Recep Tayyip Erdogan ist in Berlin gelandet. Es ist der heikelste Staatsbesuch seit langem. Der türkische Präsident will einen "Neustart" der Beziehungen zu Deutschland. Doch die Vorbehalte in Berlin sind groß und zu allem Überfluss wurden am Vorabend des Staatsbesuchs Spionagevorwürfe der Berliner Polizei gegen einen Kollegen publik.

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Höchste Sicherheitsstufe in Berlin, harsche Kritik im Bundestag: Der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist am Donnerstag zu seinem umstrittenen Staatsbesuch in Berlin eingetroffen.

Am Freitag trifft er mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen. In der Hauptstadt sind zahlreiche Demonstrationen angekündigt, die sich vor allem gegen die Inhaftierung von Journalisten und Regimegegnern in der Türkei wenden. Am Samstag wird Erdogan in Köln eine Moschee eröffnen.

Spionage-Vorwürfe gegen Türkei

Zwei FDP-Bundestagsabgeordnete stellten wegen einer für politische Spitzeldienste genutzten App der türkischen Polizei Strafanzeige beim Generalbundesanwalt. Es bestehe Verdacht auf Spionage, bestätigte das Büro des Freidemokraten Manuel Höferlin. "Report Mainz" hatte berichtet, dass in Deutschland lebende Kritiker Erdogans mithilfe der Smartphone-App "EGM" der Zentralbehörde der türkischen Polizei denunziert werden könnten.

Unterdessen wurde am Vorabend des des Staatsbesuchs bekanntgeworden, dass die Berliner Polizei gegen einen Kollegen wegen des Verdachts ermittelt, in der Hauptstadt lebende türkische Oppositionelle für den Geheimdienst der Türkei ausspioniert zu haben. "Sollte sich der Tatvorwurf erhärten, werde ich alles daran setzen, diese Person aus dem Dienst der Polizei Berlin zu entfernen", teilte Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Donnerstag mit.

Laut "Tagesspiegel" (Donnerstag) sollen deutsche Sicherheitsbehörden den Beamten höheren Ranges beobachtet haben. Offenbar sei es vor allem um die Adressen der Oppositionellen gegangen, die der Polizist einem Mitarbeiter der türkischen Botschaft übergeben habe. Bei diesem Botschaftsmitarbeiter soll es sich demnach um einen türkischen Geheimagenten handeln.

Slowik erklärte: "Es ist ein schwerwiegender Vorwurf, dem wir nachgehen." Sie hoffe, dass die schon länger laufenden Ermittlungen trotz der Veröffentlichungen erfolgreich seien werden, "ob nun be- oder entlastend".

Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte: "Zurzeit haben wir keine Erkenntnisse zu einer möglichen Gefahrenlage für die türkischstämmigen Berlinerinnen und Berliner." Man nehme den Vorwurf aber sehr ernst.

Erdogan will Neustart der politischen Beziehungen

Die Maschine der türkischen Delegation landete am Donnerstag auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Vor seinem dreitägigen Besuch warb Erdogan für einen Neustart der politisch angespannten Beziehungen beider Länder auf Augenhöhe.

"Wir sind verpflichtet, unsere Beziehungen auf Basis beiderseitiger Interessen und fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert fortzuführen", schrieb er in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Erdogan wollte noch im Laufe des Donnerstags zunächst Berater und Vertreter türkischer Organisationen treffen. Die Gespräche sollten in der Türkischen Botschaft und im weiträumig abgesperrten Hotel Adlon stattfinden.

Sicherheitsstufe 1 fürs Regierungsviertel

Das offizielle Programm beginnt am Freitagmorgen. Steinmeier empfängt Erdogan mit militärischen Ehren. Später gibt es ein Mittagessen mit der Kanzlerin und abends ein Staatsbankett im Schloss Bellevue. Zahlreiche Oppositionspolitiker haben ihre Teilnahme aus Protest gegen Erdogan abgesagt.

Im Berliner Regierungsviertel gilt seit Donnerstag Sicherheitsstufe 1. Schwer bewaffnete Polizisten patrouillierten zwischen Bundeskanzleramt, Reichstagsgebäude und dem Hotel Adlon am Brandenburger Tor.

Auf dem Dach des Adlon postierten sich vermummte Scharfschützen aus den Spezialeinheiten der Polizei. Insgesamt sollten während des Staatsbesuchs bis zu 4.200 Polizisten im Einsatz sein, hieß es.

Scharfe Kritik an Erdogans Politik im Bundestag

Der Bundespräsident dämpfte überzogene Erwartungen und sagte: "Dieser Besuch ist kein Ausdruck von Normalisierung. Davon sind wir weit entfernt. Aber er könnte ein Anfang sein."

Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag) sagte Steinmeier weiter, notwendig seien sichtbare Schritte für mehr Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. "Wir können und werden den Druck auf Medien, Justiz und Gewerkschaften nicht akzeptieren." Nur bei einer Verbesserung dieser Bedingungen könne sich die Türkei Hoffnung auf wieder engere Beziehungen zur EU machen.

Im Bundestag gab es fraktionsübergreifend scharfe Kritik am Kurs Erdogans, dem ein Abbau der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei vorgeworfen wird.

FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff rief - ebenso wie andere Redner - zur Freilassung sämtlicher politischer Gefangenen auf: "Lassen Sie diese Menschen frei, lassen Sie freie Debatte in der Türkei wieder zu!"

Lambsdorff und andere warfen Erdogan die Einrichtung einer "Spionage-App" vor. Hintergrund ist eine Smartphone-App der türkischen Polizei, mit der nach Medienberichten auch Kritiker der türkischen Regierung von überall auf der Welt angezeigt werden können.

Merkel schließt Finanzhilfen aus

Kanzlerin Angela Merkel schloss deutsche Finanzhilfen für die Türkei vor ihrem für Freitag geplanten Treffen mit Erdogan aus. Es müssten jetzt "kluge Verbindungen" gefunden werden, damit die Türkei ein stabiles Land bleibe, sagte die CDU-Chefin am Donnerstagabend bei einer Interviewveranstaltung der "Augsburger Allgemeinen" in Augsburg. Dabei denke sich nicht an ökonomische Hilfen, aber eine wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Merkel betonte, dass sie mit Erdogan auch Kritisches zu besprechen habe. "Die Lage der Menschenrechte ist nicht so, wie ich mir das vorstelle", betonte sie. Jedoch müsse allen klar sein, dass die Türkei da kein Einzelfall sei.

Einige wollen nicht an Bankett teilnehmen

Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Es kommt ein Machthaber eines Landes, in dem es praktisch keine Pressefreiheit mehr gibt, in dem immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern."

Özdemir verteidigte seine geplante Teilnahme an dem Staatsbankett für Erdogan. "Ich möchte gerade durch meine Teilnahme deutlich machen: Hier in der Bundesrepublik Deutschland gehört die Opposition dazu", sagte der Abgeordnete.

In der Türkei könne Erdogan die Opposition mundtot machen. "In Deutschland nicht, deshalb gehe ich da hin." FDP, Linke und die Grünen-Fraktionsspitze wollen nicht an dem Bankett teilnehmen.

Die Vizechefin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, wies Erdogans Ruf nach einem Neustart der Beziehungen zu Deutschland zurück. "Eine Normalisierung darf es nur geben, wenn die Verhältnisse in der Türkei sich normalisieren." Dagdelen kritisierte, mit dem Staatsbesuch rolle die Bundesregierung Erdogan den roten Teppich aus. (ank/ff/mc/dpa)

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