Wie ein Damoklesschwert schwebt der Atomstreit mit Nordkorea über der Welt. Es bestehe die Möglichkeit, eines großen, großen Konfliktes mit Nordkorea, hat US-Präsident Donald Trump jüngst gesagt. Wie nah sind wir einem Krieg schon? Fragen an einen Nordkorea-Experten.

Ein Interview

Herr Schmidt, mit jedem Tag scheint der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea weiter zu eskalieren. Ist es bereits fünf vor zwölf?

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Hans-Joachim Schmidt: Das mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten, fällt mir schwer. Denn mit Donald Trump und Kim Jong Un mischen in diesem Konflikt zwei relativ unberechenbare Politiker mit. Zumindest eine militärische Intervention der USA schließe ich aber nahezu aus.

Was macht Sie da so sicher? Trump hat nichts ausgeschlossen.

Schmidt: Würde ich einen Militärschlag planen, würde ich die Klappe halten. Die Amerikaner aber sagen, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen. Ich höre da vor allem heraus, dass sie gegenüber Kim die Drohkulisse verstärken wollen.

Und Kim - hat er ein Interesse an einem Krieg?

Schmidt: In erster Linie geht es Kim Jong Un darum, sein Regime zu erhalten. Einen Krieg will auch er nicht, es wäre das Ende seiner Regentschaft. Außerdem soll Nordkorea als Nuklearmacht anerkannt werden …

... was die anderen involvierten Mächte - China, Japan, USA, Südkorea, Russland - aber niemals absegnen werden.

Schmidt: Das ist sicher richtig. Aber ich halte es für möglich, dass sich die beiden Seiten auf ein ambivalent interpretierbares Abkommen einigen.

Wie könnte denn so ein Kompromiss aussehen, bei dem beide Seiten das Gesicht wahren?

Schmidt: Eine Denuklearisierung Nordkoreas wird es nicht von heute auf morgen geben. Man müsste sich Schritt für Schritt annähern, etwa, indem man sich erst einmal darauf einigt, dass Nordkorea sein Atomprogramm nicht weiterentwickelt und in Teilen mit der Abrüstung beginnt. Kim Jong Un könnte das als Existenzgarantie für sein Regime auffassen. Die übrigen Mächte hätten die Gefahr eingedämmt, die von Nordkorea ausgeht.

Sie haben die Hoffnung auf eine friedliche Lösung also noch nicht aufgegeben?

Schmidt: Nein. Bei allen Drohgebärden der vergangenen Wochen und Monate: Die Situation ist noch lange nicht so gefährlich wie Anfang der 1990er-Jahre. Damals drohten die USA offen mit Angriffen gegen nordkoreanische Atomanlagen. Sie begannen, ihr Botschaftspersonal abzuziehen, Strategische Bomber wurden in die Region verlegt.

Dennoch kam 1994 das Genfer Rahmenabkommen zustande, ein bilateraler Vertrag, der das nordkoreanische Plutoniumprogramm für acht Jahre überprüfbar einfror.

Lassen Sie uns zwei Gedankenspiele machen. Gesetzt den Fall, Kim Jong Un würde einen Krieg anzetteln. Was käme auf die Welt zu?

Schmidt: Ein Angriff auf Südkorea wäre noch um ein Vielfaches schlimmer als der Krieg in Syrien. Die Region Seoul, in der ein Viertel der Südkoreaner lebt und aus der die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes kommt, liegt nur 30 bis 60 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt.

An der Grenze hat Kim Tausende konventionelle Geschütze stehen. Von den 5.000 Tonnen seiner chemischen Munition und der Möglichkeit eines atomaren Angriffs mal ganz zu schweigen.

Und wenn die USA - entgegen Ihrer Einschätzung - Nordkorea angreifen, was dann? Auf welche Seite würde sich China schlagen?

Schmidt: Auch wenn China kein nukleares Nordkorea will: China hat, genau wie Russland, nun einmal eine Allianzvereinbarung mit Nordkorea. Beide Länder haben den USA jüngst signalisiert, dass sie Nordkorea gemeinsam verteidigen könnten.

Die USA hätten es dann also mit gleich drei Atommächten zu tun. Auch deshalb halte ich es für unwahrscheinlich, dass Trump so weit geht.

Dr. Hans-Joachim Schmidt hat Politik und Germanistik studiert. Seit 1982 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Rüstungskontrolle in Europa und Korea, die militärische Vertrauensbildung in Europa und Korea sowie die Sechs-Mächte-Gespräche (China, USA, Japan, Nordkorea, Südkorea, Russland) zur Regelung der nordkoreanischen Nuklearkrise.
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