Holger Badstuber sieht in Julian Nagelsmann einen sehr guten Trainer, hat mit dessen Ernennung zum Bundestrainer dennoch ein "unsicheres Gefühl". Badstuber hätte gerne Louis van Gaal als DFB-Coach gesehen.

Eine Kolumne
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Julian Nagelsmann ist Bundestrainer - eine Schlagzeile, die ich mir vor einem Jahr und sogar vor einem Monat noch kaum hätte vorstellen können, wurde jetzt Realität. Nicht die Tatsache an sich macht mich skeptisch, aber diese Personalentscheidung in dieser Phase des deutschen Fußballs so zu treffen, bereitet mir ein unsicheres Gefühl.

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"Nagelsmann ist kein Trainer für ein Projekt wie die Heim-EM"

Die Kompetenz von Nagelsmann stelle ich nicht in Abrede. Wer es in so jungen Jahren zum FC Bayern und bei der deutschen Nationalmannschaft an die Seitenlinie geschafft hat, dem gebührt nichts als Respekt. Er ist ein außergewöhnlicher Charakter, ein Taktiker, rhetorisch stark, einfach ein sehr guter Trainer. Doch ist er das, was der DFB aktuell braucht? Eher nicht. Nagelsmann ist kein Trainer für ein Projekt wie die Heim-EM. Er ist ein Vereinstrainer, der täglich mit einer Mannschaft arbeiten will und muss. Dort liegt auch seine Zukunft.

Pro & Contra: Unsere Meinung zu Julian Nagelsmanns Verpflichtung

Gerne hätte ich es gesehen, wenn es mein ehemaliger Trainer und Förderer Louis van Gaal geworden wäre. Gehen mir beim Gedanken an Nagelsmann und den Bundestrainer-Posten schnell die Pro-Argumente aus, ist diese Liste bei van Gaal weitaus länger. Erfahrung ist für mich das A und O - gerade bei einem großen Turnier. Für Naivität oder Experimente ist da kein Platz, dann ist das Turnier schneller vorbei als es angefangen hat. Die Erfahrung bringt van Gaal jedoch nicht nur als Vereinstrainer, sondern auch als erfolgreicher Nationaltrainer mit.

Mit den Niederlanden hat er oft genug bewiesen, dass er ein Team auf den Punkt zur Höchstform pushen kann. Er ist schlau genug, auch überraschen zu können, die Medien und Menschen mitzunehmen. Zudem kennt er Deutschland bestens aus seiner Zeit beim FC Bayern. Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, er und Deutschland seien noch nicht fertig miteinander gewesen. Ausreichend Autorität und Strahlkraft hat er ohnehin. Selbst das Gedankenspiel mit Felix Magath fand ich interessanter als die Entscheidung für Nagelsmann. Nun ja. Schade.

DFB-Team braucht die Basics

Natürlich werden Nagelsmann und sein Trainerteam mit Sandro Wagner und Benjamin Glück auch wissen, wo sie ansetzen müssen. Es geht darum, schnell ein Gerüst zu finden, eine klare Linie, um das defensive Verhalten der gesamten Mannschaft in den Griff zu bekommen. Die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen des Teams auf dem Rasen hat auch trotz des Sieges gegen Frankreich noch nicht gestimmt.

Die "Elite des deutschen Fußballs" - die Anführungszeichen habe ich bewusst gesetzt - braucht keine spektakuläre Innovation oder taktische Kniffe, sondern die Basics, die Grundtugenden, die Deutschland zuletzt 2016 bei großen Turnieren stark gemacht haben. Unermüdlicher Einsatz, Zweikämpfe, Siegeswillen, Geschlossenheit, Disziplin: Diese Werte müssen schnell in jeden Kopf.

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Ich erwarte nicht, dass es mit Nagelsmann sofort Besserung gibt. Als Bundestrainer kannst du kurzfristig kaum etwas bewegen. Auf das Verhalten der Mannschaft innerhalb des Turniers kommt es an, da sind schnelle Entwicklungssprünge möglich, wie die Vergangenheit bei erfolgreichen Welt- oder Europameisterschaften gezeigt hat. Nach einem gelungenen Start wächst der Teamgeist von allein.

Aber auch hier wäre mehr Erfahrung Gold - beziehungsweise Schwarz-Rot-Gold - wert gewesen. Wir werden sehen.

Euer Holger Badstuber

Den Steckbrief von Holger Badstuber finden Sie hier.
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