Schon wieder eine Woche der Comebacks, die für viel Furore - oder, naja, zumindest viel Diskussionsstoff sorgen. Und damit ist keineswegs die Rückkehr eines vom Social-Media-Gerichtshof einschlägig zu lebenslanger Ächtung verurteilten ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs in die Schützengräben der Twitter-Parallelwelt gemeint, sondern der traditionelle Aufreger, wenn Borussia Dortmund in entscheidenden Spielen gegen den FC Bayern München von fehlerhaften Schiedsrichterleistungen mal wieder in etwa so umfangreich und nachhaltig profitiert wie Norbert Röttgen vom neuen Mode-Trend für weiblichen Winter-Chic aus Paris, den Chelsea Boots: nämlich absolut gar nicht.

Eine Kolumne
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Während also der durch diverse Sexdates mit untergebenen Mitarbeiterinnen und unwahren Unschuldsbeteuerungen in Ungnade gefallene Ex-"Bild"-Chef seine fulminante Wiederauferstehung auf dem Kurznachrichtendienst verkündet und die Schuld an seinen Eskapaden bösen Politikern in die Schuhe schiebt, als hätte ihm Karl Lauterbach persönlich gefälschte Scheidungspapiere untergeschoben, entwickelt sich auf dem Lieblingsspielplatz der neuen Diskurselite ein Grabenkampf der Ideologien. "Bild" gegen Virologen, Wissenschaftler gegen "Bild", Politiker im Schmusekurs mit "Bild", die intellektuelle Elite in Aufruhe, Borussia Dortmund gegen Bayern München, alle gegen Felix Zwayer.

Ein Herz für WhatsApp-Nachrichten von Kindern

Mittendrin inszeniert das ZDF am Samstagabend die König-Show der Scheinheiligkeit: Die Doppelmoral-Festspiele "Ein Herz für Kinder". Dass ein Verlag wie Axel Springer, der inzwischen mit seinen verbliebenen Publikumstiteln "Bild" und "Welt" einen historischen Reichweiten- und Einflusseinbruch verzeichnet und nur noch eine Zielgruppe aus Querdenkern, fremdenfeindlichen Patrioten und Impfgegnern mobilisieren kann, mit großem finanziellem Engagement intellektuelles Greenwashing betreibt – geschenkt.

Wer einem Verlagshaus, das gerne unverpixelte "Bild"er und private WhatsApp-Verläufe eines Elfjährigen veröffentlicht, dessen Mutter gerade seine fünf Geschwister getötet hatte, ein ernsthaftes Interesse am Wohl von Kindern abkauft, der glaubt auch, dass von der Regierung bezahlte Epidemiologen ein tödliches Virus erfunden haben, damit Bill Gates die Menschheit mit einem Impfstoff dezimieren und alle überlebenden Schlafschafe zu willenlosen Windows 2022-Käufern machen möchte.

Interessanter finde ich, wie überraschend falsch die neue Garde der Politik die öffentliche Dynamik von Sympathien einschätzt und durch die sensiblen Abgründe des Haltungs-Krieges im Diskursdschungel der Ideologielager taumelt. Die als erfrischender Aufschwung im verstaubten Regierungsviertel angetretene Ampel scheint von den Überzeugungen und Werten der Menschen, die sie gewählt haben, deutlich weniger zu wissen, als notwendig wäre, um in vier Jahren wiedergewählt zu werden.

Anders ist der verwirrte Balztanz mit dem Klassenfeind kaum zu erklären, bei dem pünktlich zum Abschluss der Ampel-Verhandlungen plötzlich auch Annalena Baerbock und Robert Harbeck ihre Tanzkarte auf dem Roten Springerteppich einreichen. Kurz vor der Wahl hatte Baerbock bei ihrer Kernzielgruppe noch Haltungs-Fleißkärtchen abgecasht, als sie symbolträchtig ein Exklusivinterview mit ""Bild" am Sonntag" absagte.

Im Dezember 2021, noch nicht mal als Außenministerin vereidigt, ist ihr Integritäts-Kredit verspielt. Das Gemeinmachen mit "Bild", wo am selben Tag noch unverhohlen Virologen und Wissenschaftler zum Abschuss frei gegeben wurden, weil die "uns den Lockdown eingebrockt haben", sorgt für einen rasanten Absturz der Beliebtheitswerte. Die Grünen sind insgesamt nicht für ihre wagenburgartige Einigkeit bekannt. Die Basis verzeiht höchstens nach langen, kraftraubenden Diskussionen – Kungelei mit der "Bild" aber nie.

Ach komm, was Scholz …

Für mich als SPD-Mitglied besonders befremdlich: Auch der designierte Kanzler Olaf Scholz lässt sich von Johannes B. Kerner beim Schaulaufen der alten weißen Männer selig lächelnd auf der Showbühne rumreichen, während in der Front Row Mathias Döpfner applaudiert. Genau jener einst als Feingeist geltende Chef von Axel Springer. Der Mann, der Scholz, Harbeck, Baerbock und die gesamte Regierung kürzlich noch bezichtig hatte, Deutschland zu einem neuen "DDR-Obrigkeitsstaat" umzubauen. Ich bin keine Politik-Expertin, aber mein Eindruck ist: auch bei der größten Volkspartei wird aktuell ziemlich genau hingeschaut, wie viel Sozialdemokratie man bekommt, wenn man Olaf Scholz gewählt hat. Und da sieht es aktuell so aus, als bekäme man zunächst mal eine Angela Merkel Light-Version, nur ohne die ablehnende Haltung gegenüber Hetzmedien.

Wenn man Arm in Arm auf einer Charity-Bühne schunkelt, gemeinsam mit den Machern einer beispielslosen Fake-News-Kampagne gegen genau die seriösen Wissenschaftler, die während einer Pandemie am nötigsten gebraucht werden, kann man das nicht mehr mit lustigen Wahlplakaten oder "Sei deinen Freunden nah, aber deinen Feinden näher"-Strategien erklären. Es bleibt – da ist das Social Media Echo eindeutig – ein jaucheartiger Beigeschmack.

Sich mit "Journalisten" auf Aftershow-Partys im Borchardt zuzuprosten, die im Juli eine RKI-Prognose als "Panik-Papier" diskreditierten, welche sich heute als absolut zutreffend entpuppt, wirkt irritierend auf Wähler. Übrigens: diese "Journalisten" fragen, statt an ihrem Fauxpas zu wachsen und die eigene Arbeit mal professionell zu überprüfen, heute (trotz – oder gar wegen – eines neuen Chefredakteurs) genau diese Politiker, warum sie auf eine vierte Welle nicht vorbereitet waren. Das ist etwa so, wie jedem Menschen in Deutschland zwei Klaviere zu schenken und sich fünf Monate später darüber zu echauffieren, dass sich viel zu wenig Leute für die hohe Kunst des Trompetens interessieren.

Niveaurolltreppe abwärts: Fox News für Minderbemittelte

Es gibt genügend Kandidaten, die sich gerne freiwillig in die inzwischen vollständig vollzogene Isolation des Axel Springer Verlags begeben würden. Man hätte sie nur nicht in der neuen Regierungskoalition vermutet. Hetzaffine Manipulations-Artisten verfassen schon lange eifrig Tweets, die stets wie ein Bewerbungsschreiben an die Anti-DDR-Obrigkeitsstaats-Chefredakteure daherkommen. Oder schlimmer.

So schreibt beispielsweise ein selbsternannter liberaler Teenager unermüdlich menschenverachtende Tweets und steigt mit seiner Leidenschaft für als Freiheit verkleidete Unmenschlichkeit zur strahlenden Ikone einer hartrechten, faktenallergischen, gewaltbereiten, Bildungsfernen Subkultur auf, die man als Community normalerweise nicht mal gegen sehr gute Bezahlung hinter sich wissen möchte.

Natürlich konsequent auf einem dramatisch beschämenden intellektuellen Level. Nivellierung ist wichtig, wenn man eine wissenschaftsresistente Pöbler-Bubble langfristig bei der Stange halten möchte. Sobald man sich allerdings öffentlich komplettradikalisiert, um irgendwie eine Kolumne in den einschlägigen Diskreditierungs- und Empörungs-Postillen zu ergattern, geht der Weg mit brutaler Intensität kompromisslos nach rechts unten. Niveaurolltreppe abwärts.

Vorsicht, eventuell müssen Sie brech(tk)en

Da wird dann schon mal wie selbstverständlich ein Bild der Bundestagsabgeordneten Ricarda Lang (Die Grünen) mit "Wir brauchen eine allgemeine Diätpflicht, um die Fettleibigkeits-Welle zu brechen." kommentiert, als wären persönliche Beleidigungen plötzlich salonfähig, nur weil ein Haufen anonymer Twitter-Bots ohne Profilbild neuerdings Hate-Superspreader für Könige des politischen Diskurses hält.

Mal abgesehen davon, dass es eine wissenschaftliche Sensation wäre, wenn ein Provokations-Junkie mit Selbstdarstellungsneurose entdeckt hätte, dass man sich mit Übergewicht anstecken kann, ist das Attackieren von Menschen für ihr Körpergewicht nicht unbedingt das klassisch liberale Bild von Liberalität, wie es etwa
Alexis de Tocqueville, Thomas Hobbes oder Hans-Dietrich Genscher gezeichnet hätten. Aber die wollten ja auch keine Jobs in der Fake-News-Industrie.

"German Clasico" und Felix Zwayer

Herrje, jetzt bin ich schon wieder vom Thema abgekommen. Es gab doch noch so viel Interessantes. Die sensationellen News beim Telegram-Vorzeige-Paar Michael und Laura Wendler beispielsweise. Deren Trash-Train ist diese Woche in die Endstation OnlyFans-Account eingefahren. Aber ich muss zum Ende kommen. Also los: Er ist wieder da! Der "German Clasico". Borussia Dortmund gegen Bayern München. Das FC Barcelona gegen Real Madrid der Bundesliga. Nur dass Dortmund und München ihre Spieler aus selbst generierten Einnahmen finanzieren.

Klassisch ist bei dieser Traditionsbegegnung insbesondere: Wenn es um kapitale Fehlentscheidungen geht, liegt bei der Bevorteilung – sagen wir mal freundlich – Borussia Dortmund nicht unbedingt unangefochten an der Spitze. Etwas weniger freundlich drückt es das Jahrhunderttalent Jude Bellingham direkt nach dem Spiel vom Samstagabend aus: "Man gibt einem Schiedsrichter, der schon mal ein Spiel verschoben hat, das größte Spiel in Deutschland – was willst du da erwarten?"

Ein bisschen Kontext? Gerne: Als Robert Hoyzer mit Felix Zwayer im Schlepptau 2005 einen der größten Manipulationsskandale der Bundesliga anzettelte, war Bellingham zwei Jahre alt und lebte in den englischen West Midlands nahe Birmingham. Erstaunlich, welchen Ruf sich Felix Zwayer dennoch auch in der ganz jungen Generation der Profifußballer erworben hat.

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Teile meiner Familie stammen aus Dortmund-Hombruch. Ich bin BVB-Fan qua Geburt. Und als solcher, was Leistungen von Schiedsrichtern angeht, inzwischen abgehärtet. Als Serviceleistung für alle, die als Kind zum Frühstück nicht auf Röstbrot aus dem BVB-Toaster bestanden haben, hier aber kurz die Top 3 meiner Erinnerungen:

  • 1. Champions League Finale 2013: Ribery schlägt Lewandowski (damals noch in Schwarz-Gelb) den Ellenbogen ins Gesicht. Klare Rote Karte. Ribery darf weiterspielen. Dante foult im Strafraum, es gibt Elfmeter – die überfällige Gelb-Rote Karte allerdings nicht. Bayern gewinnt 2:1.
  • 2. DFB-Pokalfinale 2014: Mats Hummels erzielt ein glasklares Tor zum 1:0 – das Schiedsrichtergespann um Florian Meyer entschiedet zur Verblüffung aller übrigen 80 Millionen Deutschen auf: Kein Tor. Bayern gewinnt 2:0 nach Verlängerung.
  • 3. 27. Spieltag 2015: Xabi Alonso foult Pierre-Emerick Aubameyang im Strafraum. Referee...

Mit diesem kleinen Honeypot für Bayernfans lasse ich Sie dann heute mal in die Woche starten. Ich hoffe, wir lesen uns kommenden Montag. Bis dann!

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