Mehr als 70 Menschen wurden in Syrien am Dienstag bei einen Giftgasangriff getötet, darunter viele Frauen und Kinder. Der UN-Sicherheitsrat ist gespalten, Resolutionen verpuffen, völkerrechtliche Verträge sind in Kriegszeiten offenbar nichts wert. Es ist ein sinnloses Töten, das kein Ende zu finden droht.

Mehr aktuelle News

Es sind Bilder, die fassungslos machen. Kleine Kinder, die um Luft ringen, Schaum vor dem Mund haben, mit dem Tod kämpfen - und diesen Kampf in viel zu vielen Fällen verlieren.

Ein Giftgasangriff in der syrischen Stadt Chan Scheichun am Dienstag hat die Welt schockiert. Die Zahl der Toten soll mittlerweile auf 72 gestiegen sein. Unter den Opfern befinden sich 20 Kinder und 17 Frauen.

Es deutet für Beobachter einiges darauf hin, dass die Regierung um Syriens Machthaber Baschar al-Assad hinter dem Angriff steckt. Die Attacke wurde vom UN-Menschenrechtsrat in einer Mitteilung als "Kriegsverbrechen" tituliert. Eine neue UN-Resolution sollte helfen, den Vorfall aufzuklären.

Vorwürfe statt Lösungsfindung

Doch die Sitzung endete am Mittwoch - mal wieder - ergebnislos. Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats warfen sich stattdessen gegenseitig Versagen vor.

Zu einer Abstimmung über den von den USA, Frankreich und Großbritannien eingebrachten Entwurf kam es nicht. Mit der zweiseitigen Resolution sollte der mutmaßliche Angriff scharf verurteilt und eine rasche Aufklärung gefordert werden.

"Zu diesem Zeitpunkt sehen wir keinen besonderen Bedarf, eine Resolution anzunehmen", sagte Russlands stellvertretender UN-Botschafter Wladimir Safronkow. Erst im Februar hatte Russland genauso wie China eine Resolution zu Syrien mit einem Veto blockiert. Beide Länder halten seit Jahren ihre schützende Hand über Machthaber Assad.

"Bis Russland sein Verhalten ändert, wird der Sicherheitsrat blockiert bleiben", sagte Großbritanniens UN-Botschafter Matthew Rycroft. "Das ist die traurige Realität, an die die Welt sich gewöhnt hat. Sie sehen uns als einen Tisch von Diplomaten, die nichts tun, die Hände gebunden, der russischen Unnachgiebigkeit verpflichtet."

Neben Russland und China sind die USA, Großbritannien und Frankreich ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Damit gehören diese fünf Länder zu den einzigen UN-Mitgliedsstaaten, die mit ihrem Veto alle Beschlussvorlagen für den Sicherheitsrat blockieren können.

Angesichts vorheriger Blockaden von Syrien-Resolutionen des Weltsicherheitsrates durch Russland hatte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte im Oktober 2016 den Verzicht auf ein Vetorecht bei Beschlüssen zu Kriegsverbrechen gefordert.

Der UN-Sicherheitsrat brauche endlich Arbeitsregeln, die kein Veto gegen mehrheitlich akzeptierte Resolutionen zu schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlauben, sagte Said Raad Al-Hussein damals.

Nur wenn kein ständiges Ratsmitglied vom Vetorecht Gebrauch machen würde, könnte der Internationale Strafgerichtshof mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen in Syrien beauftragt werden, hatte Al-Hussein erklärt.

Im Oktober lagen dem Sicherheitsrat eine von Frankreich und Spanien eingebrachte Resolution vor, die Luftangriffe auf Aleppo verbieten sollte. Russland lehnte den Entwurf ab.

Russland glaubt nicht an Schuld des Assad-Regimes

Auch im aktuellen Fall blockt Moskau bislang die Verabschiedung der Resolution ab. Russland will nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff am Dienstag nichts von einer Schuld des Assad-Regimes wissen und erklärte hingegen, die syrische Luftwaffe habe beim Angriff auf das von Rebellen kontrollierte Chan Scheichun eine Chemiewaffenfabrik getroffen.

Sanktionen, etwa gegen das syrische Regime von Präsident Assad, sieht der Resolutionsentwurf ohnehin nicht vor - diese werden ohne die Nennung des syrischen Regimes lediglich angedroht. Für das mit Syrien verbündete Russland wäre die Resolution damit vertretbarer.

Der Entwurf fordert aber detaillierte Angaben über die Lufteinsätze des syrischen Militärs, darunter auch Flugpläne und -bücher vom Tag des Angriffs. Auch die Namen der Kommandeure jeglicher Hubschrauberstaffeln des Regimes werden gefordert.

Außerdem müsse Syrien Zugang zu relevanten Militärflugplätzen gewähren, von denen laut UN-Untersuchungsteams und der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) möglicherweise Chemiewaffen abgefeuert wurden.

Resolutionen führen in Syrien bislang kaum zu Fortschritten

Doch es bleibt ohnehin fraglich, ob die Resolution zu einem echten Fortschritt bei der Lösung des verheerenden Konflikts in Syrien führen würde.

Seit mehr als sechs Jahren tobt in dem Land nun der Bürgerkrieg. Seitdem sind Schätzungen zufolge fast 500.000 Menschen ums Leben gekommen.

Die Europäische Union hält bislang weiter an einem Sturz Assads fest. Beim Außenministertreffen am Montag bekräftigten die 28 EU-Staaten noch einmal, dass sie für ihn in einem zukünftigen Syrien keinen Platz mehr sehen.

Doch bereits in der jüngsten und erneut ergebnislosen Runde der Genfer Verhandlungen über ein Ende des Bürgerkriegs zeigte sich sehr deutlich, dass die USA und Europa nur Zaungäste sind, die dem Geschehen mehr oder weniger hilflos zuschauen.

Die USA fielen als Gegengewicht zu Syriens mächtigem Verbündeten Russland mittlerweile völlig aus, sagt ein europäischer Diplomat. "Es gibt wenig Zeichen, die einen glauben lassen, dass es in Washington eine Strategie für Syrien gibt. Die US-Diplomaten haben oft noch nicht einmal eine Linie oder Sprache, an die sie sich halten können."

USA mit Wendehals-Politik im Syrien-Konflikt

Washington war zuletzt ohnehin von der Politik abgerückt, Assad die Hauptverantwortung für den blutigen Konflikt zu geben.

Nach dem schweren Angriff vom Dienstag war Trumps Regierung aber wieder schnell darin, den Schuldigen auszumachen: die Regierung von Assad.

"Es ist klar, wie Assad operiert: mit brutaler, unverfrorener Barbarei", sagte US-Außenminister Rex Tillerson. Und er machte die Verbündeten der syrischen Regierung mitverantwortlich. "Als die selbst ernannten Garanten des Waffenstillstandsabkommens von Astana tragen Russland und der Iran große moralische Verantwortung für diese Toten."

Donald Trump schlug am Mittwoch in die gleiche Kerbe. Der US-Präsident drohte der syrischen Regierung nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff indirekt. "Für mich sind damit eine ganze Reihe von Linien überschritten worden", sagte Trump bei einer Pressekonferenz.

Der Angriff auch auf Frauen, Kinder und Babys sei entsetzlich und furchtbar. Dieser "Affront des Assad-Regimes gegen die Menschlichkeit kann nicht toleriert werden", so Trump.

Zwölfte Resolution seit Beginn des Bürgerkriegs

Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Daran haben auch die bislang elf Syrien-Resolutionen der Vereinten Nationen, die seit Beginn des Krieges im März 2011 verabschiedet wurden, nichts geändert.

In einer Resolution im September 2013 hatte der UN-Sicherheitsrat Damaskus zur Vernichtung seiner Chemiewaffen aufgefordert. Das Gremium verabschiedete diese einstimmig, also auch mit den Stimmen Russlands und Chinas.

Hintergrund waren verheerende Giftgas-Angriffe östlich von Damaskus im August 2013, bei denen rund 1.400 Menschen getötet wurden, darunter viele Kinder.

Die Regierung von Präsident Assad beugte sich damals dem internationalen Druck und stimmte zu, seine Chemiewaffen abzugeben. Bis August 2014 wurden sie - so hieß es - komplett vernichtet.

Doch Chlorgas fiel nicht darunter. Lediglich der Einsatz als Waffe wurde untersagt, woran sich das Regime mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hielt.

Mehrere Angriffe des Assad-Regimes mit Chlorgas?

Experten der UN kamen zu dem Schluss, dass syrische Regierungstruppen im März 2015 Chlorgas eingesetzt haben. Regierungshubschrauber schmissen demnach Fassbomben mit Chlorgas auf Orte der Provinz Idlib im Nordwesten des Landes ab.

Der Hilfsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge starben damals mindestens sechs Menschen.

Bereits ein Jahr zuvor hatte es offenbar Angriffe mit Chlorgas gegeben. Elf Menschen starben, 500 wiesen Symptome einer Vergiftung auf. Wieder soll das Assad-Regime dafür verantwortlich gewesen sein. Genauso wie im September 2016, als in Aleppo Chlorgas als Waffe eingesetzt wurde und 80 Menschen verletzt worden waren.

Seit Ende des Vorjahres häufen sich Meldungen über Giftgasangriffe in Syrien. Im August 2016 soll ein Hubschrauber nach Weißhelm-Angaben unter anderem Fässer mit Chlor-Kanistern über der von Dschihadisten kontrollierten Stadt Sarakeb nahe Idlib abgeworfen haben. 33 Menschen sollen damals verletzt worden sein.

Drei Monate später wurden in Nordsyrien 22 protürkische Rebellen bei einem Giftgasangriff der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verletzt. Das russische Militär warf zur gleichen Zeit der Opposition in Aleppo vor, durch Gasballons oder Minen mit Chlor syrische Regierungssoldaten verletzt zu haben.

Wieder nur einen Monat später wurden nach Angaben der Hilfsorganisation Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) nach einem Giftgasangriff in der Provinz Hama 93 Zivilisten getötet und rund 300 verletzt. Flugzeuge sollen Bomben mit einer geruch- und farblosen Chemikalie auf mehrere Dörfer abgeworfen haben.

Und erst im März dieses Jahres gab es Berichte über 70 verletzte Zivilisten nach einem Giftgasangriff in der Stadt Hama.

Verstoß gegen das Genfer Protokoll

Dabei gewährleistet das vor mehr als 90 Jahren unterzeichnete Genfer Protokoll, dass der Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe im Krieg verboten ist. 137 Staaten haben sich bis heute diesem völkerrechtlichen Vertrag angeschlossen - Syrien trat im Dezember 1968 bei.

Das Genfer Protokoll beinhaltet das "Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder anderen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege". Allerdings ist der Einsatz von chemischen und biologischen Waffen zu Vergeltungszwecken erlaubt.

An das Genfer Protokoll wurde sich in den vergangenen Jahrzehnten dennoch oftmals nicht gehalten. Italien setzte in den 1920er- und 1930er-Jahren Chemiewaffen ein, tötete zehntausende Menschen in Libyen und dem heutigen Äthiopien.

Japan verwendete Chemiewaffen im Zweiten Weltkrieg gegen China, Nationalsozialisten ermordeten Menschen in Konzentrationslagern mit dem Gas "Zyklon B". Auch im Vietnamkrieg und dem Golfkrieg der 1980er-Jahre kamen Chemiewaffen zum Einsatz.

Ein großes Problem bei der Lösung der Schuldfrage ist bei Einsatz von Chemiewaffen die Nachweisbarkeit des Vergehens. "Die Einsatzspuren vieler Giftgase verschwinden rasch", sagte der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp im August 2013 - nach dem verheerenden Giftgasangriff östlich von Damaskus - im Gespräch mit dem "Südkurier".

Da UN-Chemiewaffeninspekteure erst spät Zugang zum Einsatzort bekamen, war es schwieriger, eindeutige Beweise zu finden, dass tatsächlich das Assad-Regime für den Angriff verantwortlich war.

Womöglich vergeht auch nach den Angriffen am Dienstag zu viel Zeit, um die Schuldfrage eindeutig zu klären.

Mit Material der dpa
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.