Während immer mehr Flüchtlinge auf Lampedusa ankommen, gibt die EU ein zerstrittenes Bild ab. Deutschland setzt die Aufnahme von Flüchtlingen aus Italien aus und begründet das mit Fehlverhalten der italienischen Rechtskoalition. Auf Lampedusa spielt sich derweil ein Drama ab.

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Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa kommen wieder jeden Tag mehrere Tausend Bootsmigranten an. Innerhalb von 24 Stunden registrierten die Behörden am Dienstag mehr als 5.000 Menschen, wie am Mittwoch aus Zahlen des Innenministeriums hervorging. Die Nachrichtenagentur Ansa berichtete von mehr als 5.100 - so viele wie noch nie an einem einzigen Tag.

Die Insel zwischen Sizilien und Nordafrika gehört seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Nach einer Zeit, in der weniger Migranten auf der Insel landeten, muss Lampedusa wieder mit Tausenden Neuankömmlingen zurechtkommen.

Nach Zahlen des Innenministeriums in Rom wurden seit Beginn des Jahres bereits mehr als 123.800 Menschen registriert, die auf Booten Italien erreichten - im Vorjahr waren es von Januar bis Mitte September 65.500. Sollte der Trend anhalten, könnte bis Ende des Jahres gar die Rekordzahl von 2016 übertroffen werden. Damals kamen 181.000 Menschen.

Deutschland und Italien auf Konfrontationskurs

Der Umgang mit den Migranten sorgt auch für neue Diskussionen zwischen der Bundesregierung und der italienischen Regierung. Berlin setzte ein Programm zur freiwilligen Aufnahme von Migranten aus Italien aus, wie das Bundesinnenministerium bestätigte. Zuerst hatte die "Welt" berichtet.

Ursprünglich hatte Deutschland zugesagt, 3.500 Asylbewerber aus besonders belasteten Staaten an Europas Außengrenzen im Süden zu übernehmen. Bislang wurden über den sogenannten freiwilligen europäischen Solidaritätsmechanismus 1.700 Schutzsuchende überstellt, damit sie in Deutschland ihr Asylverfahren durchlaufen.

Weitere Aufnahmen seien nun nicht mehr geplant, auch weil es bei der Rückübernahme von Migranten nach den sogenannten Dublin-Regeln hakt, so das Ministerium. Diese Regeln sehen vor, dass Asylbewerber ihren Antrag - bis auf wenige Ausnahmefälle - im ersten EU-Land stellen müssen, in dem sie registriert wurden. Wer es dennoch in einem anderen Staat versucht, kann dorthin zurückgeschickt werden.

Deutschland reagiert auf mangelnde Kooperation Italiens

So funktioniert die Dublin-Regel in der Theorie. Da Italien und andere Ankunftsländer aber in der Praxis immer weniger Asylbewerber zurücknehmen, will sich die Bundesregierung nun auch querstellen.

"Angesichts des bestehenden hohen Migrationsdrucks nach Deutschland verstärkt die anhaltende Aussetzung von Dublin-Überstellungen durch einige Mitgliedstaaten, auch durch Italien, die großen Herausforderungen, vor denen Deutschland zurzeit hinsichtlich seiner Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten steht", erklärte ein Ministeriumssprecher.

Bis Ende August sind demnach erst zehn Dublin-Überstellungen nach Italien erfolgt. Rom sei informiert worden, dass der Auswahlprozess für Migranten verschoben werde.

Italien fühlt sich benachteiligt

Italiens Außenminister Antonio Tajani appellierte an die europäischen Partner, seinem Land zu helfen: "Einwanderung ist ein europäisches Problem", schrieb er auf der Online-Plattform X (vormals Twitter). Es müsse unter Beteiligung aller EU-Länder gelöst werden. Auch EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola betonte, die Lösungen lägen nicht auf nationaler, sondern nur auf europäischer Ebene.

In der EU-Asylreform, die derzeit zwischen Kommission und Parlament verhandelt wird, soll die Verteilung von Flüchtlingen in der EU endlich geregelt werden. Der Mechanismus, der in der Reform aktuell vorgesehen ist, soll jedes Jahr überprüfen, welchen Ländern wie viel Solidarität bei der Verteilung zusteht.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus kritisierte diesen Mechanismus im Gespräch mit unserer Redaktion scharf und bezeichnete ihn als "bürokratischen Frankenstein". Er bezweifle, dass er Länder wie Italien tatsächlich entlasten könne und zu einer solidarischen Verteilung führe.

Lampedusa ist überfordert und erlebt ein Drama

Derweil ist die Lage für die Flüchtlinge auf Lampedusa äußerst prekär. Bürgermeister Filippo Mannino bezeichnete die Situation als nicht mehr tragbar. "Vor diesem Hintergrund ist es unmöglich, eine angemessene Hilfe für die Migranten zu gewährleisten, trotz immenser logistischer Anstrengungen."

Mannino gab laut der Nachrichtenagentur Ansa am Mittwochabend bekannt, dass der Stadtrat den Notstand ausrief. Der Bürgermeister verlangte mehr Unterstützung für die kleine Insel, die unter "großem Stress" stehe. Die Bürger Lampedusas seien verzweifelt. "Jeder hat in irgendeiner Weise den Migranten geholfen, die Hilfe brauchten. Aber jetzt ist es wirklich an der Zeit, nach einer strukturellen Lösung zu suchen", sagte Mannino weiter.

Säugling ertrinkt kurz vor der Rettung

Das Erstaufnahmelager mit Platz für rund 400 Menschen ist erneut überfüllt. Knapp 6.800 Migranten befinden sich derzeit auf der Insel - die meisten im Lager. Mannino forderte, Boote mit Migranten abzufangen und nach Sizilien oder aufs Festland zu bringen.

In der Nacht auf Mittwoch kam es zu einem tragischen Unglück: Beim Versuch, ein erst fünf Monate altes Kind an Land zu bringen, fiel der Säugling ins Wasser und ertrank. Die Familie des ertrunkenen Kindes hatte sich aus dem westafrikanischen Land Guinea auf den Weg nach Europa gemacht. Die Mutter ist minderjährig und wird psychologisch betreut. (dpa/lko)

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