• Der Windkraftausbau lief zuletzt nur schleppend, doch nun soll wegen des Kriegs in der Ukraine alles schneller gehen.
  • Ministerpräsident Markus Söder hat in Bayern etwa 800 neue Windräder in Aussicht gestellt, die 10-H-Regel soll gelockert werden.
  • Das Ziel, zwei Prozent der Landesfläche als "windradtauglich" zu labeln, soll bundesweit Gesetz werden.
  • Am Ende könnten auch die bisherigen Abstandsregeln zu Wohngebieten fallen.

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Seit jeher spielt die Windkraft bei der Energiewende in Deutschland eine große Rolle, mit der Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine steigt ihre Bedeutung weiter. Die EU will schnell unabhängig von russischem Öl und Gas werden, ein Öl-Embargo ist geplant.

Derzeit gibt es hierzulande rund 30.000 Windenergieanlagen, die laut Umweltbundesamt (UBA) rund 55 Gigawatt Leistung haben. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz ist das Klimaziel festgelegt: Bis 2030 sollen 65 Prozent des Stroms für Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Windräder laut UBA allerdings 71 bis 105 Gigawatt Leistung bis 2030 bringen.

Dafür gehe der Ausbau zu langsam voran, sagen Experten – tatsächlich ist der Zuwachs an neuen Windrädern in den letzten Jahren deutlich geschrumpft. Waren es 2015 bis 2017 im Schnitt rund 1.300 neue Windräder pro Jahr, waren es zwischen 2018 und 2020 nur noch knapp 200, wie Statistiken zeigen.

Das Hauptproblem: Es werden zu wenige Flächen als Windkraft-tauglich ausgewiesen. Genauer gesagt stünden nur rund 0,52 Prozent der Fläche in Deutschland dafür zur Verfügung, schreibt das UBA. Das sind viel weniger, als die letzte Bundesregierung als Ziel genannt hatte: Sie wollte (und auch die neue Regierung will das), dass mindestens zwei Prozent der Landesfläche als für Windräder geeignet ausgewiesen werden.

Windräder und Wohngebiete: Wem nutzt der "Schutzabstand"?

Die dpa hat kürzlich eine Umfrage gemacht, wie weit die einzelnen Bundesländer bei diesem Ziel sind. Denn: Der Bund gibt zwar einen groben Rahmen für die Errichtung von Windenergieanlagen vor, die Länder haben aber ihre eigenen genaueren Regeln. Ergebnis der Umfrage war, dass nur drei Länder das Zwei-Prozent-Ziel einigermaßen erfüllen: Schleswig-Holstein mit rund zwei Prozent, Hessen mit 1,9 Prozent und das Saarland mit 1,82 Prozent.

Ein Hindernis sind dabei offenbar die Abstandsregeln der Länder beziehungsweise Regionen. Bis auf drei (Berlin, Bremerhaven und Sachsen) haben laut der Fachagentur Windenergie an Land alle mehr oder weniger strikte Empfehlungen, welcher Abstand zwischen einem Windrad und einer Wohnsiedlung einzuhalten sei.

Damit sollen die Bewohner vor allem vor Lärm geschützt werden, aber auch davor, sich durch die Windräder bedrängt zu fühlen. Befürworter der Abstandsregeln sagen, dass sie die Akzeptanz von Windkraft im Allgemeinen förderten und so mehr Windkraft möglich werde. Der stockende Ausbau der Windkraft in Ländern, die die Abstandsregeln strikt anwenden, bekräftigt dieses Argument allerdings eher nicht.

Sind Mindestabstände der richtige Weg?

Bayern ist ein gutes Beispiel: Seit einigen Jahren gibt es dort die 10-H-Regel. Sie besagt, dass Windräder zehnmal so weit von einem Wohngebiet entfernt sein müssen, wie sie hoch sind. Geht man von einer durchschnittlichen Höhe von 130 bis 150 Metern aus, wären das 1,3 bis 1,5 Kilometer. Moderne Windräder sind mitunter über 200 Meter hoch.

Die 10-H-Regel gilt nur in Bayern, andere Bundesländer haben aber ähnliche Regelungen: In Baden-Württemberg etwa entscheidet der Einzelfall, in Mecklenburg-Vorpommern müssen 800 bis 1.000, in Brandenburg ebenfalls 1.000 Meter Abstand zwischen einem Windrad und einem Wohngebiet sein.

Habeck befürchtet Benzinknappheit in Ostdeutschland und Berlin

Die EU will sich von russischem Öl abkoppeln - doch das könnte laut Wirtschaftsminister Habeck in Teilen Deutschlands für mangelnden Sprit sorgen.

Das Umweltbundesamt vertritt die Einschätzung, dass pauschale Mindestabstände nicht der richtige Weg seien. "Geeignete und konfliktarme Flächen für neue Windenergieanlagen sind bereits heute eine knappe Ressource", heißt es in der Auswertung einer Studie des UBA. "Pauschale Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauung, die weit über die Erfordernisse der TA Lärm hinausgehen, verringern diese knappe Ressource massiv."

Mit der TA Lärm ist die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm gemeint, in der Werte festgelegt sind, ab denen man von Lärmbelästigung sprechen kann.

Kommt ein Bundesgesetz und die Abstandsregeln fallen?

Hinzu kommt, dass das Ziel der Akzeptanz offenbar durch die Abstandsregeln nicht erreicht wird. Ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen Siedlungsabständen und Akzeptanz lasse sich nicht nachweisen, schreibt das UBA. Nachweisen lässt sich aber, dass in Bayern mit der 10-H-Regel in den letzten drei Jahren nur noch ein paar wenige Dutzend Windräder aufgestellt wurden, in den Jahren davor waren es einige hundert. Bei der dpa-Umfrage sind in Bayern lediglich 0,69 Prozent der Landesfläche für Windräder geeignet – deutlich weniger als im Zwei-Prozent-Ziel der Bundesregierung gefordert.

Viele Klimaschützer und auch Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sehen strenge Abstandsregeln deswegen als Hindernis beim Ausbau der Windenergie. "Da, wo Abstandsregeln vorgehalten werden, um Verhinderungsplanung zu betreiben, können sie nicht lange bestehen bleiben", sagte Habeck Medienberichten zufolge im Januar bei der Vorstellung seiner Eröffnungsbilanz Klimaschutz. So plant er unter anderem, die Zwei-Prozent-für-Windkraft-Regel gesetzlich zu verankern.

Ob der Minister dabei vorhat, die sogenannte Länderöffnungsklausel streichen zu wollen, die es den Ländern erst möglich macht, Mindestabstände selbst festzulegen, ist unklar. Manche Fachleute wie die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hielten das für geboten: "Mindestabstände für Windanlagen hemmen den Ausbau der Windenergie und fördern nicht die Akzeptanz. Abstandsregeln sollten abgeschafft werden, indem die sogenannte Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch ersatzlos gestrichen wird", schrieb Kemfert in einem Statement im Januar.

Bayern und NRW: Was bewegt sich in Sachen Windkraft?

Bayern bewegt sich nun – wenn auch nur ein bisschen. Ende April hat die CSU-Landtagsfraktion in einer Sitzung ein Aufweichen der 10-H-Regel in Aussicht gestellt. In einigen Gebieten, etwa an Autobahnen, auf Truppenübungsplätzen oder bestimmten Waldgebieten, solle es künftig möglich sein, den Mindestabstand auf 1.000 Meter zu reduzieren. Söder kündigte in einem Interview mit Bayern 2 außerdem an, "rund 800 Windräder auf den Weg" bringen zu wollen.

Laut UBA sind jedoch auch 1.000 Meter zu viel, um das Klimaschutzziel für 2030 zu erreichen. Auch die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW, wo am 15. Mai gewählt wird, hat erst Ende März ihre Abstandsregel von 1.000 Metern noch einmal bekräftigt. "Eine pauschale Abschaffung der Schutzabstände würde (...) zu Lasten der Akzeptanz der lokalen Bevölkerung gehen und so dem notwendigen Ausbau der Erneuerbaren Energien einen Bärendienst erweisen", hieß es in einem Entschließungsantrag von CDU und FDP.

Die Opposition hatte eine Abschaffung der Mindestabstände gefordert, um den Ausbau der Windenergie in NRW "wirksam zu erleichtern und so die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren". Ihr Antrag wurde abgelehnt, und das alles vier Wochen nach Kriegsbeginn.

Um ein anderes Abstandsthema hat sich die Bundesregierung indes ziemlich schnell gekümmert: Die Abstände zu Drehfunkfeuern, die für den Flugverkehr wichtig sind, und zu Wetterradaren sollen deutlich kleiner werden. Habeck sagte, dass damit mehr als 1.000 neue Windräder mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt möglich würden. Wohl auch mit Blick auf die pauschalen Abstandsregeln betonte er zudem: "Wir erschließen durch moderne und kluge Regeln mehr Flächen für den Ausbau von Wind an Land."

Verwendete Quellen:

  • Website des Umweltbundesamts: Windenergie an Land
  • Positionspapier des Umweltbundesamts zu den Auswirkungen von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und Siedlungen vom März 2019
  • Eröffnungsbilanz Klimaschutz des Wirtschafts- und Klimaministeriums vom 11. Januar 2022
  • Fachagentur Windenergie an Land: Überblick Abstandsempfehlungen und Vorgaben zur Ausweisung von Windenergiegebieten in den Bundesländern (Stand Februar 2022)
  • Windenergieerlass Baden-Württemberg
  • Hinweise an die Planungsgemeinschaften in Brandenburg
  • Handlungsempfehlungen in Hessen
  • Hinweise zur Festlegung von Eignungsgebieten für Windenergieanlagen in Mecklenburg-Vorpommern
  • Energieatlas der Bayerischen Staatsregierung
  • Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Regelungen des Mindestabstands von Windenergieanlagen zu Wohngebieten in ausgewählten europäischen Staaten (Stand: Februar 2021)
  • Statista: Anzahl Onshore-Windanlagen in Deutschland
  • Pressemitteilung der CSU-Fraktion im Landtag vom 27. April 2022
  • Beschlussprotokoll der 165. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen am 23. März 2022
  • Pressemitteilung des Klimaschutz- und des Verkehrsministeriums vom 5. April 2022: Mehr Flächen für Windenergie an Land
  • dpa-Umfrage: Bundesländer hinken dem Ausbauziel zur Windkraft hinterher (2. Mai 2022)
  • dpa-Meldung: Habeck will Windkraft-Abstandsregel in Bayern kippen (11. Januar 2022)
  • br.de: Söder: "Wir werden rund 800 Windräder auf den Weg bringen" (28. April 2022)
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