Bessere Quoten, Zuschauerrekord und kritische Stimmen: Die Pandemie kann die positive Entwicklung für Profisportlerinnen nicht aufhalten. Ein Zwischenfazit zur aktuellen EM.

Tamara Keller
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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"Gleich geht es weiter" steht auf dem Bildschirm. Während bei der Sportschau ein Standbild zu sehen ist, werden im ZDF immerhin die besten Szenen der ersten Halbzeit wiederholt.

Was die Berichterstattung zur aktuellen Europameisterschaft angeht, ist definitiv noch Luft nach oben. Keine Halbzeitanalysen bei den Livestreams der öffentlich-rechtlichen Sender, stattdessen jedes Mal ein Standbild. Ein bisschen fühlt man sich als Zuschauerin wie in der Telefonwarteschleife. Immerhin: Erstmals bietet sich mit Dazn eine deutschsprachige Programm-Alternative, das gab es davor noch nie. Trotzdem fehlt hier auch die Berichterstattung drumherum.

Das Interesse und die Begeisterung der Menschen sind groß

Als erstes Fazit nach der Gruppenphase lässt sich jedoch feststellen: Es sind mehrere positive Entwicklungen rund um die EM zu beobachten. Die Zuschauer und Zuschauerinnen erobern die Stadien in England, denn es ist die meistbesuchte EM der Turnierhistorie. Und auch vor den Fernsehern tummeln sich einige.

Für das Deutschlandspiel gegen Spanien hatten acht Millionen Menschen eingeschaltet. Am vergangenen Samstag sahen immerhin 5,76 Millionen Fans (Tageshöchstwert beim Marktanteil) das Spiel des Teams von Martina Voss-Tecklenburg. Eine Entwicklung, die beweist, dass das Vorurteil "Für den Fußball der Frauen interessiert sich niemand" schon längst nicht mehr stimmt.

Eine Steigerung ist auch in der Berichterstattung zu sehen

Vor neun Jahren haben vor und während des Turniers nicht so viele Medien berichtet, wie das jetzt der Fall ist. Fast auf jeder Newsseite lassen sich Beiträge finden. Im Fernsehen ist eine Zuschauerin zu sehen, die ein Schild mit "Equal Play = Equal Pay" in die Kamera hält – Themen wie faire Bezahlung und Gleichbehandlung im Sport sind in der Öffentlichkeit angelangt.

Die Zäsur ist aus heutiger Sicht für mich der Commerzbank-Werbeclip, der zur Weltmeisterschaft 2019 veröffentlicht wurde. Das Video mit dem provokanten Satz "Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze" und mit der Aufarbeitung von zahlreichen Klischees ging damals viral. Es gab eine Zeit, in der sich nur eine kleine Nische auf dem sozialen Netzwerk Twitter für diese Ungerechtigkeit interessierte, jetzt twittern auch die Außenministerin und der Bundeskanzler mit, die eigenen Arbeitskolleginnen und -kollegen tauschen sich dazu aus und auch die Spielerinnen äußern sich selbst zu den Missständen in ihrem Sport.

Ihre Stimmen kommen zur Geltung in der Doku "Born for this"

Nicole Anyomi spricht über Rassismus und wie es ihr geht, wenn ihr Team den Kniefall macht, Sara Doorsoun outet sich und Kathy Hendrich spricht darüber, warum Kinder gerade noch keine Option für sie als Profisportlerin sind. Die Doku, die in der ARD, auf Sky und auf MagentaTV zu sehen ist, wurde laut dem Branchenonlinemagazin "Übermedien" vom DFB und seinen Werbepartnern bezahlt, was in den Credits nicht ganz so deutlich hervorgeht. Alles also nur ein Werbefilm des DFB? Nun ja, fairerweise ist festzustellen, dass Themen wie Gehaltsverhandlungen selten von DFB-Seite angesprochen werden und die Doku an vielen solchen Themen nah dran ist. Es ist zumindest eine Steigerung zum sonstigen Hashtag-Marketing-Dilemma.

Die ARD-Expertin Nia Künzer äußert wie so oft pointiert gekonnte leise Kritik am Sender, für den sie als Expertin auftritt, unter anderem mit der Aussage "sie wäre gerne vor Ort gewesen".

Sowohl ARD als auch ZDF senden ihre Analysen aus den heimischen Studios. Immerhin gibt es neben Nia Künzer ein paar weitere Glanzmomente. Positiv sticht beim ZDF Kathrin Lehmann hervor, die in ihrem sympathischen Schweizer Hochdeutsch gut analysiert und auch wichtige Themen wie zum Beispiel Rassismus anspricht. Erstmals wird nicht von der "Women’s Euro", wie es die Uefa bezeichnet, gesprochen, sondern ganz einfach von der Europameisterschaft berichtet. Und schön ist auch, dass neue Talente auftauchen: So feierte Lena Cassel ihr Debüt als ZDF-Kommentatorin.

Auch bei der WM 2019 zeichnete sich bereits ab, was sich jetzt zum Glück bei der EM 2022 fortsetzt

Der Sport an sich entwickelt sich technisch und spielerisch weiter. Das Spiel ist schneller geworden und das Interesse steigt. Ein Glück, dass die Pandemie diese positive Entwicklung nicht gestoppt hat. Trotzdem gibt es, wie schon erwähnt, auch noch an einigen Stellen Luft nach oben. Nicht alle Spiele werden im deutschen Fernsehen übertragen, oft muss auf die Livestreams ausgewichen werden. Für manche echt sehenswerte Spiele ist das schade.

Weiter vorgewagt hat sich da Österreich. Im ORF werden alle Spiele im Fernsehen gezeigt. Und auch die BBC lehnt sich noch etwas weiter aus dem Fenster: "Hatespeech, Fußballerinnen, die Mütter werden, zu wenig Diversität in der englischen Nationalelf und ganz viel Spielanalyse", so beschreibt mir meine Mitpodcasterin Ellen Hanisch das englische Halbzeit-Programm, von dem sie so begeistert ist – in der Themensetzung geht also noch mehr.

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Verwendete Quellen:

  • Über Medien: "Born For This": Die ARD kauft dem DFB Werbefilme ab – und verkauft sie dem Publikum als Dokumentationen
  • Twitter: Nia Künzer in der ARD Sportschau
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