Für den Nahost-Experten Udo Steinbach wird sich in der israelischen Politik auch nach der Parlamentswahl wenig ändern. Im Interview mit unserer Redaktion sieht er eine wachsende Entfremdung zwischen Israel und der Europäischen Union (EU), kritisiert den Wahlkampf von Premierminister Benjamin Netanjahu und erklärt, warum seiner Meinung nach eine Eskalation zwischen Israel, den USA und Iran bevorsteht.

Ein Interview

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Herr Professor Steinbach*, nach Auszählung der meisten Stimmen bleibt Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wohl im Amt. Was hat er in seiner fünften Amtszeit vor?

Udo Steinbach: Grundsätzlich wird alles beim Alten bleiben, möglicherweise noch schlimmer werden. Netanjahu hat angekündigt, den nächsten Schritt bei der Aneignung der Palästinensergebiete zu gehen und einen Teil der Siedlungen zu integrieren.

Nach der Okkupation will er nun eine völkerrechtliche Ausweitung des israelischen Staates vorantreiben. Diese Politik wird Israel im internationalen Kontext in wachsende Schwierigkeiten bringen.

Denn das eigentliche Problem Israels, sich eine legitime Stellung im Nahen Osten und innerhalb des internationalen Systems zu verschaffen, wird diese neue alte Regierung auch in den kommenden Jahren nicht lösen.

Ihre Einschätzung überrascht. Schließlich hat Netanjahu die Beziehungen zu Russland, einigen osteuropäischen Ländern, Saudi-Arabien und den USA in den letzten Monaten verbessert.

Sich komplett auf Donald Trump zu verlassen, ist für Israel extrem riskant. Trump wird nicht ewig im Amt sein, andere Präsidenten werden folgen und Israel wieder anders behandeln als die amtierende US-Regierung.

Die Obama-Administration war am Ende ihrer Amtszeit über die Verweigerungshaltung Israels vollständig verärgert. Diese Frustration wird in der amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend mitgetragen.

Man darf sich von Trump nicht täuschen lassen, ebenso wenig davon, dass Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman nun eine Art von Annäherungsprozess an Israel versuchen.

Das ist alles temporär, aber es löst das eigentliche Problem nicht - nämlich: Wie kann sich Israel in der gesamten Staatengemeinschaft eine legitime und völkerrechtlich unanfechtbare Position verschaffen?

In ihren Wahlprogrammen haben beide Kandidaten das Thema Palästina ausgeklammert, auch im Wahlkampf wurde es vermieden. Wieso?

Palästina interessiert die Menschen in Israel nicht mehr. Das Thema ist in der israelischen Politik zur Randangelegenheit geworden, weil die internationale Gemeinschaft den Umgang Israels mit Palästina schweigend hinnimmt.

Netanjahu ist es im Gegenzug sehr gut gelungen, seine Beziehungen zu den USA, seine Reise nach Oman oder seine Annäherung an Saudi-Arabien zu vermarkten und damit zu überspielen, dass er eigentlich wegen korrupter Praktiken verfolgt wird.

Sie beziehen sich auf den israelischen Generalstaatsanwalt, der in drei Fällen gegen Netanjahu ermittelt, unter anderem wegen Bestechlichkeit und Untreue. Rechnen Sie im Fall einer Anklage mit einem Rücktritt Netanjahus?

Netanjahu versucht mit allen politischen Mitteln die Gefahr, die ihm vonseiten der Staatsanwaltschaft droht, zu minimieren. Wenn die Justiz aber bei dem bleibt, was sie ermittelt hat und ein Strafverfahren eröffnet, wird er nicht im Amt bleiben können. Dann ist sein Rücktritt die unweigerliche Konsequenz.

Hätten die Israelis mit Benny Gantz eine andere Politik gewählt?

Außenpolitisch ist Gantz ein Klon von Netanjahu. Auch in dessen Wahlprogramm sind Palästina und der Gazastreifen überhaupt nicht vorgekommen.

Außerdem hätte er mit ähnlichen Leuten wie Netanjahu koalieren müssen. Hoffnung hätte aber gemacht, dass Gantz die polarisierte israelische Bevölkerung versöhnen wollte. Das hat sie wirklich nötig.

Netanjahu wird massive Zugeständnisse an die rechten Parteien im Parlament machen müssen, um weiter regieren zu können. Was bedeutet das für den Umgang mit Iran?

Die gefährliche Konfrontation mit Iran wird fortbestehen, mit allen Risiken. Netanjahu war immer ein starker Gegner des Atomabkommens und hat US-Präsident Donald Trump maßgeblich mit ins Boot geholt.

Dass die Amerikaner die iranischen Revolutionsgarden nun als terroristische Organisation deklariert haben, ist eine weitere Eskalation in diesem Konflikt.

Die Situation entwickelt sich rasend schnell in Richtung einer bewaffnet ausgetragenen Auseinandersetzung und da ist Netanjahu eine treibende Kraft. Im Libanon, dem Iran oder Israel braucht nur einer auf den falschen Knopf zu drücken und der ganze Nahe Osten geht in die Luft.

Die Eskalation mit dem Iran weiter voranzutreiben ist ein ungeheures Risiko für die Stabilität in der ganzen Region, mit Auswirkungen auf die ganze Staatengemeinschaft, insbesondere für Europa.

Noch bevor alle Stimmen ausgezählt wurden, haben sich beide Kandidaten als Wahlsieger bezeichnet. So ein Verhalten kennt man eher aus Diktaturen. Woher kommt die Schärfe?

Israel hat längst die Spielregeln einer Demokratie hinter sich gelassen. Die Gesellschaft ist ähnlich polarisiert wie in der Türkei. Vieles von dem, was wir im türkischen Wahlkampf erlebt haben, fand sich auch im israelischen Wahlkampf wieder.

Ich denke beispielsweise an die Delegitimierung des politischen Gegners mit furchtbaren Argumenten. Da hat sich Netanjahu ähnlich verhalten wie Erdogan.

Das Land nähert sich zunehmend der Türkei an und entfernt sich, was demokratische Prinzipien betrifft, von Europa.

Netanjahu hat angekündigt, das Westjordanland im Falle seines Wahlsieges annektieren zu wollen. Hat er die Zweistaatenlösung, die er vor einigen Jahren noch befürwortete, endgültig begraben?

Netanjahu wollte die Zweistaatenlösung nie. Solange die internationale Gemeinschaft noch davon gesprochen hat, hat er zähneknirschend zugestimmt.

Aber seine ganze Politik war immer darauf ausgerichtet, ein zionistisches Programm zu verwirklichen, die Zweistaatenlösung zu boykottieren und die Grenzen Israels in Richtung Palästina zu verschieben.

Netanjahu nutzte den Wahlkampf auch, um die Nahostpolitik der EU zu spalten indem er Israels Beziehungen zu Budapest, Warschau und Prag verbesserte, auch nach Moskau pflegt er beste Kontakte. Auf welches Verhältnis zu Israel muss sich die EU in einer fünften Amtszeit Netanjahus einstellen?

Wir sehen in Europa einen Prozess wachsender Entfremdung zu Israel und das wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verschlechtern. Mit einem Premier, der Siedlungen annektiert und die Zweistaatenlösung blockiert, wird Europa nicht länger können.

Möglich ist aber auch, dass sich die EU in ihrem Verhältnis zu Israel spalten lässt und sich Netanjahu mit europäischen Rechtspopulisten ins Bett legt. Aber das ist keine langfristige Lösung.

*Prof. Dr. Udo Steinbach (75) ist Islamwissenschaftler und ehemaliger Direktor des Deutschen Orient-Instituts. Er arbeitet als Berater und Gutachter für zahlreiche öffentliche und private Einrichtungen und widmet sich neben seiner Tätigkeit als Wissenschaftler dem Dialog der Kulturen.
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