Eintracht Frankfurts Europatournee endet mit dem größtmöglichen Knall. Die Enttäuschung über das Aus gegen Chelsea, Zentimeter vor dem großen Ziel, sollte aber schnell weichen - sonst steht die Mannschaft am Ende mit komplett leeren Händen da.

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Als alles vorbei war, die Fans des FC Chelsea längst auf dem Heimweg, die Mannschaft der "Blues" in den Katakomben verschwunden und die Stamford Bridge nur noch Eintracht Frankfurt und deren Fans gehörte, fiel der letzte Vorhang.

Auf den Tribünen drängelten sich Leiber eng aneinander, die Zuschauer rückten noch etwas enger zusammen. Was kaum mehr möglich war, schließlich drohte der Gästeblock im Norden des Stadions ohnehin schon zu zerbersten, so dicht gedrängt standen Frankfurts Anhänger dort schon während des Spiels.

2.235 Auserwählte sollen es gewesen sein, so groß war zumindest das offizielle Kontingent. Gefühlt standen da aber nun 5.000 Frankfurter und sangen ihre Hymne. Davor stand ihre Mannschaft, und wer noch lauschen konnte an diesem wahnsinnigen Abend, der lauschte ein letztes Mal. Die Blicke der Spieler waren leer. Der Rest war Sprachlosigkeit, Enttäuschung.

Es bleiben viele Großtaten

Der Traum ist vorbei, Eintracht Frankfurt hat das erste europäische Endspiel seit 39 Jahren verpasst. Stilecht, wie über die komplette Saison bisher auch, legte die Mannschaft von Adi Hütter aber auch beim großen Favoriten noch einmal einen großartigen Auftritt hin.

So bleiben aus Frankfurter Sicht dieser Abend in Erinnerung und die vielen Großtaten davor. Die Gruppenphase mit sechs Siegen aus sechs Spielen, die magischen Nächte gegen die Champions-League-erprobten Klubs aus Donezk, Mailand und Lissabon. Und natürlich der Showdown an der Bridge.

Im 47. Saisonspiel drohte die Eintracht früh auseinanderzubrechen. Eden Hazard spielte dieses Mal von Beginn an bei den Gastgebern und verwüstete Frankfurts Abwehr über seine linke Seite ein ums andere Mal.

Mit Zahlen und Daten muss man ja immer ein bisschen vorsichtig sein, die reine Statistik ist schließlich nichts ohne eine entsprechende Einordnung. Manchmal liefern die Werte aber eine konkrete Bestätigung der subjektiven Wahrnehmung. Im Fall der ersten Halbzeit war der Eindruck nicht zu leugnen: Diese Frankfurter Mannschaft kam auf dem viel zitierten Zahnfleisch daher.

Chelsea auf eine andere Ebene gezogen

Flügelverteidiger Danny da Costa, unter den vielen unermüdlichen Kämpfern so etwas wie der ungekrönte König, brachte ganze zwei Pässe an den Mitspieler. Kapitän Makoto Hasebe, ansonsten präzise und zuverlässig wie ein Uhrwerk, fand nur siebenmal einen Frankfurter Spieler mit einem Zuspiel.

Die Beine waren schwer und die Köpfe langsam, die Eintracht deshalb immer einen Schritt zu spät dran, und nicht wenige vermuteten einen kompletten Niedergang, ein 0:3 oder noch schlimmer.

Wie diese Mannschaft tickt und welche unbändige Energie sie entfachen kann, wurde dann nach der Ansprache des Trainerteams um Hütter sichtbar. Frankfurt gelang es tatsächlich noch ein letztes Mal, die deutlich größere spielerische Klasse des Gegners auszugleichen, das Spiel weg vom klinischen Fußball auf eine andere Ebene zu ziehen.

Chelseas technische Überlegenheit war auf einmal dahin, die Partie definierte sich nun von Minute zu Minute mehr über die Faktoren Kampf, Willen und Leidenschaft. Und in diesen Segmenten machte der Eintracht in dieser Europa-League-Saison niemand etwas vor.

"In der Pause haben wir dann angesprochen, dass die Mannschaft noch mutiger spielen muss, noch mehr dran glauben muss. Dass wir es schaffen können. In der zweiten Halbzeit hat die Mannschaft dann wie aus einem Guss gespielt", sagte Hütter nach dem Spiel bei RTL.

Der Österreicher ist nicht nur der Baumeister einer aufregenden Offensivmaschinerie, sondern hat dieser Mannschaft offenbar auch eine unerschütterliche Mentalität eingebläut.

"Um das zu kapieren, braucht es eine Weile"

Der Rückstand konnte der Eintracht ebenso wenig anhaben wie der Ausfall von Sebastian Rode. Der Mittelfeldrenner schleppte sich unter Tränen in die Kabine; das Knie. Und man muss - mal wieder beim notorischen Pechvogel - das Schlimmste befürchten.

Spätestens mit dem Ausgleich von Luka Jovic war es ein Spiel auf Augenhöhe, in der Verlängerung hatte Sebastian Haller gleich doppelt die Entscheidung auf dem Fuß und auf dem Kopf. Beide Male rettete ein Abwehrspieler der Blues auf der Linie.

Es musste wohl so sein, dass die Eintracht im Elfmeterschießen 3:1 führte wie einst die Bayern im Finale dahoam gegen denselben Gegner. Und dass dann mit Martin Hinteregger der beste Spieler auf dem Platz mit seinem Versuch scheiterte und unfreiwillig die Wende einleitete. Hazard beendete die verrückte Europatournee der Eintracht dann - auf die man aber auch noch in Jahren nicht nur in Frankfurt mit Wehmut zurückblicken wird.

"Das war etwas Außergewöhnliches, das sie heute rausgehauen haben. Alles, was uns stark macht, war heute im Spiel zu sehen. Das war eine unglaubliche Willensleistung", sagte Sportvorstand Fredi Bobic. "Um das alles zu kapieren, was die Jungs abgerissen haben, braucht es eine Weile."

Das könnte durchaus so sein. Als kleiner Trost bleibt die Erkenntnis, dass dieser Klub, der nur alle paar Jahre mal europäisch mitmischen darf, die komplette Saison schon unter einem anderen Motto hat laufen lassen. Das Ziel war eigentlich nicht Baku, der Weg war das Ziel.

Zumal die Teilnahme an der Veranstaltung in einem umstrittenen Gastgeberland ohnehin mit einem Wermutstropfen daherkommt: Das Finale findet in Baku statt, der Hauptstadt des von Präsident Ilcham Alijew autoritär geführten Aserbaidschan. Für die beiden Teilnehmerklubs stehen offenbar nur je 6.000 Tickets zur Verfügung - in einem Stadion, das 68.000 Zuschauer fasst.

Verliert die Eintracht alles?

Abseits des Dramas und aller Gefühle wäre eine Teilnahme am Endspiel aber doch auch eine sehr vernünftige Sache für die Frankfurter gewesen. Dem Sieger winkt immerhin ein direkter Startplatz in der Champions League in der kommenden Saison.

Das wäre nicht nur jede Menge neuer Reputation gewesen, es hätte auch sehr dabei helfen können, diese wunderbare Truppe zusammenzuhalten. Nun droht der eine oder andere schmerzhafte Abgang. Und noch viel schlimmer: In der Liga sogar der Verlust des Strohhalms Europa League.

Natürlich hat Frankfurt als Tabellenvierter noch alles selbst in der Hand. Aber nur 40 Stunden Zeit, um sich vom Ausscheiden in London körperlich und mental zu erholen, ehe das Derby gegen Mainz ansteht - und dann am letzten Spieltag die Partie bei den Bayern.

Das Spiel gegen Chelsea war das fünfte in Folge, das die Eintracht nicht gewinnen konnte. Läuft es ganz unglücklich, dann könnte die Mannschaft sogar noch bis auf Platz acht durchgereicht werden und am Ende dieser Saison mit nichts dastehen. Das wäre dann wirklich eine Tragödie.

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