Welche Diskussion in Deutschland halten die Menschen in den USA für "völlig absurd"? Welche zwei Fakten passen in der Rezession überhaupt nicht zusammen? Und: Was hält Kevin Kühnert für einen "PR-Gag"? Antworten auf diese Fragen gab es am Mittwochabend (20. März) bei "Maischberger".

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In der Bürgergeld-Debatte hat die Union einen neuen Vorschlag auf den Tisch gelegt: Es soll abgeschafft, in "Neue Grundsicherung" umbenannt und mit härteren Sanktionen belegt werden. Wer ein zumutbares Jobangebot ablehnt, soll die Leistungen ganz gestrichen bekommen. SPD-Politiker beurteilen das als Angriff auf den Sozialstaat. Streit gab es über das Thema auch bei "Maischberger".

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Das ist das Thema bei "Maischberger"

Bei Maischberger ging es um die Frage: "Bürgergeld abschaffen, später in Rente – Muss auch am Sozialstaat gespart werden?" Im Fokus standen dabei renitente Arbeitsverweigerer, Sanktionen für Bürgergeldempfänger und das Renteneintrittsalter. Thema war auch das Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft.

Das sind die Gäste

  • Kevin Kühnert (SPD): "Das Bundesverfassungsgericht ist sehr klar darin gewesen, zu sagen: Eine dauerhafte Sanktionierung auf null runter oder nur die Erstattung der Wohnkosten, beispielsweise für die gesamte Dauer, ist nicht rechtens. Das kann man finden, wie man will", so der Generalsekretär. Es sei ein Ärgernis, wenn Leute, die arbeiten könnten, Angebote zu arbeiten, nicht annehmen würden. Die politische Debatte sei an einem Punkt angekommen, wo ernstzunehmende Menschen sogar bereit wären, in den vordersten Artikeln unseres Grundgesetzes rumzudoktern. Damit schieße man mit Schrotflinten auf Spatzen.
  • Jens Spahn (CDU): "Es geht nicht nur um die Wenigen. Es geht um das Gerechtigkeitsempfinden im Land und das ist schwer gestört", so der CDU-Politiker. Er habe noch nie erlebt, dass die Erhöhung einer Sozialleistung, wie es nun beim Bürgergeld passiert sei, zu so viel Unmut und Frust geführt hat, wie aktuell.
  • Dieter Nuhr: "Wenn man in die Geschichte zurückguckt, leben wir seit 200 Jahren in einer Ausnahmesituation. Wir sind zivilisiert, wir fragen die Leute, was sie wollen und wundern uns dann immer, dass die ganze Welt nicht so ist", sagte der Kabarettist. Der Normalzustand sei, dass der mit dem größten Schwert, die meisten Leute hinter sich herziehe und alle, die im Weg stehen, erstmal einen Kopf kürzer mache. "Das ist der Normalzustand der Menschheit", so Nuhr. Es lohne sich, für die Zivilisation zu kämpfen.
  • Amelie Fried: Die Journalistin und Moderatorin meinte über das Abrutschen von Deutschland im internationalen Zufriedenheits-Vergleich: "In Deutschland ist das Problem, dass wir uns zu viel vergleichen. Wir stellen immer fest: Es gibt jemanden mit einem schöneren Auto, einer größeren Wohnung, dem höheren Einkommen – das macht definitiv unglücklich."
  • Gudrun Engel: "Aus amerikanischer Sicht unterstellt man uns fast schon Sozialismus", so die Leiterin des ARD-Studios in Washington. Rückfallmechanismen wie bei unserem Bürgergeld und Krankenversicherungssystem gebe es in den USA nicht. "Da wird erwartet, dass man sich um sich selbst kümmert", so Engel. Der Staat solle sich in jederlei Hinsicht heraushalten. Über die hiesige Bürgergelds-Debatte sagte sie: "Eine solche Diskussion würde ein Amerikaner nicht verstehen, die hält der für völlig absurd."
  • Mariam Lau: Die Politikredakteurin der "Zeit" meinte: "Wir haben 1,7 Millionen Leute, die arbeiten könnten, aber nicht arbeiten gehen und wir haben 700.000 oder ich weiß nicht wie viele offene Stellen, das passt in der Zeit von der Rezession nicht so richtig zusammen."
Maischberger
Mariam Lau, Gudrun Engel, Amelie Fried und Sandra Maischberger (v.l.n.r) diskutieren über die Sozialleistungen in Deutschland im Vergleich zu den USA. © WDR/Oliver Ziebe

Das ist der Moment des Abends bei "Maischberger"

Kühnert kommentierte das Rentenkonzept der CDU. "Wenn es euch wirklich darum gehen würde, dass eine längere oder auch eine kürzere Lebenserwartung im direkten Wechselverhältnis zu der Zeit der Arbeit steht – wie erklärst du dann, dass Menschen, die zum Beispiel auf dem Bau arbeiten oder einer anderen körperlichen Tätigkeit nachgehen, dass wir dasselbe Renteneintrittsalter für diese Berufsgruppen haben sollen?", fragte er.

Menschen, die körperlich etwa auf dem Bau arbeiten, würden statistisch fünf oder sechs Jahre weniger leben als jemand mit Bürojob. Es gehe um den Respekt davor, dass jemand noch etwas von seinem Lebensabend haben solle.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Kühnert kritisierte die Vorschläge der Union in Bezug auf das Bürgergeld: "Was eben schon verräterisch ist, ist, wenn man mit einem vierseitigen Papier rauskommt, was den Anspruch erhebt, eine neue Reform der Grundsicherung in Deutschland zu machen und dann gibt es drei Tage lang eine Debatte darüber und alles, was bei den Leuten hängen bleibt, ist: Der Name soll geändert werden und man arbeitet sich ab an einigen Tausend Totalverweigerern. Das ist eher ein PR-Gag, als dass es etwas beiträgt dazu, den Arbeitskräftemangel in Deutschland zu beenden."

Spahn reagierte: "Was ist brutal daran, wenn jemand, der Arbeit angeboten bekommt, eine Ausbildung angeboten bekommt, einen Deutsch-Kurs angeboten bekommt – wenn das der erste notwendige Schritt ist – wenn jemand also Angebote renitent mehrfach ablehnt, warum soll der den Anspruch darauf haben, dass die anderen, die arbeiten gehen, für ihn oder sie mitzahlen?" Auch, wenn es nur wenige betreffe – es sei wichtig, dem nachzugehen, damit für alle anderen das Gerechtigkeitsempfinden stimmt.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Eine Frage, die im Studio zum Schmunzeln führte: Maischberger wollte von Spahn und Kühnert wissen: "Waren Sie in ihrer jeweiligen Altersgruppe die Nerds, die Politik machen und die man so ein bisschen schräg ansieht?" Das lockerte die Stimmung auf, insbesondere im Zweier-Gespräch hätte die Moderatorin aber ein bisschen mehr Richtung Konstruktivität lenken dürfen. Ansonsten: Eine solide, aber unauffällige Sendung.

Das ist das Ergebnis bei "Maischberger"

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob auch am Sozialstaat gespart werden muss, fand die Runde nicht. Während Spahn dafür plädierte, auch gegen die Wenigen vorzugehen, um das Gerechtigkeitsgefühl der Gesamtheit zu stärken, forderte Kühnert, sich eher anderen Baustellen in der Gesellschaft zu widmen. Schade, dass beide nicht über den gemeinsamen Nenner diskutierten: Nämlich die Frage, welche Anreize man für das Arbeiten schaffen könnte – sowohl über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus als auch im Anschluss an eine Arbeitslosigkeit.

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