ohnehin Schluss gewesen, die latente Abstiegsgefahr und eine - eventuell - deutlich verkürzte Vorbereitungszeit auf die (mögliche) neue Saison haben den Entschluss für einen vorgezogenen Cut befeuert.

Umdenken bei Preetz

"Durch die aktuelle Situation bezüglich des Coronavirus und die Unterbrechung der Saison erleben wir gerade eine Art vorgezogene Sommerpause", sagt Preetz. "Wir haben uns dazu entschlossen, diese Chance, die Mannschaft in den nächsten Wochen auf eine mögliche Fortführung der Saison vorbereiten zu können, zu nutzen und unsere Entscheidung auf der Trainerposition vorzuziehen."

Das klingt plausibel. Nach "Big-City-Club", den irrwitzigen Investitionen alleine im Wintertransferfenster und als Krönung - oder Tiefpunkt, je nach Lesart - der Klinsmann-Posse soll jetzt Schluss sein mit Durcheinander und Peinlichkeiten.

Labbadia wird sich um die sportlichen Belange kümmern, damit dürfte er bei dieser zusammengewürfelten Mannschaft und den ja immer noch hohen Zielen schon genug zu tun haben. Anders als bei Klinsmann, der den Verein auf den Kopf stellen und zumindest über "seine" Mitstreiter Mitsprache in den Gremien haben wollte, haben die Verantwortlichen von Labbadia derlei Avancen nicht zu befürchten.

Dass der nicht unbedingt die erste Wahl war und wegen Niko Kovac‘ Absage erst ins Amt gelangte, ist dabei allenfalls eine Randnotiz. Mit Labbadia hat sich Hertha BSC eine gewisse Verlässlichkeit eingekauft. Und das ist nach den turbulenten Monaten von Berlin schon eine erstaunliche Nachricht.

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