"Irren ist menschlich, aber immer irren ist sozialdemokratisch" - ein Satz, den Franz Josef Strauß seinerzeit prägte. Für die Jüngeren unter uns: Strauß war einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten deutschen Politiker. Und das einzige Mitglied der Amigos, das singen konnte.

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Warum ein Satz, der vor mehr als 50 Jahren fiel, sich ausgerechnet im heutigen Wochenrückblick wiederfindet? Ganz einfach: Armin Laschet hat ihn zitiert, in einer der am intensivsten kommentierten Reden der vergangenen Woche. Dem Strauß-Bonmot ließ er ein eigenes Zitat folgen. Oder, naja, vermutlich nicht wirklich sein eigenes, sondern eins aus der Ghostwriter-Feder, die ihm auch Klassiker wie "Sie können nicht spielen wie Angela Merkel und reden wie Saskia Esken" mit auf den Weg ins erste Triell bei RTL gegeben hatte.

Es lautet: "In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite." Nun habe ich Willy Brandt nicht mehr persönlich erlebt und auch die Ostpolitik ging vor meiner Zeit in ihre entscheidenden Phasen – aber der Kniefall von Warschau etwa sollte jedem Deutschen und jeder Deutschen etwas sagen, die hier mal länger als vier Jahre eine Schule besucht hat.

Sogar Armin Laschet. Eine solch geschichtsgroteske Fehlinterpretation kann also eigentlich nur durch drei Dinge entstehen:

  • 1. Armin Laschet hat – zumindest im Fachbereich Geschichte – den Bildungsstand eines Achtjährigen. Das würde ich ausschließen.
  • 2. Armin Laschet hat so beängstigend schlechte Redenschreiber, dass man hinsichtlich der Außenwirkung eigentlich von Sabotage sprechen müsste.
  • 3. Armin Laschet setzt in seiner Verzweiflung über das historische Umfragetief, in das er seine in Panik verfallende Union zielsicher gesteuert hat, auf den Trump-Effekt: Einfach etwas absurd Falsches behaupten, am nächsten Tag halbherzige Erklärungen über "Missverständnisse" und "Kontext" verbreiten lassen und dann die Hysterie der Kritiker nutzen, um geschützt von den Nebelschwaden des Gegenfeuers noch heimlich ein paar Stimmen von einer Klientel einsammeln zu können, die man in der Union vielleicht nicht unbedingt liebt, aber bitter nötig hat, um nicht bei 20 Prozent zu verenden.

Das Team Armin Laschet hat es wirklich nicht leicht

Wie heißt es so schön: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Schaden genommen hat so einiges in den letzten Wochen, als der Wahlkampf-Bus von der beherzten Diskussions-Plattform für Demokraten plötzlich falsch abgebogen ist auf den Autofriedhof der Hetz-Test-Dummies. Plötzlich ging es nicht mehr um die eigene Politik oder die eigenen Ideen, sondern nur noch darum, dem politischen Gegner möglichst erschütternde Verfehlungen anzukreiden.

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Besonders das Team Laschet hat es aber auch wirklich nicht leicht. Würden Sie gerne Abend für Abend ins Bett gehen und wissen, den kommenden Tag werde ich wieder damit verbringen, das zerschlagene Porzellan vom Chef aufzulesen und irgendwie zu erklären, warum das alles ein blöder Zufall, ein unglückliches Missverständnis oder gar nicht so gemeint war? Ich stelle mir das schwierig vor.

Aber nicht ganz so schwierig wie das Kamikaze-Kommando der Anti-Scholz-Fraktion in den großen Medienhäusern. Die Aufgabe, den sehr aussichtsreichen Fettnäpfchen-Rekordversuch von Laschet täglich in einen glänzenden Parcours der Zukunftsvisionen umzuinterpretieren, das kostet mit Sicherheit Kraft. Und natürlich Glaubwürdigkeit.

Die Angst vor Scholz scheint aber größer als das Wissen um unwiderruflichen Vertrauensverlust. Manchem Kommentator sieht man beinahe an, wie vehement ihm der Restwert seines eigenen moralischen Kompasses die Gesichtszüge entgleisen lässt, wenn er vor laufender Kamera Armin Laschet als großen Gewinner des Wahlkampfes zu preisen hat.

Die heilige Drei Einfaltigkeit

Zum Glück rufen ARD und ZDF am Sonntagabend zum zweiten Triell. Ich darf wieder persönlich vor Ort sein und lerne mit Moritz von Uslar einen interessanten jungen Autor kennen, den ich jederzeit für das Amt des Literaturministers vorschlagen würde. Nun werde ich, das muss man wohl zugestehen, mit der Kabinettsbildung nur am Rande zu tun haben und besagtes Ministerium müsste auch erst noch geschaffen werden.

Realistisch betrachtet liegt die Chance wahrscheinlich höher, dass Til Schweiger im neuen Video von Nena die Rolle eines Impfgegners spielt, der in seiner Freizeit gerne zur Wahl der AfD aufruft und Journalisten Prügel androht.

Zum Glück sind weder Til Schweiger noch Nena in der Nähe, als ab 19 Uhr die Triell-Klassenfahrt im Studio 20 Berlin Adlershof losgeht. Alle sind geimpft oder genesen und frisch getestet. Armin Laschet ist angetreten, um den einen oder anderen Fauxpas aus der Vergangenheit auszugleichen und das Stimmungs-Ruder rumzureißen.

Nachdem zuletzt gerichtlich bestätigt wurde, dass seine Räumung des Hambacher Forsts, bei der ein Demonstrant getötet wurde, rechtswidrig war, muss er dringend aus der Defensive. Nicht einfach, wo dann auch noch die für diesen rechtswidrigen Einsatz als Ausführendes Organ genutzte Polizei sich von ihm offiziell "verheizt" fühlt und sein Generalsekretär Paul Ziemiak den Zusammenbruch der EU prognostizierte, sollte Olaf Scholz Kanzler werden. Aber Laschet hat eine Lösung: Angriffsmodus.

Armin Laschet Weltrekord: Vierter im Triell

Das Triell ist noch keine 120 Sekunden alt, da hat Armin Laschet seine drei vorbereiteten Hauptpfeile bereits abgefeuert: CumEx, Warburg, Razzia. Grundsätzlich verständlich. Angriff ist, das weiß man nicht nur vom Fußball, die beste Verteidigung. Und genau zwei Wochen vor der Wahl muss der Laschet-Turbo langsam zünden, um die drohende Katastrophe am 26. September zu verhindern.

Leider geht er den Sturm auf die Scholz-Bastille ähnlich exzellent vorbereitet an wie seine Franz-Josef-Strauß-Analogie. Scholz pariert und überführt Laschet sogar mehrfach der Verbreitung von Behauptungen, die man freundlich gesagt "nicht ganz korrekt" nennen könnte. Im VIP-Bereich des Triells und auf Twitter fallen eher die Begriffe "Fake News" oder "Laschet lügt".

Die Prime-Time-Scholz-Vernichtung per Sofort-Attacke missglückt. In allen Umfragen wird Scholz als klarer Gewinner des Triells verkündet. Vor Schreck fällt irgendwo im Studio offenbar lautstark einer seiner Redenschreiber in Ohnmacht. Der Knall jedenfalls wird live in die Wohnzimmer der Triell-Schaulustigen übertragen, die in altbewährter Reality-TV-Tradition auf ein paar handfeste Empörungs-Eskalationen hoffen.

Laschet liefert, ist schnell auf 180, verschießt sein Pulver allerdings weitestgehend wirkungslos bereits in der Anfangsphase. Folgerichtig wird er mit einem entsprechenden Urteil der Zuschauer belohnt. Gut, Markus Söder twittert etwas anderes und auch Jens Spahn verzettelt sich in der Nachbesprechung mit Anne Will in Laschet-Durchhalteparolen, garniert mit ein paar höchst zweifelhaften Legitimierungs-Beschwichtigungen zu den Machenschaften von Hans-Georg Maaßen.

Das ändert dann auch nichts mehr daran, dass laut Forschungsgruppe Wahlen Olaf Scholz mit 34 Prozent als derjenige gesehen wird, der sich im Triell am besten geschlagen hat. Annalena Baerbock kommt auf 26 Prozent, Armin Laschet auf 16 Prozent. Alle gleich gut oder schlecht sagen 22 Prozent. Wenn man so will, ist Armin Laschet der einzige Politiker der Welt, der es schafft, in einem Triell Vierter zu werden.

Das Triell sorgt natürlich auch bei Medien und Social Media für verstärktes Interesse und Gesprächsaufkommen. Nur nicht bei BILD TV. So verkündet etwa der Autor Moritz Hürtgen, dass die Armin Laschet freundliche Triell-Nachbesprechung bei den Olaf-Scholz-Verhinderungs-Beauftragten von BILD TV auf grandiose 500 Zuschauer und Zuschauerinnen kommt. Ich habe die Zahl nicht auf die Schnelle überprüfen können, aber sollte sie zutreffen, hätte mittlerweile jeder Instagram-Account einer Imbissbude in Wuppertal mehr Reichweite. So gesehen wären dann weder Laschet, noch Scholz oder Baerbock die größten Wahlverlierer.

Wieder mehr deutsche Gedichte an Schulen - nur was?

Stichwort Verlierer: Abseits des Triells fordert AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla bei einem Interview mit dem Jugendsender "logo", deutsche Schülerinnen und Schüler sollten wieder mehr deutsches Kulturgut mit auf ihren Bildungsweg bekommen. Konkret forderte er, dass an Schulen "wieder mehr deutsche Volkslieder gelehrt werden, dass deutsche Gedichte gelernt werden".

Auf die Frage des Kinderreporters, welches denn sein persönliches Lieblingsgedicht wäre, lautete seine Antwort dann: "Öhm". Er konnte sich an keines erinnern. Nichts von Heinrich Heine, nichts von Joseph von Eichendorff. Rilke, Ringelnatz, Schiller, Goethe – Chrupalla bleibt in der selbstdefinierten Königsdisziplin, der Verteidigung der deutschen Lyrik-Kunst, blank.

Gut, er selber verwendet die Vokabel "Lyrik" nicht, sondern sagt "Gedichte". Aber das ist nur konsequent, immerhin ist "Lyrik" im Prinzip ein Fremdwort. Wenigstens hat er aber auf die Frage nach seinem Lieblingsgedicht nicht "Hoch auf dem braunen Wagen" geantwortet. Und ein Gedicht von Höcke ist ihm so schnell offensichtlich auch nicht eingefallen. Mein Lieblingsgedicht verrate ich dann in der kommenden Woche! Bis dann!

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