• Nach 16 Jahren in der Regierung findet sich die Union künftig in einer neuen Rolle wieder - in der Opposition.
  • Zum gemeinsamen Gegenspieler der Regierung mit Linkspartei und AfD wird die Union aber kaum werden: Unvereinbarkeitsbeschlüsse hindern die Oppositionsparteien an einer Zusammenarbeit.
  • Was das für die Stärke der künftigen Opposition bedeutet und welche unterschätzte Macht die Union nutzen dürfte.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin und der zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Die Ampel-Koalition ist da, die Oppositionsbank damit neu besetzt: Während das erste Dreier-Bündnis auf Bundesebene aus SPD, Grünen und FDP das Land künftig regieren will, muss sich vor allem die Union an ihre neue Rolle in der Opposition gewöhnen. Gemeinsam mit der AfD und der Linkspartei bildet sie fortan den Gegenspieler zur Regierung.

Dass die Opposition allerdings geschlossen auftreten wird, ist kaum zu erwarten. "Es gibt multiple Unvereinbarkeitsbeschlüsse zwischen den Oppositionsfraktionen", erklärt Politikwissenschaftler Christian Stecker im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Union werde nicht mit AfD oder Linkspartei zusammenarbeiten, die Linke zumindest nicht mit der AfD.

Nicht auf Kooperation angewiesen

"Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass die Opposition Instrumente wie das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses oder das Anrufen des Bundesverfassungsgerichts gemeinsam nutzen wird", schätzt Stecker. Zumindest eine Partei muss das aber auch gar nicht: die Union. Mit knapp 200 Sitzen im Bundestag ist sie nicht auf Kooperation mit den anderen Oppositionsparteien angewiesen.

Auch Politikwissenschaftler Edgar Grande sagt: "Die Unionsparteien verfügen alleine über die notwendigen 25 Prozent der Abgeordneten, die man zum Einsetzen eines Untersuchungsausschusses benötigt. Das war in der letzten Legislaturperiode anders: Da hatten noch nicht einmal FDP und Grüne zusammen die notwendige Quote."

Wiederbelebung der Demokratie

Grande sieht die Voraussetzungen gegeben, dass die künftige Opposition stark wird. "Das ist in einer parlamentarischen Demokratie gut und notwendig", betont er. Denn eine starke Opposition zeichne sich nicht nur dadurch aus, dass sie die Regierung wirkungsvoll kontrolliert, sondern auch dadurch, dass sie in der Lage ist, eine ständige Regierungsalternative darzustellen. "Die großen Koalitionen der letzten Jahre haben keine solche Opposition als Regierungsalternative zugelassen", erinnert Grande.

Das Ende der großen Koalition könnte deshalb ein wichtiger Schritt zur Wiederbelebung der Demokratie sein. "Dabei ist entscheidend, ob die Union in der Lage sein wird, diese Rolle wahrzunehmen und auf welche Weise sie das tun wird", sagt der Experte. Opposition könne konstruktiv, konfliktorientiert oder auch konfrontativ sein. Noch beherrschen aber ohnehin offene Personalfragen die Partei: Die Suche nach einer neuen Parteiführung läuft.

Union als "stiller Regierungsteilhaber"

"In den kommenden Monaten werden erhebliche Kräfte aus den unterschiedlichen Landesverbänden auf die Union einwirken und sie in verschiedene Richtungen zerreißen", erwartet Grande. Es bleibe abzuwarten, wie sie sich zwischen der Regierung auf der einen und der AfD auf der anderen Seite positionieren wird.

Für Experte Stecker steht aber bereits eins fest: Die Union wird "stiller Regierungsteilhaber" sein. "Auch, wenn sie im Bundestag künftig auf der Oppositionsbank sitzt, wird sie über den Bundesrat mitregieren", sagt Stecker. Dort kontrolliere die Union über die Bundesländer so viele Stimmen, dass sie die Ampel-Koalition zu Kompromissen zwingen kann.

Enorme Vetomacht im Bundesrat

Aktuell ist die Union führend oder als Juniorpartner in zehn Bundesländern in der Regierungsverantwortung. Je nach Bevölkerungsgröße besitzt ein Land zwischen drei und sechs Stimmen im Bundesrat – die Union hat aktuell Zugriff auf 48. "Für eine absolute Mehrheit reichen bereits 35 Stimmen, damit können alle anderen Stimmen blockiert werden", erklärt Stecker. Die Vetomacht der Union: enorm.

Denn im Bundesrat wird über Zustimmungsgesetze entschieden, die jährlich zwischen 25 und 45 Prozent der Gesetzesvorhaben ausmachen. "Durch die Vetomacht werden zwar nicht unbedingt reihenweise Gesetze der Bundesregierung zu Fall gebracht, aber Kompromisszwang und leiser Stillstand werden begünstigt", fürchtet Stecker. Denn die Bundesregierung hole die Vetomächte des Bundesrats in der Folge an den Verhandlungstisch – der Kompromiss werde immer breiter.

Informelle "Simbabwe"-Koalition

"Völlig neu ist nun, dass so künftig eine informelle Viererkoalition aus SPD, Grünen, FDP und Union begründet wird", sagt Stecker. Viele Entscheidungen seien nur mit Ampel plus Union möglich – gemäß der eingeübten koalitionspolitischen Flaggenkunde wird daraus also eine "Bundesrepublik Simbabwe". Politik "aus einem Guß" werde so immer schwieriger.

Vorzeigeprojekte der Ampel wie das Wählen ab 16 – sie stehen auf der Kippe. "Das Projekt ist aber ohnehin gefährdet – für eine Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern notwendig, das ist ohne die Union nicht machbar", merkt Stecker an.

Übliche Oppositionsrituale

Er erwartet künftig auch die üblichen Oppositionsrituale: "Die Opposition wird die Koalition an schmerzhafte Kompromisse erinnern. Die Linke wird das vor allem bei den Grünen tun, die Union bei der FDP", schätzt er.

Die AfD werde weiter konsequent ausgeschlossen bleiben, eine Fortsetzung ihrer Oppositionsarbeit mit dem beständigen Einsammeln von Ordnungsrufen sei zu erwarten. "Die Linke wird ebenfalls relativ isoliert sein, weil sie die einzige linke Partei ist", analysiert Experte Stecker. "Die" Opposition – das werde es im neuen Bundestag aber ohnehin nicht geben.

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Über die Experten: Prof. Dr. Edgar Grande ist Gründungsdirektor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin und war Professor für Vergleichende Politikwissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Prof. Dr. Christian Stecker ist Professor für das Regierungssystem Deutschlands und Vergleich Politischer Systeme an der Technischen Universität Darmstadt.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Edgar Grande
  • Interview mit Prof. Dr. Christian Stecker
  • Stecker, C. (2021): Blockierte Mehrheit. 26.10.2021.

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