Ist nach der "Schande von Prag", wie Bundestrainer Joachim Löw die Provokationen rechter Unruhestifter nannte, beim Heimspiel der Nationalmannschaft gegen Norwegen ähnliches zu erwarten? Wohl kaum. Dafür sind die Voraussetzungen völlig andere.

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Vielleicht waren es ja nur einige unglückliche Umstände oder Zufälle. Dass zum Beispiel das Spiel der deutschen Nationalmannschaft in Prag auf den Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen 1939 fiel. Oder dass der tschechische Verband im Vorfeld der nicht ausverkauften Partie Tickets in den freien (Straßen-)Verkauf sandte und diese dort unkontrolliert und nicht personalisiert an deutsche Zuschauer gelangten.

Eine weitere These bezieht sich auf die Nähe Prags zur ostdeutschen Grenze und den kurzen Anfahrtsweg für Krawallmacher, besonders aus den neuen Bundesländern. Aber all das sind nur Vermutungen.

Unüberhör- und unübersehbar waren jedoch die nationalsozialistische Parolen. Und die hatten eine andere Qualität als die mittlerweile schon üblichen Gesänge gegen den Deutschen Fußball-Bund und den Spieler Timo Werner.

Kein neues Phänomen

Was da am vergangenen Freitag in Prag passiert ist, hat in seiner Deutlichkeit und Aggressivität eine neue Dimension erreicht. Ein neues Phänomen bei Auswärtsspielen deutscher Nationalmannschaften im Osten Europas war es aber nicht.

Schon vor zehn Jahren wurden über 40 deutsche Hooligans nach schweren Ausschreitungen beim EM-Qualifikationsspiel in Bratislava gegen die Slowakei festgenommen. Zwei Jahre später waren aus dem deutschen Block beim Testspiel in Budapest gegen Ungarn zahlreiche Reichskriegsflaggen zu sehen und "Heil Hitler"-Rufe zu hören.

Besonders in Osteuropa treten verstärkt Gruppen auf, die nicht in den unterschiedlichen Fan-Clubs oder im vom DFB selbst kontrollierten Fanclub Nationalmannschaft registriert sind.

Das hat sowohl geschichtliche als auch ganz pragmatische Gründe: In diesen Ländern ist nicht mit besonders massiven Polizeiaufgeboten zu rechnen und das Tragen oder Zeigen von verbotenen Symbolen wird vom Ausrichter in der Regel nicht so streng verfolgt.

Lasche Kontrolle im Ausland

Auswärtsfahrten der Fans sind für den DFB schwierig zu reglementieren. Über zweite oder dritte Kanäle kommen auch bekannte Hooligans an Karten, die Ausreise aus Deutschland ist über den Landweg kein großes Problem.

Und weil die Einlasskontrollen verhältnismäßig lasch sind und zum Beispiel sichtlich betrunkene Zuschauer doch ins Stadion kommen, formiert sich der Mob leichter als in deutschen Stadien.

Heimspiele - wie das heute Abend in Stuttgart (ab 20:45 Uhr live bei uns im Ticker) - haben einen völlig anderen Charakter. Im Mittelpunkt steht das Event, zu dem auch viele Familien ins Stadion kommen. Der DFB hat durch sein Verkaufsverfahren eine gute Kontrolle darüber, wer an Karten kommt und wer nicht.

Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft in Deutschland sollen Wohlfühlveranstaltungen sein. Entsprechend hoch sind die Ticketpreise, jedenfalls deutlich höher als zum Beispiel gerade in osteuropäischen Ländern.

In Deutschland gibt es ein "Länderspielpublikum"

Der DFB zelebriert Spiele als großes Event. Zehntausende deutscher Fans sind im Stadion und die Vernünftigen in der Regel in der Überzahl. Eskalationen werden häufig schon im Keim erstickt, Unruhestifter bereits von der Masse zur Räson gerufen oder schlichtweg überstimmt.

Dass in einem deutschen Stadion im Rahmen eines Länderspiels der Nationalmannschaft verbotene Symbole oder Rufe zu hören sein werden, ist unwahrscheinlich.

Die deutschen Behörden würden Verstößen rigoros hinterhergehen und die jeweiligen Straftaten mit allen zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln verfolgen. Den überführten Personen drohen empfindliche Strafen.

Polizei rechnet nicht mit Problemen

Wegen der Vorkommnisse in Prag werden in Stuttgart aber keine verstärkten Sicherheitsmaßnahmen erwartet.

Lediglich auf zwei Bahnstrecken könne es wegen Bauarbeiten zu Verzögerungen kommen, teilte die Polizei im Vorfeld mit. Im Stadion selbst werden die üblichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Trotzdem darf man - gerade in Stuttgart - gespannt sein, wie das Publikum auf die erste Rückkehr von Timo Werner reagieren wird.

Das Stuttgarter Publikum hat sich in den letzten Jahren stets als "Länderspielpublikum" erwiesen, mit großer Unterstützung für die Mannschaft. Aber Werner, im VfB-Stadtteil Bad Cannstatt geboren und bei den Ultras nach seinem Wechsel vor 15 Monaten ausgerechnet zu RB Leipzig in Ungnade gefallen, wird wohl um den einen oder anderen Pfiff nicht herumkommen. Und auch der DFB sollte sich auf ein paar Provokationen einstellen.

Aber da ist dann auch schon die Trennlinie markiert: Sollte es zu Rufen oder Parolen gegen den Verband oder den Spieler kommen, stecken ziemlich sicher Ultras dahinter, die dies auch am kommenden Wochenende wieder in den Bundesligastadien anstimmen werden. Aus Protest am Kommerz und am "modernen Fußball".

Die Gruppe derer, die in Prag provoziert und gepöbelt hat, hat mit den Ideologien der Ultras nichts gemein. Das waren Neo-Nazis. Und die sind in deutschen Stadien nicht willkommen.

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