• Aminata Touré ist seit Ende Juni die erste afrodeutsche Ministerin Deutschlands. Zuständig für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung gehört sie dem Kabinett von Daniel Günther (CDU) in Schleswig-Holstein an.
  • Die Grünen-Politikerin hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Mit 27 Jahren wurde sie die jüngste Vizepräsidentin in der Geschichte deutscher Landesparlamente.
  • Die heute 29-Jährige setzt sich nicht zuletzt aufgrund ihrer Lebensgeschichte für gleiche Chancen und Partizipation ein. Aminata Touré im Porträt.
Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Matern sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Mit nur 29 Jahren ist Aminata Touré als Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein vereidigt worden. Dabei hätte sie wohl sogar nach Berlin wechseln können, entschloss sich aber in ihrer Heimat zu bleiben. Nun will Touré auf Landes-, aber auch auf Bundesebene in ihrem Ressort einige Steine ins Rollen bringen.

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So spricht sie sich beim Redaktionsnetzwerk Deutschland im Bund für die Grundsicherung für Kinder und Jugendliche aus und fordert Entlastungspakete für alle Bevölkerungsgruppen. "Es geht um die Grundstruktur", sagt sie. Auch das jüngst durch die Streichung des Paragrafen 219a und damit die Kippung des Werbeverbots für Abtreibungen wieder in den Fokus gerückte Thema von Schwangerschaftsabbrüchen ist eines ihrer Anliegen.

"Der Schwangerschaftsabbruch sollte zeitgemäß jenseits des Strafgesetzbuches neu geregelt werden", so Touré am Freitag (1. Juli 2022) nach einer Konferenz der Frauen- und Gleichstellungsministerinnen und -minister in Hamburg. "Die Streichung des Paragrafen 219a war ein wichtiger Schritt, aber darüber hinaus brauchen wir eine grundsätzliche Entkriminalisierung des Abbruchs", fordert sie.

Cem Özdemir über Aminata Touré: Du hast Geschichte geschrieben

In ihrem Ressort in Schleswig-Holstein geht es ihr unter anderem um eine jugendpolitische Strategie und sie kündigt ein Sofortprogramm für die Tafeln an. Die 29-Jährige zeigt sich tatkräftig und entschlossen. Mit ihrem Aufstieg ist sie ein Vorbild "für viele in unserem Land", wie Parteikollege Cem Özdemir anerkennend auf Instagram schreibt. Sie habe mit ihrem Amtsantritt bereits "Geschichte geschrieben."

"Mit deinem klaren Kompass und starken Idealen bin ich mir sicher, dass du eine großartige Ministerin sein wirst", gratuliert der Bundeslandwirtschaftsminister. Touré selbst weiß um die Bedeutung ihrer Rolle: "Ich bekomme jetzt schon zahlreiche Nachrichten von Menschen, die mir schreiben, dass ihnen das ganz viel bedeutet. Das Ganze hat auch eine Signalwirkung. Wichtig ist, damit verantwortungsvoll umzugehen", sagt sie im Interview mit dem RND.

Touré nach Auszug der AfD aus dem Landtag: "Die Nazis sind raus!"

Dass sie das kann, hat Touré in den letzten Jahren bewiesen. Seit 2017 sitzt sie im Landtag Schleswig-Holsteins und ist dort für ihr Redetalent bekannt geworden. Dabei zeigt sie immer klare Kante gegen rechts und poltert hin und wieder gegen die AfD, die nun bei den Landtagswahlen 2022 aus dem Parlament geflogen ist. Das kommentierte sie auf Twitter so: "Schleswig-Holstein did it! Die Nazis sind raus!"

Als sie ihre erste Rede im Landtag hielt, hatte sie auf die gute Integration ihrer Familie verwiesen und sich später über den Satz geärgert. Im Gespräch mit dem RND erklärt sie dazu: "Mich hat im Nachhinein der Druck geärgert, mich immer beweisen zu wollen. Auch wenn wir faul gewesen wären und uns nicht so angestrengt hätten, hätten wir trotzdem eine Daseinsberechtigung." So recht sie mit dieser Einordnung hat, so beeindruckend ist ihr Aufstieg dennoch, als sie im Jahr 2019 nach nur wenigen Jahren im Landtag schon zur Vizepräsidentin des Parlaments gewählt wurde.

Aminata Touré: Ihre Eltern flüchteten aus Mali nach Deutschland

Ihre Eltern flüchten nach dem Putsch in Mali 1991, der das Ende der 2. Malischen Republik bedeutete, ein Jahr später nach Deutschland und Touré wird 1992 in Neumünster geboren. Die ersten Jahre ihres Lebens wächst sie in einer Unterkunft für Geflüchtete auf. Die Eltern wissen nicht, ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Die Zeit ist von großer Unsicherheit und der Angst vor der Abschiebung geprägt.

Mit zwölf Jahren erhält Touré schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft, macht ihr Abitur im Jahr 2011, studiert später Politikwissenschaften und arbeitet als studentische Hilfskraft. Im Jahr 2012 tritt sie den Grünen und auch deren Jugendorganisation, der Grünen Jugend bei. Später wird sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Grünen-Abgeordneten Luise Amtsberg in deren Bundestagsbüro.

Aminata Touré über den Einzug in den Landtag: Privileg, Politik machen zu dürfen

Mit viel Können und etwas Glück folgt dann 2017 der Einzug in den Landtag. Dabei war Touré zunächst gar nicht ins Parlament gelangt. Sie stand auf der Liste der Grünen auf Platz elf, doch die erhaltenen Stimmen ließen nur zehn Abgeordnete einziehen. Touré hatte also zunächst das Nachsehen. Doch durch die Konstellation der abgegebenen Stimmen kam es zur Jamaika-Koalition zwischen CDU, Grünen und der FDP, an deren Entstehung Touré offenbar einen großen Anteil hatte.

Die Grünen-Abgeordnete Monika Heinold wurde Finanzministerin und legte ihr Mandat im Parlament nieder. Daraufhin zog Touré nach. Mit Heinold sollte Touré später das Spitzenduo bei der Landtagswahl 2022 bilden.

Ihr erster Tag im Landtag sei für sie dann ein besonderer Tag gewesen, wie sie dem NDR erzählt: "Und dieser Moment, als ich vereidigt wurde, das habe ich mir geschworen, wird kein Tag sein, der nur für meine Familie und mich besonders sein wird. Sondern ich werde dieses Privileg, Politik machen zu dürfen und Abgeordnete sein zu können, für diejenigen nutzen, die dieselben Erfahrungen gemacht haben wie meine Familie und ich."

"Unsere Gesellschaft ist nicht frei von Rassismus"

Damit meint Touré das Aufwachsen in Angst, vielleicht schon am nächsten Tag abgeschoben zu werden und sie verweist auf den Rassismus, den sie in Deutschland erlebt hat. "Mir wurden im Leben häufig Dinge nicht zugetraut, weil ich eine Frau und weil ich Schwarz bin", sagt sie im NDR. Heute setzt sich Touré dafür ein, den Begriff der "Rasse" aus dem deutschen Grundgesetz zu streichen.

"Unsere Gesellschaft ist nicht frei von Rassismus. Das müssen wir erst einmal anerkennen, ehe wir schauen, was wir dagegen tun können", sagt sie der FAZ. So ist für die als pragmatisch geltende Touré auch vollkommen klar, dass in der Politik zwar Kompromisse eingegangen werden müssen, es aber auch klare Grenzen gibt. Dazu gehört eine Koalition mit der AfD. "Denn in der AfD gibt es zu viele Rassisten und auch Faschisten."

Tourés Fachgebiet ist die Arbeit für Frauen-, Jugend-, Queer- und Migrationspolitik und sie setzt sich für Chancengleichheit und faire Repräsentation aller Menschen ein. Im Landtag ist sie Mitglied des Innen- und Rechtsausschusses. Der Universität Lüneburg sagt sie, es sei ihr besonders wichtig, "dass unterschiedliche Gruppen die gleichen Partizipationsmöglichkeiten haben müssen. Unsere Aufgabe als Politikerinnen ist es, diese gleichen Chancen herzustellen."

Politiker sollen Lösungen erarbeiten, statt Probleme zu schaffen

Obwohl sie vornehmlich auf Landesebene arbeitet, hat sich Touré auch schon vor Jahren in der Bundespolitik eingemischt. Als es um das Erlernen der deutschen Sprache für Schüler in Deutschland geht, schießt sie auf Twitter scharf gegen die Abgeordneten des Bundestags und gegen die Bundesregierung. "Auch heute dürfen nicht alle an Deutschkursen des Bundes teilnehmen – politische Entscheidung." Deshalb solle man sich zunächst einmal dafür einsetzen.

Sie selbst hatte als Kind von Geflüchteten nicht einmal einen deutschen Kindergarten besuchen dürfen und so auch keinen Kontakt zu Deutschen gehabt. "Es nervt mich einfach tierisch, wenn Politiker ihrer Verantwortung nicht gerecht werden und sich nicht darum kümmern, worum sie sich kümmern sollten: Lösungen erarbeiten, statt Probleme zu schaffen."

Die 29-Jährige nimmt jedenfalls kein Blatt vor den Mund, wie ihr auch Parteikollege Cem Özdemir auf Twitter attestiert, als sie im August 2019 zur Vizepräsidentin des Landtags gewählt wird: "Mit deinem Elan und deiner unverwechselbaren Art, die Dinge geradeaus anzusprechen und Menschen mitzunehmen, bist du Inspiration für viele, egal ob jung, alt, migrantisch oder biodeutsch!"

Aminata Touré über Mali und Deutschland: "Ich habe immer beide Welten in mir"

Touré weiß, wie wichtig es für migrantische Kinder ist, repräsentiert zu werden. Als sie klein war, habe sie zunächst immer ihre Mutter als Vorbild gehabt, später sei es dann Barack Obama geworden, wie sie im Stern Podcast "Die Boss" erzählt. Dass nun immer mehr nicht-weiße Frauen weltweit sichtbar sind, ist wichtig: "Es ist total schön, das zu sehen. Denn ich weiß, dass es superviele Kids of Color [People of Color ist eine selbstgewählte Bezeichnung von Menschen, die sich als nicht-weiß definieren; Anm. d. Red.] gibt, die jetzt mit diesem Bild aufwachsen."

Während sie Schleswig-Holstein als ihre Heimat bezeichnet, hat die Frage, Schwarz zu sein und in Deutschland aufzuwachsen, stets eine Rolle gespielt. "Ich habe die Auseinandersetzung damit, Schwarz zu sein, vor allem damit gehabt, dass andere Menschen einen ständig und ununterbrochen damit konfrontieren", sagt sie dem RND. Mit 13 Jahren war sie zum ersten Mal in Mali.

Weil ihre Wurzeln dort liegen und Deutschland ihre Heimat ist, bezeichnet sie sich selbst als afrodeutsch, erklärt sie der DW: "Ich hatte immer beide Welten in mir, aber ich wollte an einem gewissen Punkt nicht mehr zwischen Ländern wählen müssen. Daher benutze ich einen Begriff, den eine feministische Bewegung Schwarzer Frauen in Deutschland geprägt hat: Afrodeutsch." Die persönlichen Erfahrungen prägen ihre Politik.

Touré über ihren Lebensweg: Musste immer 200 Prozent geben

Denn es wurde viel über die Lebensrealität von Menschen gesprochen, die in Asylbewerberheimen leben, ohne dass den darüber debattierenden Politikern die Lebensrealität der Menschen überhaupt bewusst gewesen sei: "Eigene Erfahrungen können einen sensibilisieren und dazu führen, dass man eine Perspektive für die Menschen einnimmt, für die man politisch Verantwortung trägt", so Touré. Das Selbstbewusstsein für all die schwierigen politischen Aufgaben hat sie, wie sie der FAZ sagt, von ihrer Mutter.

Diese habe ihren Kindern immer beigebracht, mehr zu tun: "Gerade, weil wir zu einer Minderheit in Deutschland gehören und die Bedingungen nicht nur leicht sind, haben wir immer 200 Prozent geben müssen, wo andere nur 100 Prozent geben", sagt sie dem RND. Damit das nicht mehr notwendig ist und irgendwann echte Chancengleichheit erreicht wird, macht Touré Politik. In ihrem im August 2021 erschienenen Buch "Wir können mehr sein. Die Macht der Vielfalt" entfaltet sie diese Ideen für ein breites Publikum.

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Aminata Touré als Bundeskanzlerin? – "Nö!"

Ihre Themen trägt sie im pragmatischen und jungen Stil vor und nimmt so viele Menschen mit. Das zeigt beispielsweise auch ihre Follower-Zahl auf Instagram. Touré folgen mit 126.000 Followern mehr Menschen als ihrem so berühmten Parteikollegen und Bundesminister Cem Özdemir. Mit Lasse Petersdotter, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag, betreibt sie außerdem den wöchentlichen Podcast "Das nehme ich mal mit" und erreicht damit viele Menschen.

Dabei vermeidet sie den typischen Juristensprech, den das Politiker-Deutsch vieler Abgeordneter ausmacht. Sie habe sogar das Gefühl, sich zu verstellen, wenn sie so rede. Sie versuche, sich nicht anzupassen und so zu reden und zu handeln, wie sie eben spreche und handle, sagt sie dem Freitag.

Bei so einem rasanten Aufstieg und der Vorbildfunktion für so viele Menschen, stellt sich von ganz allein die Frage nach den weiteren politischen Ambitionen Tourés. Allerdings wird sie nicht ihr Leben lang Politik machen, wie sie dem Stern im Podcast "Die Boss" verriet. Und auf die Frage, ob sie Kanzlerin werden wolle, sagt sie trocken: "Nö." Schade eigentlich.

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Verwendete Quellen:

  • aminata-toure.de: Zur Person
  • dw.com: Wer ist Aminata Touré, die erste afrodetusche Ministerin?
  • faz.net: "Ich gebe viel Kraft, Zeit und Energie rein"
  • freitag.de: Die grüne Pramatikerin
  • instagram.com: Cem Özdemir
  • leuphana.de: Aminata Touré im Portrait
  • ndr.de: Aminata Touré – selbstbewusst und rhetorisch sicher
  • rnd.de: Erste afrodeutsche Ministerin Aminata Touré: "Biografie ersetzt keine Politik"
  • stern.de: Wollen Sie Kanzlerin werden, Frau Touré?
  • twitter.de: Aminata Touré. Schleswig-Holstein did it! Die Nazis sind raus!
  • twitter.de: Aminata Touré. Wo fange ich an?
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