Joe Biden führt in den Umfragen zur US-Wahl 2020 vor Donald Trump. Doch, was zeichnet den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten aus? Was hat er in seinem Leben hinter sich? Im Interview charakterisiert Dave Dowdy von den Democrats Abroad München den Typ Biden – und warum er der Hoffnungsträger der Liberalen in den USA ist.

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Herr Dowdy, was ist Joe Biden für ein Typ?

Dave Dowdy: Er ist ehrlich, glaubwürdig, ein guter Mensch. Er hat ein gutes Herz. Joe Biden ist sehr erfahren in der Politik. Man kann ihm vertrauen. Hillary Clinton wollten die Republikaner (vor der US-Wahl 2016, Anm. d. Red.) immer was anhängen. Aber Biden ist kein Buhmann, das funktioniert bei ihm nicht.

Joe ist also zu einhundert Prozent Joe?

Ja, mit Joe Biden kann man Pferde stehlen. Er ist ein Mann, mit dem ich um die Ecke ein Bier trinken würde. Hillary Clinton war nicht nahbar, Biden ist es.

US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden: "Er vertritt immer eine Linie"

Sie sprechen Glaubwürdigkeit an. Politikwissenschaftler Thomas Jäger sagte im Gespräch mit uns, dass auch bei Joe Biden vieles Show sei ...

Nein, er ist authentisch. Er vertritt immer eine Linie. Biden war politisch immer moderat, in der Mitte der Gesellschaft. Und Donald Trump? Er war früher bei der Demokratischen Partei. Jetzt ist er nur Republikaner geworden, weil er bei ihnen bessere Chancen hatte, Präsident zu werden.

Was zeichnet den Politiker Biden aus?

Er ist überzeugt, dass den Menschen aus der Mittelklasse geholfen werden muss. Deshalb würde er die Steuern für Reiche heben und Obamacare wieder stärken. Er vertritt eine liberale Politik. Biden ist Klimapolitik wichtig. Er würde in das Klimaabkommen mit den Europäern zurückkehren. Außenpolitisch würde er die Annäherung mit Iran suchen. Er geht auf politische Gegner zu, will Demokraten und Republikaner wieder an einen Tisch bringen.

Als er mit Kamala Harris eine schwarze Amerikanerin als mögliche Vize-Präsidentin vorstellte, wähnten Kritiker einen wahltaktischen Zug dahinter.

Biden gilt als Freund von Schwarzen und Latinos, weil er acht Jahre lang Vize-Präsident von Barack Obama war. Obama hat so ein gutes Standing bei uns schwarzen Amerikanern, auch bei amerikanischen Asiaten. Davon profitiert Biden. Mit Blick auf seine Vergangenheit lässt nichts darauf schließen, dass er nur Show ist.

US-Wahl 2020: "Joe Biden musste persönliche Tragödien durchmachen"

Weil das Leben ihm hart mitspielte? Bei einem Verkehrsunfall starben 1972 seine damalige Frau Neilia und die seinerzeit erst ein Jahr alte Tochter Naomi, 2015 erlag sein Sohn Beau einem Gehirntumor.

Joe musste persönliche Tragödien durchmachen. Das spüren wir. Er wird auch nie ein Millionär sein. Biden gilt als Mann des Volkes, der vom Leben gestählt wurde. Er hat sich nie unterkriegen lassen, egal, wie groß die Widrigkeiten waren. Und er ist immer Joe geblieben.

Donald Trump gilt dagegen als impulsiv, als unberechenbar. Ist Biden für Liberale in den USA deshalb regelrecht ein Hoffnungsträger?

Selbst AOC unterstützt ihn, Alexandria Ocasio-Cortez, und schießt nicht dagegen. Normalerweise kritisiert sie jeden und alles. Sie wird sich ihre Positionen nach der Wahl zurückholen, sicher. Aber jetzt sagt sie sich wie alle Liberalen in den USA: 'Wir können nicht nochmal vier Jahre Donald Trump ertragen!'

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"Neonazis hätten unter Joe Biden nichts mehr zu sagen"

Rassismus, Polizeigewalt, Straßenschlachten trotz Corona – die USA wirken aus europäischer Perspektive chaotisch. Zu befrieden ist eine Herkulesaufgabe, oder nicht?

Es ist schwierig, einen weißen Rassisten an den Tisch zu bekommen. Aber: Unter Donald Trump fühlen sie sich geschützt. Das würde unter Joe Biden aufhören. Amerikanische Rassisten sind in der Regel Trump-Wähler. Leute aus dem Ku-Klux-Klan, Neonazis hätten unter Biden nichts mehr zu sagen. Unter Trump fühlen sie sich gestärkt und gehen für ihn auf die Straße.

Es wirkt, mit Verlaub, als gäbe es in den USA viele dieser Rassisten.

Sie sind nicht wenige. In den Umfragen liegt Donald Trump immer noch bei 42 Prozent der potentiellen Wähler, in seiner Partei hat er laut Erhebungen eine Zustimmung von 90 Prozent. Wie viele davon Rassisten sind, kann ich nicht sagen. Es gibt Schätzungen, wonach es um zehn bis 20 Prozent der US-Amerikaner geht. Durch Trump weiß man, wie groß das Problem ist und welch krasse Positionen sie vertreten.

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"Sieben, acht Swing States spielen eine große Rolle"

Was sagen die Umfragen?

Wenn man als Demokrat wirklich wissen will, wie die Chancen stehen, muss man sich die konservative Seite anschauen: die Internetseite "Real Clear Politics". Man kann Umfragen so und so gestalten. Welche Fragen stelle ich, wen rufe ich an. Vor vier Jahren lag Hillary Clinton weit vorne, weil vergessen wurde, die weiße Arbeiterschicht in den Umfragen stärker einzubeziehen. Auch diesmal spielen sieben, acht Swing States (Bundesstaaten in welche der Wahl-Ausgang unklar ist, Anm. d. Red.) eine große Rolle. Sogar in Florida führt Biden mit zwei Prozent, und in Texas liegt er nur zwei Prozent hinter Trump. Die Republikaner sind in Texas über Jahrzehnte so dominant, wie zum Beispiel die CSU in Bayern. Aber: Texas ist am Kippen.

Obwohl Biden Bürger und amerikanische Unternehmen stärker besteuern will ...

Trumps‘ Strafzölle gegen China kosten amerikanische Arbeiter und Landwirte Milliarden Dollar. Das hat der amerikanischen Mittelklasse nicht geholfen. Sie zahlen genauso viel Steuern wie davor. Nur die Reichen haben profitiert. Die Demokratische Partei will die Reichen dagegen stärker besteuern, eine Reichensteuer von 70 Prozent und nicht von 25 Prozent wie aktuell. Das Steuerniveau der Mittelklasse soll gehalten werden. Meine Meinung: Biden müsste jetzt einen kolossalen Fehler machen, etwas richtig Dummes sagen, um seinen Erfolg zu gefährden. Schon zehn Millionen Bürger haben per Briefwahl gewählt.

"Erdrutschsieg" für Joe Biden?

Meinen Sie, dass es ein "Erdrutschsieg" für Biden werden könnte?

Ja, könnte sein. So, wie es momentan aussieht, hat Joe Biden nach Wählerstimmen in den Bundesstaaten 370 Wahlmänner. Er bräuchte aber nur 270. Donald Trump liegt aktuell (Stand 16. Oktober) bei 125 Wahlmännern.

Über den Experten: Dave Dowdy, Jahrgang 1946, ist in Boston/USA geboren und aufgewachsen. 1967 kam Dowdy zum Studieren nach Deutschland - und ist geblieben. Der Unternehmensberater ist ehemaliger Vorsitzender der Democrats Abroad München und seit vielen Jahren Mitglied. Unter den Democrats Abroad (DA) sind die internationalen Vertretungen der Demokratischen Partei zusammengefasst. In Deutschland gibt es Abteilungen von DA in München, Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und in Stuttgart. Allein das Münchner DA-Büro hat mehr als 1.000 Mitglieder.
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