Der Bundesgesundheitsminister bekommt am Sonntagabend eine Extrawurst: In der Talkshow von Anne Will ist er nur für ein Einzelgespräch zu Gast. Einer Diskussion mit den anderen Gästen kann Jens Spahn so entgehen und behauptet: Deutschland habe im Kampf gegen die Corona-Pandemie bisher alles richtig gemacht.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist gerade nicht die Zeit für Vielfalt und Abwechslung. Das gilt für das Lockdown-Leben an sich, aber auch für die Polit-Talkshows. Seit Wochen und Monaten dreht sich dort alles um Corona. Da muss man es schon als Abwechslung verstehen, dass am Sonntagabend bei "Anne Will" ausnahmsweise mal nicht Peter Altmaier im Studio sitzt.

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Das Thema ist dagegen nicht überraschend: Die Deutschen sind zunehmend genervt vom Lockdown, vor allem aber von der undeutlichen Strategie der Regierung. Das Vertrauen ins staatliche Krisenmanagement schwindet. Was muss jetzt passieren? Das will die Gastgeberin von ihrer Runde wissen.

Das sind die Gäste bei "Anne Will"

Jens Spahn: Der Bundesgesundheitsminister weiß: Alle wünschen sich einen Plan für die nächsten sechs Monate. Den könne es aber nicht geben, dazu verlaufe die Coronakrise zu dynamisch, so Spahn. Auch wenn Deutschland coronamüde sei, so gelte: "Das Virus ist nicht müde, das Virus nimmt gerade nochmal einen Anlauf mit seinen Mutationen."

Manuela Schwesig: Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD) nimmt den Föderalismus gegen Kritik in Schutz: "Man kann beim Thema Impfen sehen, dass auf die Länder Verlass ist." Sich im Kleinen um die Probleme vor Ort zu kümmern, sei zentral von Berlin aus gar nicht möglich. "Jedenfalls bin ich mir sicher, dass es unser Land nicht erreichen würde."

Sahra Wagenknecht: "So wie jetzt kann man nicht weitermachen", schimpft die frühere Fraktionschefin der Linkspartei. "Ich finde es nicht verantwortungsvoll, dass ohne jegliche Datengrundlage ganze Branchen dichtgemacht werden."

Ralph Brinkhaus: Man werde den Lockdown "nochmal einige Wochen weiterführen", sagt der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag mit Blick auf die nächste Bund-Länder-Konferenz am Mittwoch. Der Inzidenzwert müsse unter 50 sinken – besser noch "stabil unter 35".

Cornelia Betsch: "Die psychologische Großwetterlage ist beunruhigend", sagt die Professorin für Gesundheitskommunikation der Universität Erfurt. Betsch misst in Pandemiezeiten regelmäßig das Vertrauen der Bevölkerung in die Maßnahmen des Staates. Und das sinkt derzeit. Jetzt müsse die Politik einen Stufenplan vorlegen. "Jede Strategie hat besser abgeschnitten als die aktuelle."

Georg Mascolo: "Erschreckend kurzsichtig" findet der Leiter des Rechercheteams von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung die aktuelle Impfpolitik: Die reichen Staaten streiten sich um den Impfstoff, während ärmere Teile der Welt keinen bekommen und sich Mutationen dort leichter ausbreiten können. "Ich halte das für eine humanitäre und langfristig auch für eine medizinische Katastrophe."

Das ist der Moment des Abends

Spannend wird es, als Anne Will sich Jens Spahn zuwendet - auch wenn dieses Einzelgespräch gleich aus zwei Gründen fragwürdig ist.

Die Moderatorin versucht, aus dem zugeschalteten Bundesgesundheitsminister einen Hauch Selbstkritik herauszukitzeln. Schließlich hatte Spahn beim Ausbruch der Pandemie noch gesagt, man werde sich gegenseitig viel verzeihen müssen. Was also muss man ihm verzeihen? Was hätte er besser machen können? Was sagt er zur vielkritisierten Impfstoffbestellung durch die EU, in die sein Ministerium ständig eingebunden war?

Jeder einzelne Corona-Tote treibe ihn um, sagt Spahn. Mehr Selbstkritik ist von ihm aber nicht zu hören. "Das Gesundheitssystem hat den Stresstest bestanden", verkündet er stattdessen - und dass mehr Geld und höhere Impfstoffbestellungen gar nichts gebracht hätten. Ob diese "Ich-hab-doch-alles-richtig-gemacht-Haltung" wirklich sinnvoll ist, lässt sich bezweifeln. Dem Vertrauen in die Regierung und in die Politik allgemein würde es sicher guttun, wenn ein Minister auch einmal eingesteht, dass Fehler gemacht wurden.

Und noch eine Frage drängt sich auf: Seit wann haben Gäste bei Anne Will das Privileg von Einzelgesprächen? Jens Spahn wird nur kurz zugeschaltet und verschwindet dann wieder aus der Sendung. Dabei wird er an einem Sonntag um zehn Uhr abends wohl kaum noch einen anderen Termin gehabt haben.

Es wäre ein Gebot der Fairness und des Respekts gewesen, sich der Diskussion mit den anderen Gästen zu stellen. Mit diesem Auftritt vermittelt Spahn aber den Eindruck, dass er darauf keinen Wert legt und über diesen mühseligen Debatten steht. Auch das fördert nicht gerade das Vertrauen in die Politik.

Das ist das Rededuell des Abends

Engagierte Diskussionen gibt es kaum. Das liegt einerseits daran, dass nur die Hälfte der Gäste im Studio sitzt und dazu noch ein bisschen ermattet wirkt. Zum Ende hin macht Sahra Wagenknecht aber noch einen Aufschlag. Kurz gefasst lautet ihre Kritik: Deutschland hat alles falsch gemacht. Die Regierung würge ganze Berufsgruppen mit einem Lockdown ab, der gar nicht sein Ziel erreiche. Schließlich seien im Verhältnis zur Bevölkerungszahl in Deutschland im Januar mehr Menschen an Corona gestorben als in Frankreich, Spanien, Italien und Schweden.

"Wo läuft’s denn richtig, und von wem sollten wir da jetzt lernen?", lautet da die Gegenfrage von Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. "Ich finde, wir sollten uns die Erfahrungen anderer Länder angucken", meint Wagenknecht und schlägt kostenlose Schnelltests wie in Frankreich vor. "Das ist eine sehr wirkungsvolle Strategie."

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Immerhin nehmen die Zuschauenden ein paar wichtige Informationen mit. Alles deutet darauf hin, dass die aktuellen Kontaktbeschränkungen auch über Mitte Februar hinaus verlängert werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn macht klar, dass es den Winter über noch so weitergehen kann - und der Winter dauere nun einmal bis Ende März.

Spahn deutet auch ein mögliches politisches Ziel an: Deutlich unter 50 Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner müsse der "Inzidenzwert" sinken – oder eher "Richtung 10, 20". Klar ist aber auch: Wenn sich Bundesregierung, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Mittwoch zur nächsten Konferenz zusammenschalten, müssen sie ebenfalls klarmachen, wie es dann weitergehen kann: Bei welchen Inzidenzwerten sind welche Lockerungen möglich?

Am ehesten gelingt es an diesem Abend Manuela Schwesig einen Mittelweg zwischen entschlossener Pandemiebekämpfung und Verständnis für die Situation der Bürgerinnen und Bürger zu finden: "Wir können nicht einfach sagen: Wir verlängern. Wir müssen auch einen Perspektivplan geben."

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Jens Spahn spricht sich für eine Verlängerung des Corona-Lockdowns aus

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betont vor dem nächsten Bund-Länder-Treffen die Dynamik der Verbreitung von Infektionen mit dem Coronavirus und dessen Mutationen. Sie mache es unmöglich, einen Fahrplan über Monate im Voraus aufzustellen. (Teaserbild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa)
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