Für das Auto eines ukrainischen Kunden habe das Jobcenter bezahlt, sagt ein Autohändler aus Niedersachsen in einem TikTok-Video. Und: Deutsche bekämen das nicht, suggeriert er. Wenig später löscht er das Video – doch es verbreitet sich vielfach weiter.

"Schmeiß deinen deutschen Ausweis weg, komm wieder her und sag, dass du aus der Ukraine geflüchtet bist", sagt ein Mann in einem TikTok-Video, das er am 24. April 2024 veröffentlichte. Er stellt sich als Autohändler aus einer Kleinstadt bei Bremen vor und erzählt von einem Erlebnis, das offenbar viele wütend macht: Ein Ukrainer habe bei ihm ein Auto gekauft, einen VW Passat für 1.650 Euro – doch bezahlt habe dafür das Jobcenter Rotenburg, sagt er. Eine Rechnung, die er zeigt, soll das belegen.

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"Das kann doch nicht wahr sein", kommentierte eine Nutzerin. Deutsche würden wieder nichts bekommen, schrieben andere. Von dem Einzelfall zieht der Autohändler die Schlussfolgerung: "Ukrainer kriegen in Deutschland Fahrzeuge vom Jobcenter geschenkt."

Der Ersteller des Videos hat seinen Beitrag nach wenigen Tagen gelöscht, über eine Million Nutzerinnen und Nutzer sahen ihn bis dahin. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck schrieb er, ihm sei ein Fehler unterlaufen. Doch sein Video kursiert vielfach weiter, andere Nutzerinnen und Nutzer teilten das Video oder die Audiospur als sogenanntes Duett oder veröffentlichten Auszüge davon. Diese landeten auch auf Facebook und X. Leserinnen und Leser schickten es auch an CORRECTIV.Faktencheck mit der Bitte um Überprüfung.

Die Recherche von CORRECTIV.Faktencheck kann den Einzelfall aus Niedersachsen nicht abschließend belegen. Doch klar ist: Das TikTok-Video führt in die Irre, denn es suggeriert, dass nur speziell Ukrainer Autos vom Jobcenter finanziert bekommen können. Das stimmt nicht.

Geld aus dem Vermittlungsbudget für Bürgergeld- und Arbeitslosengeld-Empfänger kann auch für Autos fließen

Rotenburg (Wümme) in Niedersachsen liegt nicht weit vom Standort des Autohändlers entfernt. Christine Huchzermeier, Pressesprecherin des Landkreises, schrieb auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck: Das Jobcenter des Landkreises habe das Auto nicht bezahlt, es habe auch keine Überweisung des Landkreises an dieses Autohaus gegeben.

Huchzermeier schrieb aber auch: "Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Jobcenter im Wege einer Beschäftigungsaufnahme Fahrzeuge fördert. Diese Möglichkeit besteht für alle Kunden des Jobcenters und ist als Förderinstrument im SGB II (Jobcenter) und SGB III (Bundesagentur für Arbeit) vorgesehen, um Kunden eine Arbeitsaufnahme zu ermöglichen."

Tatsächlich steht auf der Rechnung, die im TikTok-Video zu sehen ist, nicht das Jobcenter Landkreis Rotenburg, sondern die Bundesagentur für Arbeit. Dort hieß es auf Anfrage, man könne den konkreten Fall weder bestätigen noch dementieren. So eine Konstellation sei aber denkbar, schreibt Sarah Kipp, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit.

Es geht dabei um Leistungen aus dem sogenannten Vermittlungsbudget, die Personen beantragen können, die Arbeitslosengeld oder Bürgergeld beziehen. Als Beispiel für solche Leitungen nannte Kipp Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen oder Bewerbungskosten – und unter bestimmten Umständen auch ein Auto. Etwa, wenn der Arbeitsort eines Jobs, den die Person in Aussicht hat, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Das ist auch in den fachlichen Weisungen zum Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III), die Bürger- und Arbeitslosengeld regeln, festgeschrieben.

Leistungen wie Fahrtkosten oder Autos stehen Menschen aus der Ukraine gleichermaßen wie Deutschen zu

Diese Leistungen können aber nicht nur Menschen aus der Ukraine beantragen – wie auf TikTok behauptet wird – sondern generell alle, die Arbeitslosengeld oder Bürgergeld beziehen. Die Leistung ist nicht davon abhängig, woher die Person kommt, auch Menschen aus anderen Ländern und Deutsche können sie beantragen.

Auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit ist nachzulesen: Auf Arbeitslosengeld – und damit gegebenenfalls auf Leistungen aus dem Vermittlungsbudget – haben Bürgerinnen und Bürger aus der EU oder dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie der Schweiz und alle mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis Anspruch. Beim Bürgergeld sind die Regeln ähnlich.

Die Ukraine ist aktuell weder Mitglied in der EU noch im EWR, Geflüchtete aus der Ukraine bekommen aber in Deutschland einen Aufenthaltstitel und können daher reguläre Sozialleistungen erhalten.

Einen Rechtsanspruch auf Förderungen, wie zum Beispiel von Autos, gebe es nicht, schreibt Kipp. Außerdem müssten die zu erwartenden Kosten "angemessen" sein, in der Regel würden nicht die vollen Kosten übernommen, sondern ein Zuschuss gewährt. Auch für Reparaturen oder etwa TÜV-Überprüfungen müssten die Personen in der Regel selbst aufkommen.

Fazit: Das Video auf TikTok erweckt fälschlicherweise den Eindruck, für Menschen aus der Ukraine würden generell die Kosten für ein Auto übernommen oder gefördert. Tatsächlich ist das nur unter bestimmten Umständen möglich und eine Leistung, die auch deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger sowie Personen aus anderen Ländern bekommen können.

Verwendete Quellen

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