• Besetzte Parteibüros, enttäuschte Aktivisten und Aktivistinnen: Der Konflikt um den Braunkohletagebau setzt die Grünen unter Druck.
  • Die Jugendorganisation und einzelne Bundestagsabgeordnete kritisieren die Räumung des Dorfes Lützerath scharf – und damit auch die Beschlüsse ihrer Partei.
  • Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sagt dagegen: "Lützerath ist schlicht das falsche Symbol."

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Der Name Lützerath könnte eines Tages in die Geschichte der großen Umweltkonflikte Deutschlands eingegangen sein – so wie Wackersdorf, Gorleben oder der Hambacher Forst. Und auch für die Grünen wird Lützerath immer mehr zum Reizwort. Die aktuelle Räumung des Dorfes und der Umgang mit der Kohle darunter spaltet die Partei wie wohl kein anderes Thema in den vergangenen Jahren. Wenn es um Lützerath geht, prallen die klimapolitischen Ziele und Versprechen der Grünen und die Zwänge des Regierens aufeinander.

Das bekam die Partei in den vergangenen Tagen nicht nur im Rheinischen Braunkohlerevier zu spüren. In Düsseldorf besetzten Aktivistinnen und Aktivisten am Donnerstag die Zentrale der NRW-Grünen. In Flensburg – dem Wahlkreis von Vizekanzler Robert Habeck – wurde die Kreisgeschäftsstelle der Partei ebenfalls für mehrere Stunden besetzt. In Leipzig und Aachen wurden die Fensterscheiben von Grünen-Parteibüros eingeschlagen. "Wir verurteilen dies aufs Schärfste. Friedlicher Protest ist immer legitim, aber solche Aktionen sind völlig inakzeptabel", schrieb der Bundestagsabgeordnete Lukas Benner auf Twitter.

Der Kompromiss – und die Zweifel

Zur Erinnerung: Die beiden grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (im Bund) und Mona Neubaur (in Nordrhein-Westfalen) hatten sich im Oktober mit dem Energiekonzern RWE auf einen Kompromiss zur Zukunft des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II geeinigt: Die fünf Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath bleiben entgegen der Planung doch erhalten. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung wird im Rheinischen Revier von 2038 auf 2030 vorgezogen. Lützerath aber wird noch abgerissen, damit RWE die Kohle unter dem Weiler abbaggern kann. Gerade wird das von Klimaaktivistinnen und -aktivisten besetzte Dorf deshalb von der Polizei geräumt.

Die Kritiker des Beschlusses sagen allerdings: Die Verfeuerung der Kohle unter Lützerath ist angesichts des Klimawandels der falsche Schritt. Auch Claudia Kemfert, Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hält den Abbau nicht nur für klimaschädlich, sondern auch für unnötig: "Es gibt ausreichend Kohle in den existierenden Flächen, ohne dass Lützerath abgebaggert werden muss", teilte sie mit.

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Grünen-Abgeordnete Nyke Slawik: "Ich habe mich entfremdet"

Dieser Argumentation schließen sich einige Grünen-Politiker an. Der Co-Sprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, posierte am Mittwoch für einen Twitter-Post in Lützerath mit erhobener Faust und schrieb dazu: "Die Polizei rückt mit unzähligen Hundertschaften an, aber der Protest ist vielfältig und entschlossen. Wir verteidigen Lützerath." Vor Ort demonstrierte auch Luisa Neubauer; der Kopf der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" ist auch Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Klima-Aktivistin Kathrin Henneberger steht ebenfalls auf der Seite der Lützerath-Besetzer. "Wir dürfen diese Kohle nicht verfeuern, weil wir damit unsere Klimaziele gefährden", sagte sie im Interview mit unserer Redaktion.

Ähnlich sieht das ihre Kollegin Nyke Slawik, ebenfalls Bundestagsabgeordnete der Partei: "Ich habe mich entfremdet. Entfremdet davon, wie manche die Räumung in Lützerath und den Deal mit RWE verteidigen", schrieb sie auf Twitter. Der Kompromiss mit dem Unternehmen sei "weder gesellschaftlich noch wissenschaftlich zeitgemäß".

Robert Habeck: Lützerath ist "Schlussstrich" unter Tagebau

Allerdings lässt sich Politik nur mit Kompromissen umsetzen. Und auf Kompromisse sind auch die Grünen angewiesen, seit sie im Bund und in Nordrhein-Westfalen mitregieren. Ex-Parteichef, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat deswegen wenig Verständnis für die Proteste gegen den Abriss von Lützerath. "Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol", sagte er dem "Spiegel" (Bezahlinhalt).

Das Dorf sei eben nicht das Symbol für ein "Weiter so" beim Braunkohle-Tagebau Garzweiler im Rheinland, sondern "es ist der Schlussstrich", sagte Habeck. Man ziehe den Kohleausstieg im dortigen Kohlerevier um acht Jahre auf 2030 vor, was immer auch Ziel der Klimabewegung gewesen sei. "Die Vereinbarung gibt uns Planungssicherheit. Ihretwegen werden jetzt Investitionen in eine klimaneutrale Energieversorgung, in Wasserstoffkraftwerke getätigt."

Ähnlich äußerte sich die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge: Ohne die Vereinbarung wäre das Gebiet Lützeraths trotzdem abgebaggert worden, sagte sie am Donnerstag. "Dann wären die fünf Dörfer nicht gerettet worden und wir hätten für das Klima nichts erreicht. Und das ist das Gemeinsame, was wir Grünen auch nach vorne stellen."

Die einen sagen: Klimapolitik gelingt nur mit Kompromissen. Die anderen sagen: Für die nötige Klimapolitik sind Kompromisse zu wenig. Dieser Konflikt spielt sich jetzt auch innerhalb der Grünen ab. Und er dürfte weiter köcheln: Am Wochenende ist in Lützerath eine Großdemonstration angekündigt, zu der sich auch die schwedische Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg angesagt hat.

Verwendete Quellen:

  • Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
  • DIW.de: "Lützerath wird zum Symbol einer fehlerhaften Energie- und Klimapolitik"
  • Spiegel.de: Gespräch mit Robert Habeck: "Zwanzigjährige überlegen heute, ob sie überhaupt Kinder kriegen wollen"
  • Twitter-Accounts von Lukas Benner, Nyke Slawik und Timon Dzienus
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