Es hat nicht viel gefehlt, dass sich die UEFA erneut bis auf die Knochen blamiert hätte. Das mit dem Blamieren gehört zwar zur unausgeschriebenen Jobbeschreibung eines jeden Uefa-Funktionärs. Im Fall von Manuel Neuer wäre eine Bestrafung aufgrund einer Spielführerbinde in Regenbogenfarben eine besondere Form der Pervertierung eigener Uefa-Werte gewesen.

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Die UEFA, das muss man ihr zugute halten, verweist auf eine lange Reihe von Bemühungen, um Appelle gegen Diskriminierung unters Volks zu bringen. Niemand soll wegen seiner Hautfarbe oder sexueller Vorlieben, aus religiösen oder sonstigen Gründen benachteiligt werden; die Verbände und ihre Stars erinnern mit Aufrufen und Slogans immer wieder daran.

Mit der Spielführerbinde in Regenbogenfarben wollte DFB-Kapitän Manuel Neuer bei der EM ein harmloses und doch wirkungsvolles Signal für mehr Toleranz setzen. Er sollte nicht alleine sein: Die Stadt München möchte die Allianz-Arena, wo am Mittwoch das abschließende Gruppenspiel gegen Ungarn stattfindet, ebenfalls in Regenbogenfarben erleuchtet sehen.

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UEFA: Mehr Intoleranz geht kaum

Der Zeitpunkt ist gut gewählt. "Das ungarische Parlament hatte am Dienstag ein Gesetz gebilligt, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität einschränkt", wie man überall lesen konnte. Das Gesetz soll Ministerpräsident Viktor Orban ein besonderes Anliegen sein. Mehr Intoleranz geht kaum.

Eine so menschenverachtende Grundhaltung im eigenen europäischen Raum darf eine liberale Gesellschaft nicht unkommentiert stehen lassen. Manuel Neuer wusste die Mannschaft hinter sich. Die UEFA aber ermittelte, weil sie eine politische Botschaft vermutete, gegen den DFB. Das ist ungeheuerlich. Wie kann es in so einer Frage eine Gegenmeinung zu mehr Toleranz geben?

Vielleicht deshalb, weil Viktor Orban ein guter Freund der UEFA ist. Im Frühjahr hat er, anders als bei Flüchtlingen, sehr gerne seine Grenzen nach Ungarn geöffnet, damit die UEFA in der Corona-Krise einen neutralen Spielort für etliche Spiele in der Champions League anbieten konnte: in Ungarns Hauptstadt Budapest. Zum Beispiel spielten RB Leipzig und Mönchengladbach dort.

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Viktor Orban hat guten Draht zur UEFA

Die gute Verbindung zwischen Uefa-Präsident Ceferin und Viktor Orban führte zu maximaler Flexibilität bei der Stadionbelegung und angeblich, wie man aus der Bundesliga hörte, zu erheblichen Zugeständnissen bei der Stadionmiete. Sowas vergisst man nicht. Womöglich findet in Budapest sogar das EM-Finale statt, wenn London aufgrund der Pandemie dichtmacht.

Da passt nicht ins Bild, wenn mündige Spieler auf die Intoleranz in Ungarn aufmerksam machen. Dabei muss man dringend einen genauen Blick auf die Ungarn richten. Beim Frankreich-Spiel am Samstag soll es nicht nur Affenlaute gegen Superstar Mbappé gegeben haben. Einige ungarische Fangruppierungen sind mit Neonazis durchsetzt. Und diese Leute will die UEFA ignorieren?

Inzwischen hat die UEFA zwar ihre Ermittlungen gegen die Spielführerbinde eingestellt, aber wohl auch gezwungenermaßen: Eine Strafe, weil sich ein Spieler für Toleranz und gegen Diskriminierung einsetzt, wäre ein Skandal gewesen, sogar für UEFA-Verhältnisse. Doch wird man sehen müssen, in welchen Farben am Mittwoch die Münchner Allianz-Arena leuchten darf.

Pit Gottschalk ist Journalist und Buchautor. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit’ch erhalten Sie hier: http://newsletter.pitgottschalk.de/.
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