Als treuer Fan dieser Servicekolumne wird es Sie nicht überraschen, aber selbstverständlich löse ich mein Versprechen von vergangenem Montag ein und berichte an dieser Stelle in gewohnt epischer, dafür aber literarisch und intellektuell fragwürdiger Art und Weise darüber, wie sich die deutsche Nationalelf am Wochenende gegen Frankreich geschlagen hat.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Frankreich, das kurz als Kontext für alle Leserinnen und Leser, die zugeben, nichts von Fußball zu verstehen (und Dunja Hayali), stand zuletzt gegen Argentinien im WM-Finale, war 2018 noch selbst Weltmeister und gilt somit als Hauptfavorit auf die im Sommer ins Haus stehende Europameisterschaft.

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Diese wird als so genannte Heim-EM bezeichnet, da sie in Deutschland stattfindet und sich somit die Fanmeilen-Ultras bereits seit Monaten nach lauschigen Public Viewing Abenden sehnen, an denen der Sommermärchen-Spirit von vor 18 Jahren nochmals heraufbeschworen werden kann. Wie gut die Chancen auf eine Renaissance der "Die Welt zu Gast bei Freunden"-Atmosphäre stehen, möchte ich mal unkommentiert lassen. Vor allem, da Deutschland inzwischen (Parteien wie der AfD, Politikern wie Björn Höcke oder Desinformations-StartUps wie "NiUS" sei Dank) grundsätzlich eher nicht mehr den Ruf besitzt, nicht teutonische Einreisende ohne Absicht auf zeitnahe Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Arbeitstätigkeit ein besonders offenherziger, gastfreundlicher Aufnahmestaat zu sein.

Stolzdeppen Triggerwarnung

Dabei ist der begleitenden Stolzmonat-Fraktion aus dem Patrioten-Kindergarten inzwischen sogar die Berufskleidung der Nationalmannschaft ein Dorn im Auge. Das neue, pinke Alternativ-Jersey (ich berichtete darüber vergangene Woche) hält die Nation nach wie vor in Atem. Nachdem sich die Pinkphobie der rechtspopulistischen Bodensatz-Kommentarspaltenarmee tagelang ausgetobt hatte, holten erste Verkaufszahlen, die Verfechter der berühmten germanischen Tradition, in Grün oder Schwarz, aber in keinem Fall in Pink anzutreten, ganz schnell wieder auf den berühmten Boden der Tatsachen zurück.

Hatten die antiwoken Schnelldenker gerade noch tagelang die Kommentarspalten geflutet, um der Nation mitzuteilen, kein Mensch würde sich für politisch aufgeladene LGBTQ+ Fußballtrikots interessieren und dem offiziellen Merchandise-Plan von (noch) Adidas ein finanzielles Fiasko voraussagten, gab der Ausrüster diese Woche bekannt: Das pinke Trikot hat den besten Verkaufsstart aller bisherigen Ausweichtrikots hingelegt. Es wird damit zu Schrödingers Trikot: Es wird gleichzeitig von allen verschmäht und bricht Verkaufsrekorde.

Die ganze Aufregung also umsonst. Mal wieder haben die von der Universal-Weisheit geküssten Selbstdenker sich selbst ausgedribbelt: Mit ihrem Tagelangen Zeter und Mordio Geschrei haben sie den öffentlichen Fokus immer und immer wieder auf das pinke Trikot gelenkt und somit Interesse, Reichweite, Touchpoints und letztendlich Kaufreize geschaffen. Plus: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Elf von Julian Nagelsmann in ihrer brutalen "Todesgruppe" mit den fußballerischen Schwergewichten Schottland, Schweiz und Ungarn überhaupt in die Verlegenheit kommen wird, ihre Ausweich-Kluft aus dem Spind zu holen, ist weitestgehend ausgeschlossen. Schottland spielt landläufig in blauer Farbe, die Schweiz und Ungarn in Rot.

Kommentieren statt Denken

Das hielt das bildungsferne kognitive Fußvolk jedoch nicht davon ab, diese Woche ein Musterbeispiel für inkonsistente Diskursstrategie zu sein. So schaffte es Adidas im Telegram-Gruppen-Randgebiet Twitter beispielsweise, gleichzeitig viel zu woke und absolut gar nicht woke zu sein. Möglich macht dies die Kohärenz der Argumentationsketten aus dem intellektuellen Führerbunker der rechtspopulistischen Diskursvorhut. Adidas ist in den Augen der selbsternannten Hüter des teutonischen Kulturgrals nämlich auf die linksgrünversiffte Diversity-Hysterie reingefallen (pinkes Trikot) und somit im Prinzip nicht mehr deutsch genug für den handelsüblichen Reichsbürger – sowie parallel zu einer Ikone des deutschen Kulturguts geworden (Nike-Ausrüstervertrag).

Ein derart abstruser Eigentor-Tsunami war der von Vordenkern aus PEGIDA und Querdenker-Milieus gesteuerten Anti-Antifa zuletzt während der Corona-Pandemie gelungen, als man gleichzeitig verkündete, spätestens im September 2021 wären alle Geimpften tot, nur um dann im Jahr 2023 eine groß angekündigte "Wir haben nicht vergessen"-Heulsusen-Kampagne zu starten, mit der alle Impf-Befürworter mundtot gemacht werden sollten. Also alle die, die schon seit zwei Jahren verstorben sein sollten. Aufgefallen ist das im selbstgerechten Tal der intellektuell ersatzgeschwächten Aluhut-Armada niemandem.

Nanu, fragt sich da der geneigte Mitleser, der seine Zeit nicht in Social Media Jauchegruben verplempert: Was hat denn Nike jetzt mit dem pinken Trikot zu tun. Nun, kurze Einordnung: Als Belohnung dafür, dass Adidas mit dem pinken Trikot den deutschen Verbandsfußball wieder rasant in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt hat, spendiert der DFB dem Traditionsunternehmen aus Herzogenaurach postwendend die Gewissheit, ab 2027 als offizieller Ausrüster des DFB abgelöst zu werden. Und das ausgerechnet von Nike, einem Unternehmen, das bei turbopatriotischen Schwarz-Rot-Gold-Jüngern schon allein deswegen verhasst ist, weil es aus den USA stammt. Wie konnte der DFB dieses Kleinod deutscher Sportkultur nur so hinterrücks aussortieren?

Adidas ist somit gleichzeitig nicht mehr deutsch (pinkes Trikot) und eine deutsche Traditionslegende (weil nicht Nike). Wer aus diesem Diskursdilemma der germanischen Vollblut-Vaterlandsverehrer nicht mit Synapsenkirmes im Endstadium von der Tastatur aufsieht, der ist entweder mit der Gnade totaler Gleichgültigkeit gesegnet, oder wählt halt AfD. Für die ist eine Beweiskette, die die Behauptung 1 und 1 ergäbe 23 enthält, ja notfalls jederzeit nachvollziehbar, wenn sie in die eigene Narratividee passt.

Migrationsärgerer Musiala

Ach ja, fußballgespielt wurde dann auch noch. Zum Glück begleitet das Team aus dem Land des Camemberts der Schlachtruf "Allez les Bleus" hinaus in die Welt, was primär eines zur Folge hat: Frankreich tritt üblicherweise in Blautönen an. Das erlaubte es den wokevernebelten WM-2022-Versagern, im diskussionsvermeidenden Weiß aufzulaufen. Das pinke Trikot blieb also im Schrank. Der eigentlich übermächtige Gegner, durchaus in halbwegs auf Stammspieler fokussierter Aufstellung angetreten, wurde auswärts in Lyon mit 2:0 niedergerungen. Dabei präsentierte die deutsche Elf (komplett ohne Dortmunder Spieler in der Startformation übrigens) allerlei Ansehnliches, darunter das schnellste Tor der Nationalmannschafts-Historie (durch Florian Wirtz) und eine Kombination der beiden weiteren Hoffnungsträger auf eine neue goldene Generation: Kai Havertz und Jamal Musiala.

Musiala, neben Antonio Rüdiger, İlkay Gündoğan und Jonathan Tah fester Bestandteil der von rechtspopulistischer Arschgeigenseite regelmäßig vom Zaun gebrochenen Migranten-Diskussion, gilt als vermutlich größtes deutsches Talent seines Jahrgangs und wird mit seinen erst 21 Jahren der "Pink macht schwul"-Expertengruppe vermutlich noch mindestens 10 Jahre die Lust auf Länderspiele verhageln. Das wäre Antonio Rüdiger diese Woche beinahe mit nur einem einzigen Instagram-Posting gelungen. Dort posiert er in weißer Kluft auf einem Gebetsteppich und reckt einen Finger zum Himmel. Für bildungsresistente Überschriften-Leser, die in Anna Schneider Bettwäsche schlafen und einen Tino Chrupalla Starschnitt im Flur hängen haben, Grund genug, den Nationalverteidiger als waschechten ISIS-Liebhaber zu identifizieren.

Rüdiger, das nur nebenbei, wurde von der sportlichen Leitung bei Borussia Dortmund einst für zu schwach für den Profifußball befunden und weggeschickt. Über den AS Rom und Chelsea London ist der in Berlin geborene Defensivspezialist inzwischen bei Real Madrid angekommen und hat dabei bisher bereits die Champions League, die Europa League, den UEFA-Supercup, den Confederations Cup, die Copa del Rey und den FA Cup gewonnen.

Nicht ganz so schlecht für jemanden, den man beim BVB 2010 für nicht geeignet hielt, an Spielern wie Niklas Süle, Marin Pongracic oder Ömer Toprak vorbeizukommen. Nächste Woche, das als Versprechen an alle fußballmüden Hater der schönsten Nebensache der Welt, dreht es sich hier in dieser Kolumne dann aber wieder um die wirklich wichtigen Dinge. Oliver Pocher oder so. Bis dann!

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