Am Ende waren es neun Wörter, mit denen Angela Merkel den "Desinformations-Blogger" Boris Reitschuster vor versammelter Polit-Medienlandschaft in den Senkel stellte, wie meine Oma immer zu sagen pflegt: "Gibt es außer Rissen bei Ihnen noch irgendetwas Zusammenhängendes?"

Eine Kolumne
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Es war nicht die erste Attacke von Boris nicht so oft Right Schuster, aber dieses Mal hatte Merkel zurück getreten. Reitschuster hatte während der offiziellen Bundespressekonferenz, zu der etablierte Journalisten, etablierte TV-Teams, etablierte Pressevertreter und dann eben noch er selber Zutritt erhalten, mal wieder ganz tief in die Entlarvungs-Kiste gegriffen und die Kanzlerin nach allerlei Rissen gefragt. Leider war damit nicht das zu den Hamburger Elbvororten gehörende Rissen im Bezirk Altona gemeint, sondern eher Risse im Sinne von Gräben.

Man hätte auch von "unterschiedlichen Sichtweisen" sprechen können, aber Risse - das hört sich nach Zerstörung an. Nach Unüberbrückbarkeit. Nach zerschnittenen Tischtüchern. Nach einstürzenden Allianzen. Kurzum: Nach genau den martialischen Defragmentierungs-Szenarien, nach denen sich querdenkernahe "Regierung-Kritiker" mehr sehnen als Dieter Bohlen nach Instagram-Filtern.

Reitschuster jedenfalls wähnte sich einer Investigations-Offenbarung nahe, die selbst mit einem Pulitzerpreis noch beschämend unterrepräsentiert gewürdigt wäre. Was nach Merkels süffisanter Antwort blieb, war dann lediglich ein weiterer Riss in seiner eigenen Glaubwürdigkeit, das Hashtag #Rissschuster und ein wenig Social Media Applaus von der Gattung hochintellektueller virtueller Diskursteilnehmer, die auch glauben Angela Merkels Regierung würde von Bill Gates und den Rothschilds dazu gezwungen, das deutsche Volk per Chemtrails in eine Diktatur zu führen.

BoRiss Reitschuster

"Desinformations-Blogger" ist so passend wie genial – und daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es keine Formulierung ist, die ich mir selber hätte einfallen lassen können. Danke an dieser Stelle also an die Kollegen vom "Volksverpetzer". Die waren übrigens 2019 Blogger des Jahres.

Boris Reitschuster hat aber auch schon Preise eingefahren, das darf an dieser Stelle alleine aus Transparenzgründen nicht verschwiegen werden. Den Goldenen Aluhut 2021 zum Beispiel.

Ähnlich konstant wie Boris Reitschuster hat in den vergangenen 12 Monaten übrigens eigentlich nur noch Schalke 04 unterirdische Leistungen abgeliefert, die mitunter sogar für die treuesten Fans nur sehr schwer zu verdauen waren. Beide scheinen sich für die neue Saison vorgenommen zu haben, ihren Abstieg (Reitschuster vom "Focus" zum gesperrten YouTube-Channel, Schalke von der 1. in die 2. Liga) mit der kontinuierlichen Fortsetzung genau der Leistung zu feiern, die ihnen den ganzen Schlamassel überhaupt erst eingebrockt hat.

Schalke 04 – Der HSV der zweiten Liga

Schalke 04 brauchte dafür nicht mal eine ganze Bundespressekonferenz. Den Malochern aus dem nicht gerade als Paris des Ruhrgebiets bekannten Gelsenkirchen reichte dafür nur eine Halbzeit beim Ligaauftakt zur wohl spektakulärsten zweiten Liga aller Zeiten. Nachdem man nach der ersten Halbzeit gegen den Aufstiegs-Mitfavoriten Hamburger SV mit 1:0 führte und sich nach langer Zeit sogar mal wieder das berühmte Quäntchen Glück auf der blauweißen Seite zeigte (HSV verschoss einen Elfmeter), besann man sich in den zweiten 45 Minuten eines Besseren und spendierte den endlich wieder im Stadion präsenten Fans ein Best Of der vergangenen Saison. Nach 90 Minuten hieß es daher standesgemäß 3:1 für den Gegner und beim Meister der Herzen von 2001 hängt schon wieder der Haussegen schief, noch bevor höher gehandelte Ligakonkurrenten wie Werder Bremen überhaupt in den Spielbetrieb eingegriffen haben.

Mal nebenbei bemerkt: Gelsenkirchen, die Hauptstadt der Derbyniederlagen, wird von der SPD regiert. Mit größten Ansprüchen und hohen Erwartungen in einen Fight reingehen und dann lädiert und ohne Chance auf den Sieg wieder nach Hause fahren ist also nichts, das nicht in gewisser Weise Tradition in dieser Region hätte.

Bei der CDU in Erfurt Thüringen ringen sie um Haltung

In Thüringen, dem Ruhrgebiet der neuen Bundesländer, ist Profifußball nicht so wirklich ein relevantes Thema. Dafür ist der Erfurter Landtag verlässlich Schauplatz bundesweit für Furore sorgender Provinzpossen. Kaum ist der gelbbraune Abstimmungs-Skandal verhallt, bei dem sich der FDP-Regionalfürst Thomas Kemmerich von Bernd Höckes AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, nur um dann (eingenordet von Christian Lindner und einer kurzen Google-Recherche "AfD rechtsradikal?") 24 Stunden später alles wieder rückgängig machen zu lassen, taucht das Land der drei deutschen Exportschlager Rostbratwurst, Goethe und Schiller erneut im Fokus der Titelseiten auf. Und erneut ist Bernd Höcke Initiator und Mittelpunkt, am Ende aber doch nur der Rissschuster der gescheiterten Hinterzimmerdeals.

Was war passiert? Höcke versuchte, vielleicht in einem Anflug von Größenwahn, den amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow per Misstrauensvotum aus dem Amt zu jagen. Ramelow kennen Sie vielleicht aus Filmen wie "Clubhouse of Cards" oder "Mission:Impossible - Candy Crush", bei denen er abwechselnd in entscheidenden Corona-Abstimmungen der Ministerpräsidentenkonferenz Handyspiele zockt oder die Kanzlerin liebevoll "Merkelchen" nennt. Höcke jedenfalls, der die Kanzlerin auch schon vieles genannt hat, nur "Merkelchen" halt nie, wollte also erneut den Ministerpräsidentenmacher geben.

Größenwahn scheint bei Höcke, der laut Gerichtsbeschluss offiziell "Faschist" genannt werden dürfte (was aber natürlich niemand macht, denn das wäre fast so überzogen, wie ihn konsequent mit einem falschen Vornamen anzureden), ja serienmäßig ab Werk mitgeliefert zu werden. Im Sommer 2019 brach er mal ein "Sommerinterview" ab, weil ihm die Fragen nicht passten, und drohte dem ZDF-Team, sie sollten netter zu ihm sein, denn er könne ja vielleicht mal "eine bedeutende politische Person dieses Landes" werden.

Bernd Höckes Haus hat erinnerungspolitische Wände

Der bundespolitische Clou an Bernd Höckes natürlich gescheiterten Versuch, Thüringen durch die Hintertür eines polittaktischen Selbstmordkommandos von Bodo Ramelow zu befreien, ist aber nicht, dass Bernd Höcke eine medienwirksame Nebelkerze ins Establishment der Altparteien platzieren wollte, die dann aber nicht zündete. Es ist die Tatsache, dass die CDU Thüringen sich im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung zum Misstrauensvotum nicht dazu durchringen konnte, mit einem klaren und deutlichen "Nein" zu stimmen. Man wolle lieber den Saal verlassen und an der besagten Abstimmung nicht teilnehmen. Im entscheidenden Moment, als es darum ging, den Erfinder des "Denkmals der Schande" und des "Erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" unmissverständlich in die Schranken zu weisen, versagt die CDU und auch Chefdompteur Armin Laschet bleibt da – wie immer wenn es um Baustellen in seiner eigenen Partei geht – weitestgehend stumm.

Wie es enden kann, wenn man nicht früh und deutlich genug dem Faschismus entgegentritt, das hat insbesondere dieses Land ja nun historisch betrachtet schon ziemlich nachdrücklich erfahren müssen. Es sollte also eigentlich niemals eine ernsthafte Frage sein, ob man sich als Volkspartei gegen rechtsradikale Tendenzen stellen möchte. Aber das ist natürlich nur meine Meinung – und ich bin ja keine Expertin. Bis nächste Woche!

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