Dortmund versinkt in großer Trauer - weil der BVB die größte aller Chancen zum Abschluss einer skurrilen Saison nicht ins Ziel bringt. Was bleibt von diesen zehn Monaten des steten Auf und Ab?

Eine Analyse
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Borussia Dortmund hat den Schlusspunkt einer bewegten und bewenden Saison verpasst. Die schwarz-gelbe Gemeinde dürfte so niedergeschlagen sein wie zuletzt vor fast genau zehn Jahren, als das Champions-League-Finale gegen den FC Bayern in Wembley verloren ging.

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Was bleibt nun aus dieser Spielzeit mit ihren Höhe- und Tiefpunkten, warum war der BVB so nah dran wie schon sehr lange nicht mehr und am Ende doch wieder der Verlierer? Der Saison-Rückblick.

Sébastien Haller
Borussia Dortmunds Sébastien Haller nach dem Spiel. © picture alliance/dpa/Bernd Thissen

Die Saison

Die erste Halbserie war zum Vergessen. Der BVB kam über Ansätze nicht hinaus: In Versatzstücken war die Leistung phasenweise gut, aber nie passte das Gesamtgefüge. Platz sechs und neun Punkte Rückstand nach den ersten 15 Spielen bis zur WM-Pause waren die Quittung für die wieder einmal sehr wankelmütige Mannschaft.

Mit der sich andeutenden Rückkehr von Sebastien Haller und dank der längeren Winterpause fand sich die Mannschaft aber immer besser mit den Ideen von Edin Terzic zurecht. Das nötige Spielglück in den ersten Partien ließ den Glauben an die eigene Stärke wachsen, es entwickelte sich ein kaum für möglich gehaltener Lauf.

Auch die enttäuschenden Niederlagen in der Champions League und im DFB-Pokal oder die obligatorische Klatsche in München konnte der Mannschaft wenig anhaben. Dass jeder Erfolg aber weiterhin auch mit Vorsicht zu genießen war, zeigten die Auftritte und Punktverluste bei den Abstiegskandidaten Schalke, Stuttgart und Bochum. Als der BVB dank freundlicher Unterstützung der Bayern dann aber das Spiel in Augsburg souverän gewann, schien der Weg geebnet - bis zum bitteren Ende gegen Mainz.

Die Mannschaft

Das Team hat in der Rückrunde eine hervorragende Entwicklung genommen. Es hat sich so etwas wie ein Kern etabliert, angefangen beim wohl besten Keeper der abgelaufenen Saison, Gregor Kobel, über die Innenverteidigung, über die lange verschmähten Emre Can und Julian Brandt bis zu Comebacker Haller.

Der interne Konkurrenzkampf hat die Mannschaft angetrieben und auch das eine oder andere Problem kaschiert: Die Besetzung im defensiven Mittelfeld mit der eher auf Körperlichkeit ausgelegten Spielweise von Can oder Salih Özcan war nicht immer optimal, ein spielstärkerer Sechser hätte der Mannschaft gut getan.

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Haller-Ersatz Anthony Modeste war ein Fehlgriff und konnte der Mannschaft nur in dieser einen Szene im Spiel gegen die Bayern helfen. Aber: Mit Haller, mit Donyell Malen und Karim Adeyemi, hat sich ein Angriff herausgebildet, der auch in den kommenden Jahren noch Akzente setzen kann.

Die unvermeidlichen Veränderungen mit dem feststehenden Abgang von Mo Dahoud und den sehr wahrscheinlichen Abgängen von Raphael Guerreiro und Jude Bellingham werden Lücken reißen - sie bieten aber auch eine Chance, sich mit den Zukäufen noch mehr auf den Terzic-Fußball einzulassen. Dortmunds Kader ist noch nicht ausgewogen genug, er benötigt mehr Qualität in der Spitze und mehr Tiefe.

Immerhin: Ein Dauerthema der letzten Jahre hat sich abgeschwächt. Die Flut an Muskelverletzungen konnte die neu aufgestellte medizinische Abteilung zwar nicht ganz stoppen, im Vergleich zu einigen der letzten Spielzeiten aber doch deutlich reduzieren.

Der Trainer

Edin Terzic war "nur ein Tor" entfernt von seinem Lebenstraum: Seiner ersten deutschen Meisterschaft und dem zweiten Titel mit seinem BVB in seiner zweiten Amtszeit als Trainer. Aber trotz aller Enttäuschung darf Terzic als der große Dortmunder Gewinner der Saison durchgehen. Sieben Jahre lang hat die Borussia nach einem legitimen Nachfolger für Übervater Jürgen Klopp gefahndet, so ziemlich alle Trainertypen durchprobiert und doch nie den richtigen gefunden. Mit Terzic sollte diese Suche nun aber vorerst beendet sein.

Zwar hat auch der Novize in seiner ersten kompletten Saison als Cheftrainer in der einen oder anderen Partie noch Lehrgeld gezahlt, vergriff sich besonders in der ersten Saisonhälfte ein paar Mal bei der Ausrichtung und beim Personal. Aber seinen Ruf als exzellenter Kommunikator und Menschenversteher hat Terzic eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Dem 40-Jährigen ist ein guter Mix aus Härte und Nachsicht im Umgang mit seinen Spielern gelungen und auch der Wechsel auf der Co-Trainer-Position in der Winterpause hat das Trainerteam nur noch enger zusammengeführt. Schwierige Phasen konnte Terzic stets authentisch moderieren und damit überstehen.

Seine größte Leistung war aber, dass er dem gesamten Klub und seinen Fans nach Jahren der Lethargie wieder Leben eingehaucht hat. Der Dortmunder Anhang brennt wieder für seinen Klub, das ist die positive Botschaft der Saison. Und das hat in erster Linie mit Edin Terzic zu tun. Er bleibt der Hoffnungsträger für die kommenden Jahre.

Der Ausblick

Was war das nun für eine Saison, die am Ende doch wieder nur mit Platz zwei und angesichts der überdimensional großen Chance am letzten Spieltag mit der schlimmsten aller Enttäuschungen endet? Der BVB war drauf und dran, endlich mal die Gunst der Stunde zu nutzen. Die Bayern haben so viel angeboten wie seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr - und dennoch hat es die Borussia nicht geschafft, das zu nutzen.

"Die nächsten Tage werden brutal", weiß Mats Hummels im "Kicker". Wenn sich der erste Schock der Enttäuschung lichtet und jedem einzelnen Spieler erst so richtig klar wird, was für eine wahnsinnig große Gelegenheit da verspielt wurde. Umso wichtiger war Terzics Reaktion in der bittersten Stunde seiner noch jungen Trainerlaufbahn: Dass er sich vor die Fans auf der Südtribüne stellte, dass er in einem ersten Interview glaubhaft versicherte, das alles verarbeiten und in die richtigen Bahnen lenken zu können.

"So laut wie nie" wollte Terzic seinen BVB wieder machen. Nach der Partie gegen Mainz war das Stadion mit seinen 75.000 Borussen darin so leise wie nie. "Dieser Spieltag wird uns sehr lange weh tun", sagte Terzic. Nun liegt es auch an ihm, wie "sehr lange" das sein wird.

Große Mannschaften - auch die Bayern nach ihrem verlorenen Finale dahoam 2012 - haben gezeigt, wie man aus der größten Enttäuschung Kraft und Widerstandsfähigkeit schöpfen kann und die Energie so kanalisieren, dass daraus eine neue Motivation entsteht. Andere wiederum sind daran auch schon zerbrochen.

Aktuell bleibt der Eindruck haften, dass Borussia Dortmund diese einmalige Gelegenheit so schnell nicht mehr auf dem Silbertablett präsentiert bekommt. Aber wer weiß: Vielleicht steht dem BVB ja schon bald wieder so eine verrückte Saison bevor wie diese?

Verwendete Quelle:

  • kicker.de: Hummels fassungslos: "Die nächsten Tage werden brutal"
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