Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland sind vom Netz, aber beendet ist die Diskussion über Kernenergie deshalb noch lange nicht. War der Zeitpunkt der falsche, um auszusteigen? Besteht eine Chance, die Kraftwerke wieder ans Netz zu nehmen? Und welche Rolle spielt der Krieg in der Ukraine? Darüber debattierte das Studio bei "Anne Will" – teilweise ziemlich hitzig.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wehmut bei den Mitarbeitenden, Euphorie auf Abschaltpartys: Die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland sind vom Netz. Nach mehr als 60 Jahren Geschichten und Jahrzehnten voller Diskussionen, Protest und Aufs und Abs: 2001 wurde der Atom-Ausstieg beschlossen, 2010 verlängerte die Regierung die Laufzeiten wieder. Als es dann 2011 zur Katastrophe in Fukushima kam, folgte der Ausstieg vom Ausstieg. Ist das Ende nun wirklich besiegelt? Das ist nur eine der Fragen bei Anne Will.

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Über keine Technologie ist so viel gestritten worden – und der Krieg in der Ukraine hat die Debatte um den Atomausstieg wieder entfacht. War das Kernkraftende angesichts der Versorgungslage die richtige Entscheidung? Oder war der Zeitpunkt der falsche? Wird die Debatte in Deutschland mit zu viel ideologischem und politischem Ballast geführt? Darüber diskutierte die Runde am Sonntag (16.) bei Anne Will.

Das sind die Gäste

  • Rainer Haseloff (CDU): Man müsse die Diskussion "ent-emotionialisieren" und klären, ob man beispielsweise über Risiken, Klimaschutz oder die Entwicklung einer Volkswirtschaft spreche, plädierte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. "Der Ausstieg war immer beschlossen, es ging um die Zeit-Taktung. Und jetzt haben wir eine Zeitenwende", sagte Haseloff. Der Ausstieg müsse deshalb noch einmal auf den Prüfstand.
  • Katrin Göring-Eckardt (Grüne): "Wir sind gut über den Winter gekommen und hätten den Strom aus Atomkraft gar nicht gebraucht", sagte die Bundestags Vize-Präsidentin. Man habe nun mehr Sicherheit und Planbarkeit in der Strom- und Energieversorgung. Für Terroristen könnten Atomkraftwerke ein Ziel sein, davor sei man nun geschützt.
  • Harald Lesch: Der Atomkraft-Gegner sagte: "Es geht um eine Technologie, die nicht versicherbar ist. Das alleine sollte uns allen sehr zu denken geben." Es handele sich um eine Hochrisiko-Technologie, die in eine Sackgasse führe. "Wir haben unseren zukünftigen Generationen ein Geschenk gemacht mit 1.900 Castor-Behältern, die irgendwann mal unter Tage müssen", kritisierte er. Man müsse auf Erneuerbare Energien setzen.
  • Johannes Vogel (FDP): Der stellvertretende Bundesvorsitzende kritisierte die Ausstiegsreihenfolge – erst raus aus der Kernkraft und dann das Aus der Kohlekraftwerke. "Das ist nach meiner Überzeugung nicht die richtige", sagte Vogel. Insbesondere, weil die technisch vorgesehene Brücke durch Gas im Zuge des Ukraine-Kriegs destabilisiert worden sei. "Da muss man doch Umdenken", forderte er. "Wissen wir schon sicher, dass die Situation nicht fragil ist?", fragte er mit Blick auf den kommenden Winter.
  • Dorothea Siems: Deutschland ticke in Sachen Atomkraft anders als viele andere Länder. Das habe man direkt nach Fukushima sehen können, so die Wirtschaftsjournalistin der "Welt". In anderen Ländern habe man die Tsunami-Opfer in den Vordergrund gestellt, Deutschland habe über die heimischen Atomkraftwerke debattiert. Selbst Japan sei in der Folge nicht aus der Atomenergie ausgestiegen. "Es ist die falsche Entscheidung", sagte sie über den Ausstieg. "Als man wusste, man will aus Kohle raus, hätte man sagen müssen: "Dann müssen wir bei Atom aber verlängern'", so Siems.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

FDP-Mann Vogl plädierte dafür, den Rückbau der Atomkraftwerke sofort zu stoppen. "Das ist in meinen Augen eine Frage der Vernunft", so Vogel. Da legte Grünen-Politikerin Göring-Eckardt los: Die Atomkraftwerke betriebsbereit zu halten, koste jeden Tag sinnlos Geld. "Geld, das beim Ausbau der Erneuerbaren fehlt", merkte sie an.

Außerdem müsste man neue Brennelemente organisieren, die aus Russland kämen oder anderen autokratischen Staaten. "Wir sollten uns nicht wieder abhängig machen", mahnte sie. Es gäbe kein Atomkraftwerk auf der Welt, welches wirtschaftlich funktionieren würde. Atomstrom sei dreimal so teuer wie Erneuerbare Energien.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Lesch merkte an, die drei nun abgeschalteten Kernkraftwerke hätten nur noch wenige Prozent vom Stromverbrauch ausgemacht. "In Deutschland geht es nicht nur um Strom", erinnerte er. Es gehe auch um die Verwendung als Wärmequelle. "Diese Kernkraftwerke würden nur Strom liefern und mit Strom machen wir ganz wenig in Deutschland. Da sind andere Teile der Energiewende viel wichtiger", so Lesch.

Haseloff kommentierte: "20 Prozent sind noch Strom" und Will ergänzte: "Und vier Prozent davon waren im Januar und Februar aus der Kernkraft." Siems meldete sich zu Wort: "Bei der Wärmewende soll ja alles elektrifiziert werden!" Lesch hielt entgegen: "Die Kernkraftwerke sind da gewissermaßen nicht ausschlaggebend." Daraufhin sagte Siems nur: "Ne, sie sind ja weg. 20 AKWs sind weg."

So hat sich Anne Will geschlagen

Dass das Thema emotional aufgeladen ist, dürfte Will von vornherein klar gewesen sein. Es gelang ihr aber, das Thema in seinen einzelnen Facetten auseinanderzudividieren und die von Markus Söder so betitelte "energiepolitische Geisterfahrt" abzuklopfen.

Auf Zack reagierte sie, als sie Göring-Eckardt nach ihrem Plädoyer gegen Atomkraft mit dem Zitat ihres Parteikollegen Robert Habeck konfrontierte. Der hatte nämlich gesagt: "Die Ukraine wird an der Atomkraft festhalten. Das ist völlig klar – das ist auch in Ordnung, solange die Dinger sicher laufen. Die sind ja gebaut."

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Eine langatmige Debatte, die am Ende aber mehrere Kandidaten für den "Moment des Abends" bot. Reibereien gab es nämlich nicht nur bei der Reihenfolge des Ausstiegs (erst Atomkraft, dann Kohle?), bei der zeitlichen Dimension (nicht doch noch über den kommenden Winter am Netz lassen?), sondern auch bei der Wirtschaftlichkeit (was kostet uns Atomstrom?) und beim Blick auf Erneuerbare als Alternative (haben wir genug Fachkräfte, um die Wende zu stemmen?).

Wie so oft: Eine eindeutige Antwort auf all diese Fragen gab es nicht. Die Runde blieb in Gegner und Befürworter gespalten.

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