SPD und Union kämpfen seit Monaten, wenn nicht Jahren mit miesen Umfragewerten und schlechten Wahlergebnissen. Ist der Trend umkehrbar? Ein Journalist sah bei Anne Will den Dauerzustand große Koalition als eine Hauptursache für die Krise. Helfen könne womöglich ein neues altes Gesicht – Friedrich Merz.

Eine Kritik

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Einst bestimmten sie die Politik im Land quasi im Alleingang, heute geben CDU/CSU und SPD ein trauriges Bild ab. Europaweit beobachten Wissenschaftler eine Krise der Volksparteien – auch in Deutschland hat dieser Trend in den letzten Jahren zugenommen.

Besonders die SPD verliert immer mehr an Unterstützung. Bei der Bayern-Wahl holte sie nur noch 9,7 Prozent der Stimmen, bundesweit liegt sie derzeit in Umfragen deutlich unter 20 Prozent.

Auch die Union stürzte in den vergangenen Monaten auf unter 30 Prozent in den bundesweiten Erhebungen ab.

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Was ist das Thema?

Die Volksparteien SPD und CDU/CSU stecken zweifellos in der Krise - aber ist der Abwärtstrend aufzuhalten?

Anne Will diskutierte unter dem Motto "Der Machtverlust – gelingt den Volksparteien ein Neuanfang?" mit ihren Gästen über die Krise der großen Parteien, ihre Folgen und mögliche Lösungsansätze.

Wer sind die Gäste?

Andrea Nahles: Die Politikerin schloss einen Rückzug von der SPD-Spitze aus. Die ständigen Wechsel beim Spitzenpersonal hätten auch nicht zur Lösung der Probleme beigetragen. Stattdessen betonte sie die Wichtigkeit von Formaten wie den Debattencamps, um mehr mit der eigenen Basis zu kommunizieren. "Dass wir viel zu vielen Leuten nicht klar gemacht haben, wofür wir stehen, das ändern wir jetzt", sagte Nahles. "Volksparteien müssen sich wieder ein Stück weit neu erfinden." Der Frage, ob Horst Seehofer nach seinem angekündigten Rückzug als Parteichef auch als Innenminister zurücktreten solle, wich sie aus.

Peter Altmaier: Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Volksparteien. In den Ländern, in denen sie verschwunden seien, gebe es längere Regierungsbildungen und instabilere Regierungen. "Darum müssen wir um sie kämpfen", sagte Altmaier. Der SPD attestierte der frühere Kanzleramtschef das Grundproblem, dass sie nicht dazu stehe, was sie beschlossen habe, etwa bei der Rente mit 67.

Prof. Ursula Münch: Die Politikwissenschaftlerin sagte, die Volksparteien hätten "den Bezug ins Volk hinein verloren". Es sei immer ihr Erfolgsmerkmal gewesen, alle Themen anzubieten und abzubilden. Diese Stärke müssten sie sich wieder bewusster werden.

Jürgen Trittin: Der frühere Grünen-Chef äußerte Zweifel, "ob das Modell Volkspartei noch zukunftsträchtig ist". Besser sei womöglich ein Modell mit vier, fünf mittelgroßen Parteien, die immer wieder Kompromisse suchen müssen. Zu Horst Seehofer sagte er, es sei höchste Zeit, dass er von seinem Amt als Innenminister zurücktrete. Seehofer habe die Themen für die AfD aufgespielt und "den Laden in der Causa Maaßen nicht im Griff" gehabt.

Christoph Schwennicke: Der Chefredakteur des "Cicero" sprach sich für Friedrich Merz als neuen CDU-Chef aus. "Mir wäre es nicht unlieb, wenn jemand wie Friedrich Merz das Rennen macht, damit wieder etwas Klarheit reinkommt, auch zwischen den beiden Volksparteien." Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte er eine "grüngesinnte Kanzlerin, die sozialdemokratisch regiert und der CDU angehört". Als eine Ursache für die Krise von SPD und Union nannte er die große Koalition, die inzwischen zu einem Dauerzustand geworden sei.

Was war das Rededuell des Abends?

"Cicero"-Boss Schwennicke stimmte einen Abgesang auf die SPD an, als er das Spitzenpersonal "eine fast suizidal gestimmte Funktionärsschicht" bezeichnete, "die sich eine Idealwelt baut, die mit der Realwelt ihrer möglichen Wählerklientel überhaupt nicht viel zu tun hat".

Als Beispiel nannte er eine Radiosendung, in der ein führender SPD-Politiker sich vehement gegen die Beschneidung der Ringelschwänzchen bei Schweinen aussprach.

"Herr Schwennicke, da haben Sie einfach einen Tag zu spät eingeschaltet", erregte sich Nahles und verwies auf einen Beitrag der SPD zum Thema Rente. Schwennicke blieb dabei und meinte, Altkanzler Gerhard Schröder hätte weniger wichtige Themen als "Gedöns" abgetan.

"Nein, nein, nein, nein", antwortete Nahles, die inzwischen Unterstützung von Jürgen Trittin bekommen hatte. Der meinte, dass sich die SPD-Klientel sehr wohl für den Tierschutz interessiere.

Was war der Moment des Abends?

Trotz desaströser SPD-Umfragewerte gab sich Andrea Nahles betonte zuversichtlich. "Wir müssen Hartz IV hinter uns lassen", das Sozialsystem müsse generalüberholt werden und auch Selbständige und Beamte sollten darin einzahlen, forderte die SPD-Chefin - und schreckte mit diesem programmatischen Linksruck Altmaier auf. Davon stehe nichts im Koalitionsvertrag, wendete dieser ein.

"Ich denke auch ein bisschen weiter über den Koalitionsvertrag mit Ihnen hinaus", entgegnete Nahles. "Und dann suchen wir auch nach anderen Mehrheiten." Gemeint war wohl eine rot-rot-grüne Koalition, die in den aktuellen Umfragen wie die Ampel (SPD/Grüne/FDP) allerdings keine Mehrheit besäße.

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Die Gastgeberin sorgte für den Lacher des Abends. Als Altmaier unbedingt noch ein paar Gedanken zur Rente mit 67 loswerden wollte, Anne Will aber einen anderen Punkt für wichtiger hielt, stoppte sie den CDU-Mann verbal.

"Herr Altmaier, das ist meine Sendung. Überall habe ich hier meinen Namen hingeschrieben, nur damit klar ist, dass ich sagen kann, was hier diskutiert wird." Altmaier nahm es mit Humor, lachte – wie der Rest der Runde – und ließ Will gewähren.

Was ist das Ergebnis?

SPD und Union stecken in der Krise - und dies darf kein Dauerzustand bleiben, so der Tenor unter den Gästen. Vielleicht gelingt die Wende durch ein Ende der großen Koalition, womöglich durch einen CDU-Vorsitzenden oder eine -Vorsitzende mit etwas konservativeren Profil? Diese Hoffnung hegen mehrere in dieser Runde.

Hoffnung macht laut "Cicero"-Chef Schwennicke auch, dass die Volksparteien die Talsohle durchschritten hätten - zumindest was die Mitgliederzahlen betrifft.

In den Augen von SPD-Chefin Andrea Nahles braucht die SPD eine inhaltliche Erneuerung, keine personelle. Diesen Weg habe die SPD sehr häufig gewählt, doch Wechsel an der Führungsspitze allein hätten nichts gebracht. Zurücktreten wolle sie nicht, erklärte Nahles und erinnerte mit den Worten "Ich bin neu" daran, dass sie den SPD-Parteivorsitz tatsächlich erst vor einem guten halben Jahr übernommen hat. Nahles zeigte sich zudem sicher, dass die Erneuerung der Sozialdemokraten in der Regierung gelingen könne.

Jürgen Trittin hat dagegen Zweifel, ob die GroKo überhaupt bis zum Ende der Legislaturperiode hält. "Man weiß nicht, wohin es führt, wenn der Vorsitz und die Kanzlerschaft getrennt sind", sagt er hinsichtlich des angekündigten Rückzugs Angela Merkels als CDU-Chefin.

Auch Nahles spürt "Spannung in der Luft". Die Zukunft der Koalition hängt in ihren Augen davon ab, wie der oder die Nachfolger/in Merkels die CDU ausrichten wird.

Ein Patentrezept für das Wiedererstarken von SPD und CDU/CSU hatte freilich keiner der Diskutanten parat – vermutlich, weil einfach keines existiert.

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