Nordkorea gilt als arm und unterentwickelt. Dabei hätte das kommunistische Land beste Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Unsere Redaktion hat mit einem Nordkorea-Kenner über Hürden und die Rolle von Staatschef Kim Jong Un gesprochen.

Ein Interview

Das Auswärtige Amt zeichnet ein düsteres Bild: Nordkorea produziere keine wettbewerbsfähigen Güter. Es herrsche ein Mangel an Investitionsgütern.

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Die Infrastruktur sei marode, zahlreiche Industrieanlagen seien nicht in Betrieb und die Bevölkerung würde nur notdürftig versorgt und hungert.

Es gibt allerdings Experten, die die Meinung vertreten, dass Nordkorea ein wichtiger wirtschaftlicher Partner der USA und sogar ein Tigerstaat werden könnte - eine wirtschaftlich aufstrebende asiatische Volkswirtschaft wie Japan oder Taiwan.

Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht Werner Pfennig von der Freien Universität Berlin über die wirtschaftliche Situation Nordkoreas - und welche Rolle Machthaber Kim Jong Un dabei spielt.

Herr Pfennig, Kim Jong Un soll Expertenmeinungen zufolge auf einem goldenen Topf sitzen. Von Bodenschätzen im Wert von mehreren Billionen Dollar ist die Rede.

Werner Pfennig: Alle interessanten Rohstoffe bis auf Erdöl sind wohl dort zu finden, zum Beispiel sehr viel an hochwertiger Steinkohle, auch Vorkommen von seltenen Erden.

Der Großteil der Bevölkerung gilt indes als arm. Warum tragen die Rohstoffe nicht zu mehr Wohlstand bei?

Was fehlt, sind Investitionen, innovatives Management und erforderliche Energieträger. Es gibt eine Reihe von Kohlegruben, die von der Volksrepublik China langfristig gepachtet wurden.

Weiter gibt es Gruben, deren Kohle nach China geliefert wird. Die Lieferungen dorthin sind durch die Sanktionen der Vereinten Nationen jedoch begrenzt, deshalb können die vertraglich fixierten Liefermengen nicht ausgeschöpft werden. Das von der UNO gebilligte Kontingent ist für dieses Jahr schon ausgeschöpft.

Gibt es Zahlen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit?

Das Wirtschaftswachstum wird für 2016 auf 1,2 bis 1,3 Prozent geschätzt. Es ist gering, aber in Anbetracht der schlechten Lage und der Sanktionen dennoch beachtlich.

Solche Schätzungen stammen meist von Regierungsstellen und Forschungsinstituten der Republik Korea, sprich Südkorea. Konkrete Zahlen werden von Nordkorea selten veröffentlicht.

Was ist die Hauptursache für die schwache Wirtschaft: Sanktionen oder strukturelle Probleme?

Beides spielt eine Rolle. Die Sanktionen sind ein wesentlicher Grund. Nordkorea fühlt sich extrem bedroht. Es verteilt seine Ressourcen deswegen auf eine Grundversorgung der Bevölkerung und die Nuklear- und Raketenrüstung.

Keine Bank im Ausland leiht Nordkorea Geld für Exportaufträge, die wiederum erstmal produziert werden müssten. Die Sanktionen treffen alle 24 Millionen Nordkoreaner und Nordkoreanerinnen, wenn auch unterschiedlich.

Ohne kleine Märkte, den Schmuggel über die chinesische Grenze, das Tauschen über drei, vier Ecken und sogar vereinzelte Untergrundbanken, wo sich die Menschen Geld leihen können, würde die Grundversorgung kaum funktionieren.

Dabei dürfte gerade Nachbar China ein Interesse an mehr Handel haben.

China will keinen Zusammenbruch des Regimes und wünscht sich Wirtschaftsreformen in Nordkorea: Mehr Freiraum für Privatwirtschaft, eine Ausgliederung des Bankensystems, damit schneller Geld zur Verfügung steht. All das, was China selbst durch seine Reform- und Öffnungspolitik seit 1978 umsetzen konnte.

China konnte dies jedoch auf der Grundlage einer starken Landwirtschaft verwirklichen. Und die Volksrepublik eröffnete Sonderwirtschaftszonen, in denen ausländische Firmen zu äußerst günstigen Bedingungen sehr viel investieren konnten, Shenzhen bei Hongkong zum Beispiel.

In Nordkorea gibt es nur zwei Sonderwirtschaftszonen, die mit denen in China nicht vergleichbar sind. Immer wieder lädt das Nachbarland nordkoreanische Delegationen ein, um zu zeigen: Wir haben unsere Märkte geöffnet, wir haben privatisiert, doch die kommunistische Partei ist immer noch die Nummer eins.


Doch Nordkorea ist weit entfernt von einer derartigen wirtschaftlichen Kraft. Ist Kim Jong Un nicht offen für Reformen?

Doch ist er, aber Wirtschaftsreformen nach dem chinesischen Muster sind unter seinem Regime kaum vorstellbar.

Ein Beispiel: Im Südosten, an der Grenze zu Südkorea, befindet sich ein landschaftlich sehr schönes Gebirge, Kumgangsan, Diamantgebirge genannt.

Dort hatten südkoreanische Firmen um den Konzern Hyundai ein Hotel- und Urlaubszentrum für Ausländer errichtet. Mehrere Hunderttausend Gäste kamen, die Einheimischen arbeiteten als Köche, Reinigungspersonal, Fremdenführer und dergleichen. Das Urlaubszentrum wird seit Jahren wegen des ungeklärten Todes einer Touristin aus Südkorea aber nicht mehr genutzt.

Es gab Reformbemühungen, etwa eine Währungsreform, eine Ausweitung der Privatmärkte und Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur.

Das Regime zögert zudem, weil es nicht weiß, wie viel an Reform es selber überleben würde.

Könnte Nordkorea ein Tigerstaat werden?

Ein potentieller Tigerstaat schon, aber dazu müsste sich im Norden viel ändern. Und dazu müsste auf der Halbinsel eine friedliche Koexistenz praktiziert werden und Nordkorea in die internationale Gemeinschaft reintegriert werden.

An der Bevölkerung sollte es nicht scheitern: Nordkoreaner gelten als fleißig, diszipliniert und sind es gewohnt, genügsam zu leben. Eine Wirtschaftsreform könnte nur durch einen gewinnbringenden Abbau von Rohstoffen, eine breit angelegte Industrieproduktion, kompetentes Management, ausreichende Investitionen im Zusammenwirken mit dem Ausland geschehen.

Inwiefern wäre auch das Ausland in der Bringschuld?

Seit Jahren fehlt das Vertrauen auf allen Seiten. Nordkorea interpretiert Zusammenarbeit weitestgehend als Abhängigkeit und hat kaum Erfahrung mit fairer Kooperation.

Es fehlt im Ausland jedoch auch die Bereitschaft, sich in die Lage der anderen Seite hineinzuversetzen und die vom Norden empfundene Bedrohung vorurteilsfrei zu diskutieren. Gegenwärtig erleben wird verantwortungslose Drohgebärden, die allen Seiten schaden.

Dr. Werner Pfennig lehrt und forscht am Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin. Zu seinen Schwerpunktthemen gehört die mögliche Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas. Zahlreiche deutsche Medien ziehen ihn als Experten zu Themen rund um Ostasien heran.
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